Duisburg. 232 Tage Impfzentrum Duisburg mit Frust, Tränen und Glücksmomenten: Die Verantwortlichen ziehen Bilanz und sagen, was sie besonders bewegt hat.
Das Impfzentrum im Theater am Marientor (TaM) ist seit dem 1. Oktober geschlossen. Startklar war es nach einem Kraftakt der Feuerwehr innerhalb von drei Wochen bereits am 15. Dezember 2020. In den Genuss der ersten Impfungen in Duisburg kamen die Bewohner des Evangelischen Christophoruswerks am 27. Dezember – allerdings vor Ort und nicht im TaM: Dort konnte aufgrund des mangelnden Impfstoffs erst knapp zwei Monate später geimpft werden. Willi Giesen (89) war am 8. Februar der Erste – gemeinsam mit seiner Frau Marlies (87).
Impfbus in Duisburg unterwegs- So geht es im Oktober weiterFeuerwehr-Chef Oliver Tittmann, Hendrik Magnusson, der ärztliche Leiter des Impfzentrums war, und Bernd Wolf, Corona-Koordinator der Feuerwehr, blicken nun nach 232 Tagen auf eine turbulente Zeit zurück. Sie haben Glücksmomente, Frust und Tränen im und vor dem TaM erlebt und sprachen nun in einer Bilanz unter anderem über...
Vor dem Impfzentrum Duisburg haben sich teilweise Dramen abgespielt
...den zunächst großen Impfstoffmangel.
„Das war für uns lange sehr frustrierend“, sagt Oliver Tittmann. „Ganz am Anfang waren nur vier von insgesamt 18 Impfstraßen geöffnet und gerade mal 400 Impfungen täglich im TaM möglich.“ Die Zeit von Februar, März bis in den April hin seien zum Teil sehr emotionale Tage gewesen. „Es standen immer wieder verzweifelte Menschen vor dem Impfzentrum, die sich unbedingt impfen lassen wollten. Da haben sich mitunter Dramen abgespielt. Aber es ging damals eben nicht“, sagt der Feuerwehr-Chef.
...den Ärger aufgrund der anfänglich chaotischen Terminvergabe der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNo) und (kurzfristiger) politischer Beschlüsse.
„Wir müssen hier zwischen der politischen und der operativen Ebene unterscheiden“, sagt Oliver Tittmann. Auf der operativen Ebene habe es von Tag eins an sowohl bei der KVNo als auch im Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit (MAGS) gute Ansprechpartner gegeben. „Über einige politischen Vorgaben haben wir uns aber häufiger geärgert, weil jede Stadt eben anders ist, andere Herausforderungen hat. Da ist es schwierig, wenn für alle die gleichen Bestimmungen gelten sollen“, so der Feuerwehr-Chef. „Wir hätten uns außerdem gewünscht, wenn wir früher flexibler impfen hätten können.“
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Es sei richtig gewesen, anfangs erst einmal den Fokus auf ältere, ganz besonders gefährdete Personengruppen zu legen. „Aber das starre Festhalten an den Priorisierungen hat zwischenzeitlich auch dazu geführt, dass es mit den Impfungen nur schleppend voranging“, so Tittmann.
...den größten Frustmoment.
„Das war zweifellos der plötzliche Impf-Stopp bei Astrazeneca im März für Menschen unter 60 Jahre“, sagt Oliver Tittmann. „Die Nachricht hat uns damals nachmittags mitten in den Impfungen erreicht und schockiert. Wir mussten ja nicht nur nicht nur Menschen erklären, dass sie nicht mehr geimpft werden können, sondern auch mit all jenen umgehen, die Astrazeneca zuvor noch gespritzt bekommen hatten und teilweise völlig aufgelöst waren.“
Astrazeneca-Stopp: Als Impfdosen im Mülleimer landeten
Einige bereits aufgezogene Spritzen seien an diesem Tag im Mülleimer gelandet. „So etwas ist uns danach in dem Maße zum Glück nicht mehr passiert“, so Tittmann. „Dazu hat sicher auch die „Impfbrücke“ beigetragen. Die Software, um Restimpfstoff per SMS zu vermitteln, haben wir ja mit einem Kölner Start-up-Unternehmen mitentwickelt.“
…den größten Glücksmoment.
