Duisburg. Die Gastronomie sucht nach zwei Jahren Pandemie nach Personal. Wie arbeitet es sich eigentlich in einer Kneipe? Ein Selbstversuch im Fährmann.
Als ich reinkomme, ist gerade die Pizza geliefert worden. Um kurz vor 18 Uhr am Donnerstag ist in der Duisburger Kneipe Fährmann noch nichts los, Barkeeper Rezan hat noch genug Zeit, Abend zu essen. Während er sich an einem der großen Tische in der kleinen, holzverkleideten Kneipe über das Essen hermacht, erzählt er mir ein bisschen über den Fährmann. „Wir leben hier vom Stammpublikum“, sagt er, und das beruhigt mich ein bisschen. Ich helfe heute nämlich beim Kellnern, und wenn die Stammgäste so gemütlich und einladend sind wie der Fährmann selbst, steht mir ein schöner Abend bevor.
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Als erstes kommt Kevin, Fährmann-Stammtisch donnerstags seit Menschengedenken, Rezan macht erstmal Wodka-Cola. Kevin hat Stress auf der Arbeit und klagt sein Leid, ich fühle mich wie in einem klassischen Hollywood-Streifen: Der Barkeeper ist immer auch ein bisschen Therapeut. Dann gehts für mich ans eingemachte, Bier zapfen. Gar nicht so einfach, meine ersten paar Gläser sind mehr Schaum als alles andere. Mittlerweile füllt sich die gemütlich-dunkle Kneipe zusehends, bis auf einen Tisch mit Wirtschaftsreisenden alles Stammgäste.
Bier zapfen, Kisten tragen, mittrinken
Gemeinsam mit zwei Durstigen trinke ich mein erstes Bier des Abends, sie am Tresen, ich dahinter. Rezan hat mit ein Geschirrhandtuch besorgt, das ich mir stilecht über die Schulter geworfen habe, hinter der Theke und alles im Blick: fühlt sich gut an.
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Auch meine Biere werden besser, vielleicht sogar ein bisschen zu gut. Regelmäßig zapfe ich über den Eichstrich hinaus, „als Chef könnte ich dir jetzt was über Schankverlust erzählen“, sagt Geschäftsführer Christian, der mittlerweile den Weg von seinem „richtigen“ Job bei einer Bank in den Fährmann gefunden hat.
Neben dem Bier fließt jetzt auch der Schnaps in rauen Mengen, während ich längst den Überblick verloren habe, mischt Rezan mit aller Routine „Spatzenhirn“, „Rote Armee“ oder einen „Olli“. Dann geht es in den Keller, leere Flaschen wegbringen und Nachschub holen. Beim Kistenschleppen rumort es etwas in der Magengegend, zum zweiten Bier haben sich mittlerweile auch ein Rhabarberschnaps und ein Mexikaner gesellt, letzterer besticht mit wilden Zutaten wie Pfeffer, Tabasco oder Worcestershire-Sauce.
Von Tricks und Vorzügen des Barkeeper-Berufs
Wieder oben angekommen betreibt Rezan erstmal Publikumspflege und setzt sich zu Kevins Stammtisch. Ich quatsche derweil mit Sandra, natürlich Stammgast im Fährmann. „Das ist total familiär hier. Wen man noch nicht kennt, lernt man ganz schnell kennen“, freut sie sich und setzt sich mit Freundin Katja an einen Tisch. Apropos Tisch: Die rücken zu später Stunde, zumindest im übertragenen Sinne, immer näher zusammen, Zugvögel wandern von einem Tisch zum nächsten. In der Luft hängt ein Geruchsgemisch aus verschüttetem Bier, zuckrigen Cocktails und Schweiß – nach zwei Jahren Pandemie der schönste Geruch der Welt.
Weil meine Biere tendenziell immer noch zu voll werden, zeigt Rezan mir einen Trick: Ein bisschen Bier abgießen, da hat man gleich etwas für das Radler, das gerade bestellt wurde. Ein anderer Trick, oder eher ein Vorzugs seines Berufs: „Als Barkeeper lernst du total gut Frauen kennen“. Rezan schmunzelt und trägt zwei Cocktails an den Tisch von Sandra und Katja.
Wer hinter der Bar steht, gehört dazu
Mittlerweile ist es kurz nach 21 Uhr, ich stehe hinter der Theke und lausche Geschichten über den Job, über Familie und über 2,6 Autos, die wohl jeder hat und was das für eine Ungerechtigkeit der Umwelt gegenüber sei. Die bierselige Empörung, sie schaukelt sich hoch, Gruppentherapie einer Generation. Um 21.30 Uhr fängt Kevin langsam an zu schwanken, morgen hat er Frühschicht. Die Berliner Wirtschaftsreisenden bestellen erst drei Berliner Luft, dann gibt es Berliner Luft für alle, dann marschieren plötzlich drei Rumvertreter in den Fährmann und trinken mit Rezan und mir Cuba Libre. Das fühlt sich genauso surreal an wie es klingt – aber schön. Ich stehe noch keine vier Stunden hinter der Bar und gehöre gefühlt schon zum Inventar.
22.45 Uhr, inzwischen habe ich gut einen sitzen. Zeit, an den Aufbruch zu denken, ein letztes Gespräch mit den Berlinern, zum Abschied auf die Tische geklopft als würde ich die Gäste schon 20 Jahre kennen. Dann geht es raus in die kühle Nachtluft, doch der Zauber des Fährmanns hält mich auf dem Nachhauseweg von innen warm. Ich nehme mir vor, jetzt öfter zu kommen, als Gast natürlich. Es sei denn, Rezan braucht mal Hilfe beim Zapfen. Ich wäre zur Stelle.
>> FÄHRMANN IN DUISBURG: ADRESSE UND KOOPERATIONEN
- Der Fährmann liegt, ein wenig unscheinbar, auf der Mülheimer Straße 180, direkt an der Kreuzung mit dem Sternbuschweg. Die aktuellen Öffnungszeiten, eine digitale Getränkekarte und eine Galerie mit Impressionen aus dem Fährmann gibt es im Internet.
- Der Fährmann kooperiert auch mit anderen Duisburger Gastronomen. Auf der Karte stehen zum Beispiel drei Weine von kalt.weiss.trocken, dank dem Wilden Wiener gleich gegenüber können sich die Gäste auch im Fährmann Schnitzel und Pommes schmecken lassen.