Duisburg. Duisburg hat ein neues Sternerestaurant. Wie hat Koch Sven Nöthel das geschafft? Uns gibt er Einblicke in den Weg in den Guide Michelin.

In Duisburg? So lautete die skeptische Frage, wenn Sven Nöthel über seine gastronomischen Pläne sprach. Die Stadt steht halt eher für Döner als für Haute Cuisine. Dass auch in der Stahlstadt Spitzenküche ein Erfolgsrezept sein kann, hat Nöthel bewiesen: Der Guide Michelin verlieh dem Mod einen Stern. Wie, Herr Nöthel, kocht man Ruhrpott-konform auf Sterne-Niveau?

In Duisburgs Sterne-Restaurant kommt das Wagyu vom Niederrhein, nicht aus Japan

Neun Mitarbeiter umfasst das Team im Restaurant „Mod by Sven Nöthel“ in Duisburg. Seit kurzem gehört auch ein Azubi dazu.
Neun Mitarbeiter umfasst das Team im Restaurant „Mod by Sven Nöthel“ in Duisburg. Seit kurzem gehört auch ein Azubi dazu. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Wagyu-Zunge, hauchfein wie Carpaccio, liegt auf einem Teller, die Scheiben reißen beim Heben in den Speisering. Das Fleisch ist nicht eingeflogen aus Japan, sondern eingekauft bei einer Zucht zehn Kilometer weiter: In Neukirchen-Vluyn schlachtet Tierarzt und Fleischermeister Philipp ter Haar zwei Tiere im Monat. Weil das nicht reicht für die Short Ribs, die ein Restaurant braucht, friert er die Cuts für seinen Duisburger Sterne-Kunden ein, auf Vorrat.

Für Nöthels Küche müssen keine Delikatessen einmal quer über den Ozean verschifft werden oder gleich zweimal, wie die berüchtigten Nordseekrabben, die in Marokko gepult werden. Der Honig kommt aus Velbert, die Forelle aus dem Bergischen Land. Regionalität: Das ist eine der Zutaten im Mod. Aber ohne Dogma: „Außer ich hab voll Bock auf nen Rochenflügel.“ Eine pragmatische Herangehensweise, ohne die viel Essen fad schmecken würde: „Sonst dürfte ich auch nicht mit Pfeffer kochen.“ Wo der Pfeffer wächst, das ist nun mal nicht in Europa.

Räuchern, Fermentieren, Dörren: viel Handwerk im Mod by Sven Nöthel

Sterneküche im Restaurant Mod in Duisburg-Baerl: Die Sauce für die Zunge vom Wagyu-Rind wird mit dem Pinsel aufgetragen.
Sterneküche im Restaurant Mod in Duisburg-Baerl: Die Sauce für die Zunge vom Wagyu-Rind wird mit dem Pinsel aufgetragen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Der Sauce auf dem Herd wird jetzt Knochenmark zugesetzt, für die Cremigkeit. Kobe-Rind wird gerüchteweise massiert; das Wagyu im Mod wird bepinselt, weitere Sauce drapiert Nöthel mit dem Löffel drum herum. Neben Kreativität gehört Handwerk zum Kochen auf Spitzenniveau, und im Mod besonders viel: „Wir machen alles selber“, sagt Nöthel. Räuchern, Fermentieren; den Schinken. „Pflaumen, von denen wir sagen, die können wir nicht mehr auf den Teller legen, dörren wir.“ So landen sie im Glas statt im Müll – in der alkoholfreien Getränkebegleitung.

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Angenehmer Nebeneffekt: Haltbarkeit macht Obst und Gemüse auch außerhalb ihrer angestammten Jahreszeit saisonal. Rhabarber zum Beispiel: „Wir bestellen 20, 30 Kilogramm, um ihn einzulegen oder gepickelte Fonds damit zu machen.“ Einlegen, Fermentieren: Nöthel mag das. Den Rhabarber kauft er je nach Verwendungszweck, wenn gerade die ersten oder die letzten Stangen sprießen: Anfangs für mehr Säure, „am Ende wird der immer süßer“.

In Zukunft wird es im Mod auch manches aus dem eigenen Anbau geben: Nöthel plant ein Kräuterbeet „mit 60, 70 Kräutern“. Eines davon sicher Estragon, den schätzt Duisburgs Sternekoch besonders, weil er so intensiv schmeckt. Auf der aktuellen Karte lässt er ihn auf Ziegenkäse, Honig, Walnuss treffen.

