Duisburg. Irina Stech: Warum eine Hausärztin die meisten Suchtkranken in Duisburg mit Methadon behandelt und was ihre Aufgabe so besonders macht.
Sie gelten als „nicht praxistauglich“ und selbst manche Ärzte haben Vorbehalte, Drogensüchtige mit Methadon zu behandeln. Lediglich 17 Ärzte in Duisburg sind aktuell bereit und ausgebildet, um Patienten in Duisburg zu substituieren, berichtet die Pressestelle der Stadt. Sie vergeben an rund 590 Patientinnen und Patienten Methadon (Stand Oktober 2021).
Den Löwenanteil übernimmt die Praxis von Irina Stech. Sie betreut über 115 Patienten, von denen rund die Hälfte täglich kommen und überwacht das Medikament einnehmen. Die andere Hälfte gilt als stabil, kommt einmal wöchentlich und nimmt die Ration für sechs Tage mit nach Hause.
Die Zahl der substituierenden Ärzte sinkt in Duisburg seit Jahren
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Bundesweit ist seit dem Jahr 2012 die Zahl der substituierenden Ärzte gesunken, die Anzahl der Substitutionsbehandlung jedoch gestiegen, berichtet Sebastian Hiedels, Pressesprecher der Stadt Duisburg. Erst im Herbst ist ein Arzt wegen einer Erkrankung dauerhaft ausgefallen, seine Patienten seien durch die Kassenärztliche Vereinigung auf die anderen Substitutionsärzte vermittelt worden.
Ärzte schrecken vor der Methadon-Behandlung zurück
„Das war ein Kraftakt“, betont Irina Stech. Sie hat versucht, zumindest ihre stabilen Fälle an andere Praxen weiterzugeben, damit sie mehr „Hardcore-Fälle“ übernehmen kann, die polytoxischen, obdachlosen, psychisch-kranken und insgesamt schwierigeren „Substies“, wie sie ihre Patienten liebevoll nennt.
Doch ihre Berufskollegen schrecken selbst davor zurück: Zu viel Papierkram, zu groß die Angst vor einer Belastung für die anderen Patienten, zählt Stech Gründe auf. Und mit Fremd-Urin beim Drogenscreening wollen sie auch nicht belogen werden. Die Allgemeinmedizinerin macht keinem einen Vorwurf: „Es wird ja auch nicht jeder Augenarzt oder Gynäkologe.“
Patienten der Praxis begrüßen die Methadon-Vergabe
Stech hatte vor Übernahme ihrer Praxis vor drei Jahren keine Erfahrung mit dem Thema, übernahm die Substitution von ihrem Vorgänger. Heute sagt sie: „Mir macht die Arbeit Spaß.“
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Ihre „normale“ Sprechstunde als Hausärztin läuft parallel zur Methadon-Vergabe, die eine Angestellte übernimmt. Klar ist: Wer zu ihr kommt, toleriert diesen Umstand oder findet es sogar gut. Denn die Vorteile überwiegen, findet die Ärztin: Wer substituiert, muss sich nicht prostituieren, wird nicht beschaffungskriminell, fängt sich keine ansteckenden Krankheiten ein, die langwierig und kostenintensiv behandelt werden müssen.
Angst habe sie im Umgang mit den suchtkranken Patienten nicht. Erst einmal sei sie bestohlen worden. Es gebe Sicherheitsregeln wie in allen Praxen.
Eine komplette Entwöhnung gelingt nur bei drei Prozent
Irina Stech, die selbst nie einen Joint geraucht hat, beobachtet durch die Arbeit eine Veränderung an sich selbst: „Wenn ich heute in der Stadt angebettelt werde, mache ich sofort eine vollständige Anamnese“, erzählt die 49-Jährige. „Diese Menschen sind nicht aus Spaß suchtkrank, sie haben psychische Erkrankungen, Missbrauchserfahrungen, eine schlimme Kindheit.“ Die Gesellschaft habe schon einmal versagt, die Betroffenen landeten bei der Selbsttherapie im Drogensumpf, „jetzt darf die Gesellschaft nicht noch mal versagen“.
Eine komplette Entwöhnung ist nicht ihr oberstes Ziel, „das gelingt nur in drei Prozent der Fälle!“ Oft sei schon viel erreicht, wenn die Suchtkranken an einen Arzt angebunden sind und nicht an einen Drogendealer. „Harm Reduction“ nennt sie das, Schadensbegrenzung. Stech freut sich, wenn sie jemanden aus der Obdachlosigkeit retten kann, nicht zuletzt, weil es einen enormen Unterschied für die Behandelbarkeit macht. Gut substituiert können viele einer geregelten Arbeit nachgehen, sich um ihre Familie kümmern, ihr Leben leben.