Duisburg. Wirksame Standesvertretung oder von der Politik aufgestülptes Konstrukt? Das sagen Gegner und Befürworter einer Pflegekammer NRW in Duisburg.
„Wenn über die Pflege diskutiert wird, sitzen alle am Tisch außer der Pflege“, lautet das Argument von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Doch seit im Juli 2020 das Gesetz zur Gründung der Kammer in Kraft trat, spaltet die Diskussion über die Kammer auch die rund 14.000 Beschäftigten im Duisburger Gesundheitswesen. Auch die Gewerkschaft Verdi macht Front gegen die Pflegekammer. Grund genug, in Duisburg jeweils zwei Gegner und Befürworter der Kammer zur Diskussion einzuladen. Gegen die Kammer sind Verdi-Sekretär Mizgin Ciftci und die Krankenschwester und Betriebsrätin Heike Strohmeyer, dafür sind Kevin Galuszka (Kreisvorsitzender Grüne) und Burkhardt Zieger (Geschäftsführer Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe Nordwest, DBfK), beide sind gelernte Krankenpfleger.
So ist der Stand bei der Gründung der Pflegekammer NRW
Die Zustimmung von 59 Prozent in einer repräsentative Umfrage unter 1573 von landesweit rund 220.000 Pflegekräften war für die Landesregierung Anlass, die Kammergründung zu forcieren. Mittlerweile bereitet ein Errichtungsausschuss die konstituierende Sitzung vor. Doch der Widerstand in NRW gegen die „Zwangsmitgliedschaft“ und das Scheitern der Kammer in Schleswig-Holstein (bei Urabstimmung 90 Prozent Gegenstimmen) und Niedersachsen (Landtag beschloss Auflösung der Kammer) zeigen Wirkung.
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Erst 60.000 Pflegende haben sich für die Kammer registrieren lassen. Der für März geplante Kammerstart wurde auch deshalb auf Ende 2022 verschoben. Mit der Zusage, bis Mitte 2027 die Mitgliedsbeiträge (5 Euro pro Monat) zu übernehmen und eine jährliche Anschubfinanzierung von sechs Millionen Euro zu leisten, versucht die Landesregierung, das Scheitern der Kammer zu verhindern.
Wen darf die Kammer vertreten?
Web dürfte die Kammer vertreten? Das legt das Gesetz für Heilberufe fest: „Es definiert die Berufsgruppe der professionellen Fachpersonen genau“, erklärt Burkhard Zieger. Zwar könne eine Pflegekammer ihren Vertretungsanspruch nicht auf weitere Gruppen ausdehnen. „Aber sie könnte auf andere wirken.“ „Ein Großteil der Pflegeleistenden, etwa die vielen Hilfskräfte der Altenpflege, pflegende Angehörige und weitere Berufsgruppen werden nicht erfasst“, kritisiert deshalb Heike Strohmeyer. „Die Kammer ist geschaffen für die zu Pflegenden. Die Politik will Qualität.“
Sie sei deshalb „der falsche Weg für die Selbstorganisation“, meint Mizgin Ciftci: „Wir lehnen berufsständische Vertretungen ab, weil wir Solidarität über alle Berufsgruppen hinweg wollen.“ Auch die Frauen seien, obwohl sie die große Mehrheit der Beschäftigten stellen, „vergessen worden, obwohl viele zusätzlich Kinder und Angehörige betreuen oder allein erziehend sind“, kritisiert Strohmeyer. Fragen der Fort- und Weiterbildung oder Teilzeit-Arbeit könne die Kammer nicht beantworten. „Die Politik muss die gesetzlichen Grundlagen schaffen.“
Hat die Kammer ein Legitimations- und Akzeptanzproblem?
Das dementieren auch die Befürworter nicht. „Die Pflegenden sind gegängelt worden, es gibt nur noch wenig Vertrauen in politische Entscheidungen“, sagt Burkhardt Ziegler. Die Kammer erscheine deshalb vielen „als zusätzliche Belastung“. Heike Strohmeyer fehlt die demokratische Legitimation der Pflegekammer: „Jeder der betroffen ist, sollte gefragt werden.“
Mit einer Lichterketten-Demo am Düsseldorfer Rheinufer fordert Verdi NRW am Samstag, 29. Januar (16 Uhr, Höhe Bäckerstraße) erneut eine Urabstimmung unter den Pflegenden. „Eine zwangsweise aufgestülpte Kammer ist der falsche Weg“, betont Mizgin Ciftci.
