Duisburg. Industrie- und Integrationspolitik stehen auf der Agenda des Direktkandidaten Mirze Edis (Linke). Nach einer brutalen Attacke gab er nicht auf.
Mirze Edis, Bundestagskandidat von „Die Linke“ im Wahlkreis Duisburg I, kann sich über mangelnde Aufmerksamkeit derzeit nicht beklagen. Der 49-Jährige (zum Kurzfragebogen) ist ein gefragter Gesprächspartner: Nicht nur unsere Zeitung, sondern auch ARD, RTL, Sat.1 und die Deutsche Welle haben ihn in Duisburg besucht, um etwa mit ihm in Hochfeld zu ergründen, warum dort so viele Menschen politikverdrossen sind.
Edis ist als Dreijähriger mit seiner Familie nach Duisburg gekommen, in Hochfeld aufgewachsen und kann viel über den Stadtteil, Integrationspolitik und Zuwanderung erzählen. Sein Vater hatte einen Job auf der „Hütte“, die türkische Sprache lernte Edis im muttersprachlichen Unterricht. Seine Noten in der Grundschule waren gut, doch die Eltern wussten nicht, auf welche weiterführende Schule sie den Jungen schicken sollten. Einer seiner vier Brüder kreuzte schließlich „Hauptschule“ an.
Mirze Edis verdiente als Zwölfjähriger sein Taschengeld auf dem Hochfelder Markt
Mit zwölf Jahren heuerte er in Hochfeld auf dem Wochenmarkt an. „Ein älterer Kumpel hat mich mitgenommen, er meinte, dass der Obst- und Gemüsehändler Unterstützung bräuchte.“ Nachdem Mirze Edis ein paar Kisten geschleppt hatte, wurde er übernommen und pries an den Wochenenden die Ware an. „Der Chef, Siggi, hat mir gesagt, dass ich auf die Leute zugehen muss.“ Und die älteren Damen fanden ihn offenbar so niedlich, dass sie ihm gerne ein paar Mark zusätzliches Taschengeld zusteckten. Sparen war nicht drin: Das Geld hat Edis mit seinen Geschwistern geteilt. Als Erwachsener hat Edis schließlich immer wieder sein Gemüse bei Siggi gekauft. „Das war ein sehr freundschaftliches Verhältnis.“
Süd-Wahlkreis Duisburg I (115): Kurzfragebogen
Ein Duisburg-Selfie und 16 Antworten der Direktkandidaten in je unter 161 Zeichen:
> Bärbel Bas, SPD
> Thomas Mahlberg, CDU
> Sascha Lensing, AfD
> Charline Kappes, FDP
> Mirze Edis, Die Linke
> Lamya Kaddor, B90/Die Grünen
> Günther Bittel, MLPD
> Felix Engelke, Die Basis
Nach der Schule folgte Edis dem Rat seines Vaters und ging zu den Hüttenwerken Krupp Mannesmann. Seit Jahren kämpft er dort als Betriebsrat für die Interessen der Arbeitnehmer. Als die Sozialdemokraten die Hartz-IV-Gesetze beschlossen, trat er in die Linke ein. Nicht nur wegen der sozialen Absicherung, sondern weil die Genossen auch die Ausweitung von Leiharbeitsverträgen in den Firmen beschlossen und er hautnah miterlebte, wie zunehmend mehr Leiharbeiter bei den großen Betrieben eingesetzt wurden.
Industriepolitik gehört deshalb zu seinen Schwerpunkten. „Wir müssen die Transformation in der Stahlbranche so hinbekommen, dass möglichst viele Arbeitsplätze erhalten bleiben.“ Aus Sicht von Edis müsste die Bundesregierung den Konzernen so schnell wie möglich Fördergelder zukommen lassen, um beispielsweise die Stahlproduktion grüner zu machen. Die Millionen-Investitionen könnten die Unternehmen nicht alleine stemmen. Und bevor diese sich entscheiden, Standorte zu verlagern, müsse die Politik handeln.
Duisburger „Linke“-Kandidat: „Wir wiederholen die Fehler in der Integrationspolitik“
Natürlich kann der Ratsherr auch etwas zur Integrationspolitik in Stadt und Land sagen. „Wir wiederholen die Fehler, die früher gemacht wurden. Die Stadt hat kein Konzept, wie sie die Leute integrieren möchte.“ Früher sei es besser gewesen, findet er. Da habe es Angebote für Mütter gegeben, die die Sprache gelernt haben. Vor allem möchte er aber ein Klima schaffen, in dem sich alle wohlfühlen.
