Duisburg-Meiderich. Jahrelang hat Serhat „Siggi“ Çavuşoğlu den Kiosk an der Alten Post in Meiderich geführt. In der Corona-Krise gibt er jetzt schweren Herzens auf.

Corona hat uns den Rest gegeben. Ich bin platt. Im Kopf und im Portemonnaie“, sagt Serhat Çavuşoğlu, den alle nur Siggi nennen. Er betreibt den Kiosk an der Alten Post und wird die Meidericher Kulttrinkhalle jetzt schließen.

Obwohl ihm zurzeit eher zum Heulen zumute ist, lacht er, als er seinen Spitznamen erklärt: „Seit meiner Grundschulzeit in Meiderich heiße ich Siggi. Meiner Lehrerin war mein Name zu kompliziert.“ Meiderich war, ist und bleibt seine Heimat – und der MSV sein Verein. Plötzlich lacht er wieder: „Als es vor Jahren mal ein ganz wichtiges Heimspiel gab, wurde ich kurz vorher richtig unruhig. Dann hab’ ich den Kiosk abgeschlossen, ein Schild hingehängt und darauf geschrieben, dass ich im Stadion drei Punkte für die Zebras abholen muss und dann zurückkomme.“

Ein Taxi rufen musste Siggi nicht, denn direkt vor seiner Trinkhalle mit gemütlichem Innenraum und kleiner Kaffeebar, an der Straße Auf dem Damm, liegt ein Taxistand. „Siggi wird uns fehlen, denn er hat hier Herz und Leben reingebracht“, sagt Taxifahrer Cem, der ihn seinerzeit auch zum Stadion gefahren hatte.

Duisburger Trinkhalle schließt: Tränen bei Vater und Sohn

Seit über sieben Jahren betreibt der Familienvater den Kiosk. „Papa, warum machen wir nicht weiter?“, habe sein Sohn ihn kürzlich gefragt, und es flossen ein paar Tränen. „Bei uns beiden“, wie der Meidericher sagt.

„Der Kiosk war mein Leben, und da wird mir was fehlen“, betont der 36-jährige Siggi. Manchmal habe er einen 18-Stunden-Tag gehabt. Neben den Öffnungszeiten hat er vorher oder nachher eingekauft, Schriftkram erledigt, die Bücher geführt oder Bestellungen auf den Weg gebracht.

„Der Siggi war doch die Trinkhalle in Person“: Die Stammgäste Wolle (von links), Cem und Serhat bedauern, dass das Büdchen in Duisburg-Meiderich zum Monatsende schließt.
„Der Siggi war doch die Trinkhalle in Person“: Die Stammgäste Wolle (von links), Cem und Serhat bedauern, dass das Büdchen in Duisburg-Meiderich zum Monatsende schließt. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Dabei war es keinesfalls geplant, dass er hier einmal seine „innere Erfüllung“ finden würde. Seinem Onkel gehörte die Trinkhalle. Lange Zeit betrieb dieser sie selbst, bis er sie schließlich verpachtete. Aber dann lief nicht alles so, wie der Onkel sich das vorgestellt hatte. Also stellte er sich wieder selbst an den Verkaufsschalter und fragte seinen Neffen, ob dieser denn mal ab und zu aushelfen könne.

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Siggi konnte, denn er war damals gerade ohne festen Job. Gelernt und lange gearbeitet hatte er in der Kfz-Werkstatt der Zeche in Moers. Als dort Schicht im Schacht war, bedeutete es schließlich auch das Aus für den Meidericher. „Eines Tages“, so erinnert er sich, „sagte mein Onkel, dass ich das hier richtig toll mache.“ Zudem fragte er, ob der Neffe den Kiosk nicht ganz übernehmen wolle. Er wollte. Allerdings fehlte ihm das Startkapital. Doch sein Verwandter machte ihm Mut: Geld kriege man schon, Siggi solle nur sein Talent einsetzen und seine Idee einbringen.

Kioskbetreiber Siggi hat viele Meidericher Veranstaltungen tatkräftig unterstützt

„Ideen hat er immer gehabt“, ruft jetzt wieder Taxifahrer Cem. Als es in einem Sommer so richtig heiß war, hat Siggi etwa für die Kinder in der Nachbarschaft einen großen Pool aufgebaut, der für „planschende Begeisterung sorgte“, wie er es formuliert. Das war dann der Kiosk mit eigenem Freibad.

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Auch darüber hinaus hat sich der scheidende Kioskbetreiber für sein Meiderich engagiert und tatkräftig das City-Management unterstützt. Er hat bei Veranstaltungen mitgewirkt, etwa bei Halloween, der Nikolausaktion oder dem Martinsmarkt. Am Blutwurstsonntag war seine Bude sogar mit einem eigenen Wagen beim Meidericher Karnevalsumzug vertreten.

Als Baumpate hat Siggi regelmäßig die Bäume und Blumenampeln gegossen. Da er die schweren Wasserkanister mit dem Auto transportierte, hat er sogar ein Protokoll bekommen. „Das hat die Politik aber schnell geregelt, dass das nicht mehr vorkam“, blickt er schmunzelnd zurück.

Die Vorsitzende des Meidericher City-Managements, Heike Wiehe, bedauert, dass Serhat Çavuşoğlu sein Geschäft aufgibt: „Siggi wird uns als engagierter Mitstreiter fehlen, und die Trinkhalle als Einkaufsmöglichkeit und Anlaufstelle ebenso.“ Damit gehe ein Stücke Meidericher Leben dahin.

Immer mehr Leerstände an der Meidericher Einkaufsstraße

„Der Siggi war doch die Trinkhalle in Person“, sagt Stammgast Wolle. Der Rentner, ebenso ein Meidericher Urgestein wie der Kioskbetreiber selbst, ist täglich Kunde, Gesprächspartner und Freund in einem. Nicht selten kam er nur mal kurz für einen Kaffee vorbei, und schon gab es angenehme Gespräche.

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Fast wehmütig zeigt Serhat „Siggi“ Çavuşoğlu auf die Von-der-Mark-Straße, der Einkaufsstraße des Stadtteils, die gegenüber seines Kiosks liegt. „Die Leerstände werden immer mehr, das ist nicht gut für Meiderich. Und jetzt muss auch ich dichtmachen.“ Am 28. Februar ist Schluss.

>> GROSSES BEDAUERN UND EINE FLUT VON REAKTIONEN

  • Als bekanntgeworden ist, dass Serhat Çavuşoğlu alias Siggi das Handtuch wirft, gab es in den sozialen Netzwerken großes Bedauern und eine Flut von Reaktionen. „Ein großer Mann mit Herz“, hieß es dort. Oder „Siggi, mach weiter“. Dem scheidenden Kioskbetreiber kamen die Tränen, als er las: „Meiderich ohne Siggi geht, ist aber sinnlos.“ Die ausgedruckten Kommentare füllen inzwischen einen Schnellhefter.
  • Wie es mit ihm selbst weitergeht, wisse er noch nicht. Er müsse das Ganze erst einmal verarbeiten, dann will er sich umschauen. Vielleicht arbeitet er bald wieder in einer Kfz-Werkstatt.