Duisburg. Markus Koßmann ist Türsteher des Old Daddy. Warum ihm Ungeimpfte 5000 Euro bieten, er Gäste ins Bordell schickt und was er im Lockdown macht.
Was gibt es zu erzählen über das Nachtleben einer Stadt, die nachts die Ampeln in der Innenstadt ausschaltet, weil ohnehin wenig Verkehr herrscht. Markus Koßmann kennt eine Menge Geschichten darüber, was sich nachts in Duisburg abspielt. Der 51-Jährige ist Türsteher des Old Daddy und sieht sich in der Diskothek an der Steinschen Gasse selbst als „Psychologischer Berater für betreutes Trinken“ und für mehr als die Sicherheit der Gäste verantwortlich. Ein Besuch an einem Samstagabend im November.
Es ist etwa 23.30 Uhr. Markus Koßmann sitzt auf einem Barhocker im Eingangsbereich der Kult-Diskothek, oberhalb des Treppenabgangs. Sein Job ist „die Tür“, wie schon seit 32 Jahren. Sein Gegenüber heißt Max Kapper, 23 Jahre, zerzauste Haare, Retro-Brille, Kapuzenpulli; er macht „die Kasse“.
Erstes Wochenende mit 2G-Plus-Regelung in den Clubs
Es ist wenig los, an ihnen sind heute kaum 20 Menschen vorbeigegangen. Grund ist, vermutet Koßmann, das erste Wochenende mit 2G-Plus: Hinunter dürfen nur noch Geimpfte und Genesene, die obendrein einen negativen Test vorweisen können. Doch den haben nicht alle dabei.
„Die einzige Teststelle, die um die Zeit noch offen hat, ist der Puff da vorne“, rät der Türsteher Gästen ohne Nachweis, noch immer fasziniert von den beiden Frauen, die ein paar Minuten zuvor mit zwei druckfrischen Testzertifikaten aus einem Bordell aufgekreuzt waren. Wo genau sich dieses Etablissement befindet, weiß Koßmann nicht genau, doch seine vage Armbewegung in Richtung Vulkanstraße soll heute noch einigen Gästen den Abend retten.
Äußerlich Stereotyp eines Türsteher, innerlich ein lieber Kerl
Koßmann trägt einen schwarzen Kapuzenpulli, Halskette, rasierte Halbglatze, Vollbart, seine Arme sind tätowiert. Er ist groß und kantig und sieht aus, wie man sich so einen Türsteher vorstellt. Und dennoch will er sich abgegrenzt wissen von vielen Kollegen, denen er ein zu großes Ego attestiert.
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Er sei niemand, der Gäste wegen ihres Erscheinungsbildes abweise. „Aber ich muss schon gucken, wen ich hier reinlasse: Unten sind vor allem Leute zwischen 40 und 50, die kann ich nicht mit 18-Jährigen mischen. Die Älteren vertragen, was sie trinken, und übernehmen sich nicht so leicht wie die Leute auf einer Abi-Party.“
Nicht alle Gäste wissen von der Testpflicht vor dem Discobesuch
Ein Pärchen schneit herein, beide um die 40, er mit Maske, sie ohne. Koßmann bittet um die Impf- und Personalausweise und die Bescheinigung des negativen Schnelltest. Der Blick der Frau entgleist, in ihrem Gesicht ist der Satz „Och nein, bitte nicht!“ zu lesen, ohne dass sie ihn sagt. Enttäuscht ziehen die beiden von dannen.
Kurze Zeit später stehen sie erneut in der Tür. Geht es vielleicht nicht auch ohne Test? Nichts zu machen, sagt Koßmann freundlich und erzählt die Geschichte vom Ordnungsamt und von der drohenden Strafe in Höhe von 10.000 Euro – und vom Testzentrum um die Ecke, im Bordell. Das Paar diskutiert: Sollen wir wirklich dahingehen?
Vom Sozialversicherungsfachangestellten zum Türsteher
Von unten dringt gedämpft der Gesang von Dave Gahan und Bernard Sumner nach oben, es läuft die Post-Wave-80er-Party. So genau weiß Koßmann das auch nicht, ebenso wenig wie Thekenkraft Dani, die kurz zum Rauchen nach oben kommt, weiß, dass heute 2G-Plus gilt. Dass er einmal Impfnachweise in einer Pandemie kontrollieren würde, daran hat Koßmann vermutlich bis Anfang 2020 nie einen Gedanken verschwendet, seit er 1989 vor dem Düsseldorfer Zakk erstmals „die Tür“ machte.
„Ich habe sogar Abi gemacht“, sagt er, als würde man es ihm womöglich nicht glauben. Lange arbeitete er hauptberuflich als Sozialversicherungsfachangestellter, bis das Unternehmen Stellen abbaute und ihn in Pension schickte. Vor neun Jahren war das.