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Damit spielt Edis auch auf die Aussagen von Oberbürgermeister Sören Link an, der zuletzt zum Beispiel die Einsätze der Task Force Schrottimmobilien und die damit verbundenen Häuserräumungen stets verteidigte. Er selbst sei damals auch in Duissern zur Schule gegangen, berichtet Edis. Auch das war Teil von Integration, damit die Kinder mit deutschen Klassenkameraden in Kontakt kamen, Freunde fanden und die Sprache lernten.
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Mittlerweile wohnt Edis im Duisburger Süden in Huckingen und hat sich dort ein Haus gekauft. Er weiß, wie es ist, diskriminiert zu werden. HKM hatte früher Werkswohnungen in Hüttenheim, Mündelheim und Serm. Er wollte gerne in die ländlichen Bezirke, doch ein hoher Betriebsrat sagte zu ihm, dass er dort „keinen Türken hinstecke“. Wenn Edis bei einem Vermieter anrief, wurde er stets zu Besichtigungen eingeladen. „Da hat man gesehen, dass die hinter der Gardine standen und ein bisschen erschrocken waren. Komischerweise war immer gerade vorher ein Paar dort gewesen, dass die Wohnung auch unbedingt haben wollte.“ Dem ist er nun entgangen, seitdem er für sich und seine Familie etwas Eigenes suchte.
Nach Gewalttat: Rückzug keine Option
2011 nahm das Leben von Mirze Edis eine jähe Wendung. Drei Männer, Arbeitskollegen von HKM, attackierten ihn mit einem Stuhl und verletzten ihn schwer. Der Familienvater lag mit einem gebrochenen Schädel auf der Intensivstation und kämpfte um sein Leben. Die Täter wurden 2015 verurteilt, der Politiker arbeitete den Vorfall mit einem Psychologen auf. Besonders schwer ist es, dass er den Beteiligten auch heute immer noch begegnet. Seitdem schützt Edis sein Privatleben, aber sich aus der Politik zurückzuziehen, sei für ihn nie eine Option gewesen.
Im Vergleich zu den Direkt-Kandidaturen seiner Mitbewerber von SPD, CDU und Grünen hat Edis sicher nur eine Außenseiter-Chance. Er hat keinen sicheren Listenplatz. „Aber für Duisburg wäre es gut, möglichst viele unterschiedliche Abgeordnete in Berlin zu haben“, ist er überzeugt. Ansonsten hält er es mit Rocky: „Ich bin zum Kämpfen bereit.“
>> 2017: NIEDRIGE WAHLBETEILIGUNG IN HOCHFELD, ABER NICHT DIE NIEDRIGSTE
• Mirze Edis kandidiert im Süd-Wahlkreis Duisburg I für die Linke. Dazu gehören die Bezirke Süd, Rheinhausen und Mitte, allerdings ohne Duissern. Bei der Bundestagswahl 2017 hat die Partei „Die Linke“ hier 6,87 Prozent der Erst- und 8,7 Prozent der Zweitstimmen bekommen. Die SPD siegte mit 38,3 beziehungsweise 31,7 Prozent.
• Insgesamt gaben nur 72,4 Prozent der Wahlberechtigten in diesem Wahlkreis ihre Stimme ab. Nach Aussage der Stadt lässt sich allerdings nicht glasklar nachvollziehen, wie niedrig die Beteiligung in Hochfeld war. Stadtsprecher Malte Werning erklärt: „Die Grenzen der Stimmbezirke stimmen nicht mit den Stadtteilgrenzen überein. Daher ist es nicht möglich, die Wahlbeteiligung für einen bestimmten Stadtteil zu erheben.“
• Die Stimmbezirke im Stadtteil Hochfeld, zu denen aber auch die westlichen Teile des Dellviertels und Wanheimerorts gehören, hatten zur Bundestagswahl 2017 eine Wahlbeteiligung zwischen 34,23 Prozent und 55,93 Prozent. „Selbst der niedrigste Wert wurde in Duisburg 2017 noch von drei weiteren Stimmbezirken unterboten“, so Werning, nämlich von einem Stimmbezirk in Obermeiderich und zwei Bezirken in Marxloh.