Die Argumente der Gewerkschaft Ver.di gegen die Pflegekammer
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„Verdi ist eine starke Interessenvertretung der Pflegekräfte“, betont Mizgin Ciftci, „wir brauchen keine Kammer. Wir haben auch keine Angst vor Konkurrenz.“ Der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Pflegenden sei mit unter 20 Prozent zwar noch gering, „aber die Streiks an den Unikliniken haben gezeigt: Es gibt eine steigende Bereitschaft, für bessere Bedingungen zu kämpfen.“ Der Kammer fehle es an wirksamen Mitteln, um Forderungen an Arbeitgeber und Politik nicht nur zu formulieren, sondern auch durchzusetzen.
Weder über Tarife, noch über mehr Personal dürfe die Kammer verhandeln. „Wir müssen von Pflegenotstand in den Pflegeaufstand kommen, damit auch die Politik reagiert. Am besten wahrgenommen werden wir über gewerkschaftliche Organisation, Streik und Druck“, ist auch Heike Strohmeyer überzeugt. Sie warnt aber auch: „Wenn die Kammer abgewählt wird, bleibt die Frage, wie es weitergeht. Darüber müssen wir heute schon nachdenken.“
Das sagen die Befürworter der Kammer
„In tarifpolitischen Zielen von einer Kammer mit 220.000 Mitgliedern unterstützt zu werden, ist auch für die Gewerkschaft eine gute Perspektive“, meint Burkhardt Zieger. Sie könne die Beteiligung der Pflege an der Gestaltung des Gesundheitswesens sicherstellen.
„Im gemeinsamen Bundesausschuss sind Vertreter von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken unter sich. Das System lässt Versuche der Pflege, sich weiterzuentwickeln, nicht zu.“ Es gebe berufsständische Interessen, etwa die Definition der Qualität von Pflege, die eine Kammer gewährleisten könne. „Ich weiß, wie ich als Pflegekraft gute Qualität erbringe. Aber ich brauche eine Grundlage, um das einzufordern“, so Kevin Galuszka.
Kammern, Gewerkschaft und Verbände müssten deshalb zusammenarbeiten. „Es muss Kooperation statt eines Feindbildes geben. Die Kammer trägt zur Emanzipation der Berufsgruppe bei.“ Auch Lobbyarbeit in der Politik könne die Kammer leisten, so Galuszka. „Es gibt zu wenig Pflegefachpersonen in politischen Ämter. Die Kompetenz in der Politik ist gering.“
EINIGKEIT IN DER KRITIK AM VERSAGEN DER POLITIK
- „Wir steuern auf eine Situation zu, in der wir Pflege mit den aktuellen Strukturen nicht gewährleisten können“, sagt Burkhard Ziegler. Die Verantwortung sehen Kammer-Fans wie -Gegner bei der Politik: „Sie hat in den vergangenen 15 Jahren nur zugesehen und nicht hingehört“, so Heike Strohmeyer.
- „Wenn die Politik anfängt, die Lösung des Problems an die Organisationen zu delegieren, dann stimmt etwas nicht“, so Ziegler „Wir brauchen Antworten auf den demografischen Wandel. Es droht ein dramatischer Qualitätsverfall in der pflegerischen Versorgung. Lösungsansätze, die ich derzeit höre, werden ohne die Pflege definiert.“
- „Die Parteien haben das nicht auf dem Schirm“, konstatiert Strohmeyer. Sie müssen anfangen, das im Sinne der Beschäftigten anzugehen. Die Politik habe die Privatisierung und Ökonomisierung des Gesundheitssektors tatenlos hingenommen, kritisiert Mizgin Ciftci. „Es ist ein Gesundheitsunwesen, dem die Politik zusieht. Warum kann mit unseren Beiträgen Profit gemacht werden? Der wachsende Schwarzmarkt mit Pflegenden aus Osteuropa ist nur ein Missstand, den wir durch mehr Tarifbindung beseitigen müssen.“