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„Ich hatte eigentlich keine Lust mehr auf die Tür, aber ich kannte Peter Jurjahn, den Besitzer des Old Daddy und des Kulttempels in Oberhausen. Es passte einfach und seit vier Jahren bin ich jedes Wochenende hier. Und hier werde ich auch bleiben“, sagt er.
5000 Euro für Zutritt ohne Impfnachweis geboten
Zum Einmaleins der Türsteher gehört auch das Infoplakat an der Tür, das einen Überblick über die Codes, Klamotten und Tattoos von Neonazis gibt, die draußen bleiben müssen.
Natürlich, sagt Koßmann, sei er schon vielen seltsamen Gestalten begegnet. Neulich etwa war da der Typ, von dem er weiß, dass er ein Geschäft in der Innenstadt hat: „Der hat mir 5000 Euro geboten, wenn ich seinen Kumpel ohne Impfnachweis reinlasse“, sagt er. Hat er natürlich abgelehnt. „Und einmal kam ein Gast, der war grade nach 25 Jahren von seiner Frau geschieden. Der hat vor mir Tränen geweint, dass er endlich mal wieder rausgehen durfte“, schildert Koßmann.
Nun ist das Paar von eben wieder da – in der Hand die beiden Testzertifikate. Erneut sagt der Blick der Frau vieles über ihre Gefühlslage aus: Es muss ihr sehr unangenehm gewesen sein in der Vulkanstraße. Peinlich berührt vergessen sie und ihr Begleiter beinahe, den Eintritt zu bezahlen. „Das hast du auch nicht gedacht, dass du heute mit deiner Frau in den Puff gehst, oder?“, ruft Koßmann dem Mann entgegen und lacht.
Markus Koßmann: „Kommunikation ist alles“
Der Türsteher tritt ins Halbdunkel auf den Bürgersteig und blickt sich um. „Kommunikation ist alles“, sagt er. „Und immer freundlich bleiben, dann hat man weniger Ärger.“
Er erzählt von seiner Tochter namens Zula, sie ist fünf. Dass er weder raucht noch trinkt. Von seiner neuen Freundin, einer Brasilianerin aus Bonn. Bald will sie ihn mal wieder besuchen kommen in seiner Wohnung in Mülheim.
Vor Koßmann und Kapper tauchen zwei Männer auf, der eine etwa doppelt so alt wie der andere, beide berauscht vom Alkohol. Sie haben zwei Impfungen, aber keinen Test. Koßmann erklärt den beiden Niederländern in feinstem Denglisch, wie sie zur Vulkanstraße finden. „Ich sollte Gutscheine für den Puff bekommen, so viel Besuch, wie ich denen beschere“, sagt der Türsteher grinsend. Auch die Männer kommen einige Zeit später mit negativen Testergebnissen zurück. „Die waren aber lange weg“, raunt Koßmann seinem Kollegen mit schelmischem Tonfall zu.
Was Türsteher machen, wenn Lockdown herrscht
Er ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es sein vorerst letzter Einsatz an der Tür für längere Zeit sein könnte, dass die Infektionszahlen in der vierten Welle immer weiter steigen und die nordrhein-westfälische Landesregierung Bars und Clubs wenige Tage später wieder schließen wird.
„Im ersten Lockdown“, erzählt Koßmann, „habe ich einen Aldi bewacht. Das war aber anstrengender als hier.“ Nebenbei machte er eine Fitnesstrainerlizenz. „In der Branche werde ich auch arbeiten, wenn die Clubs wieder schließen müssen. Erstmal mache ich aber Urlaub, ich kann fürs Erste ganz gut ohne Geld auskommen“, sagt er.
Es ist mittlerweile etwa ein Uhr: An der Tür steht ein Stammgast. Ein älterer Herr mit hellbraunen Schuhen, einem gescheckten Hemd, darüber eine schwarze, feine Jacke, die ergrauten Haare gescheitelt. Auch er muss ins Bordell. Bei seiner Rückkehr schimpft er mehr angeheitert als abgestoßen über die Menschen, denen er dort begegnet ist. „Ich war froh, als ich da weg war.“
Mit Mitte 60 will Koßmann aufhören
Aus seiner Jacke zieht der Mann ein dickes Bündel Geldscheine, mit dem er sich auch den Bordell-Besuch hätte leisten können. „Ich bin der alte Sack, der schon seit ‘78 hier ist“, ruft er. „Was gibt’s in Duisburg auch anderes?“, antwortet Koßmann. „Das Old Daddy, das Pulp – und den Puff“, sagt er und lacht wieder.
„Meine Freundin meint, ich stelle mich selbst mit dem Rollator noch vor die Tür. Ich liebe diesen Job. Aber irgendwann ist’s vorbei: Mit Mitte 60 habe ich nicht mehr die körperliche Präsenz, um unliebsamen Gästen zu begegnen. Dann sollte man aufhören, denn ich bin ja auch für die Sicherheit der Leute da unten verantwortlich.“
Wieder kommt jemand ohne Test. Freundlich beschreibt Koßmann ihm den Zug zum Puff.