„Gänsehaut hatten wir alle bei der allerersten Stadtteilimpfung in Marxloh im Mai“, sagt Oliver Tittmann. „Das war unsere beste Impfaktion. Wir hatten auch dank der hervorragenden Abstimmung im Vorfeld mit dem Moscheeverein und weiteren Institutionen eine überwältigende Resonanz. Die Leute haben sechs, sieben Stunden gewartet und die Stimmung war trotzdem super.“ Davon sei auch der Arzt und Fernsehmoderator Eckart von Hirschhausen, der mit seinem Team vor Ort drehte, „ganz ergriffen“ gewesen.
...den Zeitpunkt, als es plötzlich mehr Impfstoff als Impfwillige gab.
„Das ist im Nachhinein schwer zu sagen. Aber das Impfzentrum war unterm Strich nur an wenigen Tagen voll ausgelastet. Das war im Frühjahr, als wir bis zu 3200 Impfungen täglich hatten“, sagt Oliver Tittmann. „Uns hätte geholfen, wenn die Aufhebung der Priorisierungen nicht erst zum 7. Juni erfolgt wäre. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich mittlerweile alle Impfberechtigten hätten impfen lassen können. Es gibt eben immer noch zu viele Impfverweigerer.“
...die Möglichkeiten, mehr Menschen von einer Impfung zu überzeugen.
„Es ist richtig, dass wir weiter Angebote machen, die so niederschwellig wie möglich sind“, sagt Tittmann. „Wir waren in NRW die Ersten, die quasi als Testballon schon vor dem offiziellen Start der Stadtteilimpfungen mobil geimpft haben – etwa Obdachlose. Wir müssen weiter mit den Menschen ins Gespräch kommen, um sie zu überzeugen. Dazu brauchen wir vor Ort Partner wie etwa den Petershof in Marxloh.“
Impfungen: Informationsdefizit ist teilweise immer noch sehr groß
Das Informationsdefizit sei teilweise immer noch sehr groß. Hendrik Magnusson nennt ein Beispiel: „Wir haben auf der Vulkanstraße Prostituierte geimpft, also nur wenige Meter vom TaM entfernt. Und trotzdem sagten uns viele, dass sie gar nichts vom Impfzentrum wussten.“
…die Dankbarkeit der Geimpften.
„Für viele war die Impfung ein Befreiungsmoment“, sagt Oliver Tittmann. „Ein erster Schritt zurück Richtung Normalität.“ Es habe im TaM zum Glück ja auch keine schwerwiegenden Impfreaktionen gegeben, sagt Hendrik Magnusson. „Mal Hautrötungen bei Allergikern, sonst nichts.“ Es sei immer wieder schön zu beobachten gewesen, wie wohl sich die Menschen im Impfzentrum gefühlt haben. „Es gab den einen oder anderen selbst gebackenen Kuchen als Dankeschön“, erzählt Magnusson. „Und ein Ehepaar hat uns sogar Anhänger mit Impfengeln gebastelt.“
...die ganz persönliche Bilanz nach 232 Tagen Impfzentrum.
„Trotz der täglichen großen Arbeitsbelastung und vieler Überstunden: Es war eine tolle Zeit“, sagt Oliver Tittmann. „Wir hatten immer die volle Rückendeckung von der Krisenstabsleitung, vom OB und von der Politik in Duisburg. Das war wichtig, weil wir in einigen Situationen ganz pragmatisch entscheiden mussten. Der Vorteil: Wir sind Feuerwehrleute, schauen uns eine Lage an und dann machen wir. Das Team war großartig. Viele werden jetzt vielleicht mental in ein Loch fallen. Aber in zehn Jahren werden wir auf diese Zeit zurückblicken und sagen können, dass wir an vorderster Front dabei waren und alles dafür getan haben, um die Pandemie zu bekämpfen. Das ist ein unglaublich befriedigendes Gefühl.“