Der Guide Michelin zu Gast im Mod: Einen Tester hat Sven Nöthel erkannt

Mit der Pinzette werden Zwiebeln, Pilze und Algen auf der Wagyu-Zunge drapiert. Für seine Küche hat der Guide Michelin Duisburgs Restaurant „Mod by Sven Nöthel“ kürzlich mit einem Stern ausgezeichnet.
Mit der Pinzette werden Zwiebeln, Pilze und Algen auf der Wagyu-Zunge drapiert. Für seine Küche hat der Guide Michelin Duisburgs Restaurant „Mod by Sven Nöthel“ kürzlich mit einem Stern ausgezeichnet. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Mit der Pinzette drapiert Nöthel Zwiebeln, fermentierte Shiitake-Pilze, Algen auf der Wagyu-Zunge. Viele Sterneköche sagen, es spiele keine Rolle, ob sie die Tester des Guide Michelin erkennen oder nicht, es müsse eh jeder Teller perfekt sein. Nöthel nicht. „Dieses Gastro-Geschwafel! Natürlich schaut man noch 20 mal drüber, wenn man das Gefühl hat, ein Tester ist da. Aber das Gefühl hast Du 30, 40 mal im Jahr.“

Nöthel muss es wissen, er war Küchenchef im ebenfalls mit einem Stern ausgezeichneten Restaurant „Am Kamin“ in Mülheim. Einen der Tester im Mod, sagt er, hat er erkannt, „weil der schon lange dabei ist“. Irgendwann ist’s halt vorbei mit der Anonymität, auf die Michelin bei seinen Inspektoren, wie der Guide sie nennt, setzt.

Einen Stern kann man nicht gezielt erkochen, es gibt keine festen Kriterien. Oder jedenfalls kaum bekannte. Was dem einen Kritiker mundet, kann beim anderen durchfallen. Trotzdem sagt Nöthel ehrlich: „Der Stern war das Ziel“, auch wenn das Team so schnell nicht damit gerechnet hatte: kein Jahr nach der Eröffnung. Manche Köche sagen, die Weinkarte müsse stimmen, das Ambiente – Nöthel schüttelt den Kopf. Zwölf Personen mindestens an vier Tagen pro Woche müsse ein Restaurant bewirten können, „sonst wissen wir gar nicht, was ein Stern ist.“ Er selbst hat seine eigene Definition: „Sterneküche sollte das sein, was man auch als unheimlich ambitionierte Hausfrau oder Hausmann nicht nachkochen kann.“

In Duisburgs Restaurant Mod gibt es jetzt auch einen Koch-Azubi

‘Es ist keine Raketenwissenschaft’ ist ein geläufiger Ausdruck für etwas, das nicht schwierig ist. Im Mod ist das Kochen jüngst ausgerechnet dazu geworden: Ein Azubi ist neu in der Küche, „der hat Physik studiert, ist eigentlich eher Astronaut als Koch“. Auch wenn Raketenwissenschaften den Menschen ins All katapultieren und Sterneköche den Gast nur in den kulinarischen Himmel: Löwenzahnblüten in Essigfond einzulegen und als Sirup zu Eis zu kredenzen, darauf muss man erstmal kommen. „Nach drei, vier Wochen fangen die an, wie Honig zu schmecken“, schwärmt Nöthel. Und die Idee? Er zuckt die Schultern. „Das kann man nicht lernen.“ Oder vielleicht doch, als Azubi im Mod.

Gang fünf von acht im Restaurant „Mod by Sven Nöthel“ in Duisburg-Baerl, vom Guide Michelin frisch mit einem Stern ausgezeichnet: Wagyu Zunge | Zwiebel | Pilze | Alge | Senf.
Gang fünf von acht im Restaurant „Mod by Sven Nöthel“ in Duisburg-Baerl, vom Guide Michelin frisch mit einem Stern ausgezeichnet: Wagyu Zunge | Zwiebel | Pilze | Alge | Senf. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Zum Wagyu gesellt sich Senfkaviar, am Ende getrocknete Enoki-Pilze und Blüten. Ein dutzend Komponenten kommen auf dem Teller zusammen. Ein paar Happen Esskunst, Gang fünf von acht: Wagyu Zunge | Zwiebel | Pilze | Alge | Senf. Wie kreiert der Sternekoch so ein Gericht?

„Wir nehmen drei, vier Produkte“, sagt Nöthel. Und dann: Struktur – „die kommt durch Zwiebel, Pilze“ – Gewürz, eine Sauce oder ein Öl. Jedes Produkt wird geschmacklich seziert. Welche Textur will ich: ein Gel, etwas Knuspriges? Welche will ich nicht? Kohlrabi muss nicht als Gemüse auf der Gabel landen – es kann auch eine Asche sein aus im Ofen verbranntem Kohlrabi-Grün.

Ein kleines Detail, das im Sterne-Restaurant Teil des großen Ganzen wird: Denn auf der Karte stehen für gewöhnlich keine bis, wie im Fall des Mod, wenige à-la-carte-Gänge, stattdessen komplette Menüs, die Abfolge ausbalanciert wie Süße, Säure, Schärfe in den einzelnen Gerichten.

Das Geschirr im Mod hat Sven Nöthel mit einem Töpfer aus Wesel gestaltet. „Ich wollte unbedingt eine Kerbe für das Brotmesser haben“, sagt Duisburgs erster Sternekoch.
Das Geschirr im Mod hat Sven Nöthel mit einem Töpfer aus Wesel gestaltet. „Ich wollte unbedingt eine Kerbe für das Brotmesser haben“, sagt Duisburgs erster Sternekoch. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Sternekoch Sven Nöthel: „Ein Menü aufzubauen ist wie eine Dramaturgie“

„Ein Menü aufzubauen ist wie eine Dramaturgie“, sagt Nöthel. Der Anfang muss neugierig machen, darf aber noch nicht alles verraten; es muss einen Höhepunkt geben und einen Abschluss. Und manchmal darf der Gast auch gerne noch gedanklich auf dem Gang herumkauen, wenn der letzte Bissen längst heruntergeschluckt ist: „Ab und zu finde ich es schön, wenn der Gast sich bei einem Gang fragt: Waren das für mich geschmacklich jetzt 120 Prozent – oder 60?“

Mehr provozieren will Sven Nöthel im Mod in Zukunft, die Wagyu-Zunge ist davon ein Vorgeschmack. Ein Gang, der exemplarisch für das Konzept des Mod steht: Provokant, weil Zunge nicht jeder isst. Nachhaltig, weil so das Tier möglichst ganz Verwendung findet.

Wie provokant es wird, zeigt sich ab dem 14. April. Dann kommt die neue Karte, mit Gerichten wie diesem: Bacalhau | Blutwurst | Schalotte | Senf | Haselnuss. Duisburg darf gespannt sein – und die Tester des Guide Michelin auch.

[Interesse an Essen und Trinken in Duisburg? Hier geht’s zur Spezialseite.]

>> RESTAURANT MOD BY SVEN NÖTHEL IM GUIDE MICHELIN

Das ist Sven Nöthel (links) wichtig: Sein Restaurant Mod wäre ohne Astrid und Tobias Bähner, die Besitzer des Renzis, nicht möglich gewesen – sie haben ihn den ehemaligen Kuhstall direkt nebenan zum Spitzenrestaurant umbauen lassen.
Das ist Sven Nöthel (links) wichtig: Sein Restaurant Mod wäre ohne Astrid und Tobias Bähner, die Besitzer des Renzis, nicht möglich gewesen – sie haben ihn den ehemaligen Kuhstall direkt nebenan zum Spitzenrestaurant umbauen lassen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke
  • Der Guide Michelin hat in diesem Jahr 31 neue Restaurants mit einem Stern ausgezeichnet, darunter das „Mod by Sven Nöthel“. Damit gibt es in Deutschland jetzt 272 Restaurants mit einem Stern.
  • Zwei Sterne haben 46 Restaurants verliehen bekommen. Acht davon haben zum ersten Mal zwei Sterne bekommen.
  • Neun Restaurants erreichen drei Sterne, darunter ein Neuzugang.
  • Über das Mod sagt der Guide Michelin (Auszug): „Eine richtig schöne Location! Das klare moderne Design ist ebenso ein Hingucker wie die offene Küche, die einem das Gefühl gibt, Teil des Geschehens zu sein. Auf dem Teller zeigen harmonische Geschmacksbilder und die richtige Dosis Kreativität das Talent des Küchenchefs.“
  • Das „Mod by Sven Nöthel“ befindet sich in Duisburg-Baerl, Grafschafter Straße 197. Menüs gibt es von 79 bis 119 Euro. Tischreservierung: 0176 23 55 78 64.