Duisburg. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt bei Astrazeneca eine Kreuzimpfung. Das hat Arztpraxen in Duisburg kalt erwischt – und geärgert.

Am Donnerstagabend kam es in den Nachrichten: Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt kurzfristig die Kreuzimpfung, Erstgeimpfte mit Astrazeneca sollten einen mRNA-Impfstoff wie zum Beispiel Biontech wählen. Und wieder einmal hat es auch die Arztpraxen in Duisburg kalt erwischt, liefen Telefone heiß, quollen Mail-Eingänge über und mussten bereits für Freitag geplant Impftermine über den Haufen geworfen werden.

„Es kann nicht angehen, dass die Stiko einsame Entscheidungen trifft, die sie dann mit denjenigen, die sie umsetzen müssen, nicht einmal abspricht“, wettert Dr. Frank Bergmann, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNo). „Bei allem medizinischen Verständnis für die Stiko-Entscheidung“ nannte er es „fatal“, dass damit der ohnehin hohen Arbeitsaufwand der Praxen noch einmal immens erhöht werde.

Kreuzimpfung bei Astrazeneca: „Ein Heidenaufwand“ für Duisburger Hausarztpraxis

„Ein Heidenaufwand“, bestätigt Susanne Dyer, in der Praxis von Dr. Jonny Bülthoff zuständig fürs Impfprogramm. In der Bergheimer Praxis, die gerade die 1000. Impfung verabreicht hat, ist der Samstag der „Astrazeneca-Tag“. 100 Impfungen waren geplant, kurzfristig mussten die Termine derjenigen, die nunmehr Biontech erhalten sollten, umgebucht werden.

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„Wenigstens ist das Lager jetzt gut gefüllt“, sagt Bülthoff mit Blick auf 1200 Dosen Astrazeneca und 350 Biontech in den Kühlschränken. Jetzt könnten auch Fremdpatienten Online-Impftermine buchen. Die von Experten empfohlene Strategie laute: Erstimpfung mit Astrazeneca, Zweitimpfung nach drei Wochen mit Biontech. Bülthoff hat den Eindruck, dass es auch politisch gewollt sei, möglichst noch vor dem Herbst einen erneuten Anstieg der Infektionen durch die Delta-Variante zu verhindern.

Impfskeptiker besorgen Hausarzt

Eigentlich könne es jetzt angesichts des ausreichenden Impfstoffangebots entspannt weiter gehen, ihn aber besorgen die Impftermine, die nicht gebucht werden: von Impfskeptikern. „Die 35- bis 55-Jährigen sagen, sie überlegen noch.“ Und weil viele Duisburger nicht in Urlaub fahren, falle eine Motivation weg, sich impfen zu lassen. „Ich diskutiere auch nicht mehr mit den Patienten darüber, das ist sinnlos.“

Auch der Gynäkologe Dr. Thomas Gehl im Stadtsüden findet, dass die Stiko zwar ihre Arbeit gemacht hat, aber die Veröffentlichung der Empfehlung zur Kreuzimpfung „hätte besser vorbereitet werden können“. Stattdessen habe die Stiko „eine Lawine losgetreten“. Für nächste Woche könne er mehr Biontech bestellen, aber nicht mehr für diese Woche. Hinzu komme die Verkürzung des Abstands zwischen Erst- und Zweitimpfung von zwölf auf vier Wochen. Könne er das nicht anbieten, gingen die Patienten woanders hin: „Das Chaos wird größer.“

Bei Biontech wird es eng

„Wenn wir jetzt unbegrenzt bestellen dürfen, wird die Lage deutlich entspannter“, sagt Dr. Christoph Mülheims, Orthopäde in Hamborn. Er sieht diese Zusage allerdings mit Skepsis, nachdem es mit den Impfstoffmengen in den letzten Monaten auf und ab gegangen ist. Astrazeneca habe er zurzeit „so viel wie nie“, hingegen werde es bei Biontech eng. Seine Wartelisten seien weitgehend abgearbeitet, die neue Empfehlung verkompliziere aber die Zweitimpfungen.

In der Praxis von Dr. Jürgen Focke in Huckingen sorgt die Stiko-Empfehlung für die Kreuzimpfung für zusätzlichen Stress.
In der Praxis von Dr. Jürgen Focke in Huckingen sorgt die Stiko-Empfehlung für die Kreuzimpfung für zusätzlichen Stress. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Deswegen ist es derzeit auch in der Praxis von Dr. Jürgen Focke in Huckingen stressig. „Viele Patienten wollen ihre Zweitimpfung nun vorziehen“, berichtet eine Mitarbeiterin. Hintergrund: Laut Stiko ist diese so genannte Kreuzimpfung bereits nach vier Wochen möglich.

Der verkürzte Abstand zwischen den Impfungen ist nicht hinzukriegen

„Wir können die Termine jetzt aber nicht einfach so ändern. Das kriegen wir organisatorisch gar nicht hin“, so die Mitarbeiterin. „Deshalb bleibt es bei uns dabei, dass wir bei Astrazeneca in der Regel zwölf Wochen nach der Erst- die Zweitimpfung anbieten – dann eben mit Biontech. Wir gehen davon aus, dass wir davon genügend bekommen.“

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Schon für diese Woche sei, wie angekündigt, genau so viel Impfstoff wie gewünscht auch geliefert worden. So könne die Warteliste besser abgearbeitet werden. Darauf stehen nach Angaben der Praxismitarbeiterin aber noch 100 Patienten, die nicht mal den ersten Pieks bekommen haben. „Darunter sind jetzt viele, die zunächst abwarten wollten und sich noch nicht sofort für eine Impfung angemeldet haben – Menschen Mitte 50, aber auch einige Vorerkrankte“, sagt sie. „Und dann gibt es natürlich junge Leute, die lange noch nicht an der Reihe waren.“

Impftermine gibt es jetzt schnell

Dr. Olaf Nedden, Arzt in Friemersheim, hat dagegen nach seinen Angaben in der kommenden Woche alle eigenen Patienten geimpft. „Insgesamt sind es dann es 2000 Impfungen seit Anfang April, hauptsächlich mit Biontech und Astrazeneca“, so Nedden. „Wer jetzt einen Impftermin haben will, bekommt bei mir schon in der kommenden Woche einen Termin.“

Über die aktuelle Stiko-Empfehlung für eine Kreuzimpfung bei Astrazeneca hat sich der Mediziner geärgert, „weil die Entscheidung so kurzfristig und ohne Abstimmung mit uns Ärzten gefallen ist“, stellt er klar. „Hätte ich das früher gewusst, hätte ich mehr Biontech für diese Woche bestellt. Mir hat nun zum Glück eine Betriebsärztin ausgeholfen, so dass bei mir schon jetzt Kreuzimpfungen möglich sind.“

Landet Astrazeneca im Müll?

Die hier empfohlenen kürzeren Abstände zwischen Erst- und Zweitimpfung stellen ihn nach eigenen Angaben organisatorisch vor keine Schwierigkeiten. „Ich habe schon früh die zweite Dosis Astrazeneca bereits nach vier, fünf Wochen gegeben, so dass das jetzt auch mit Biontech terminlich passt“, so Nedden. „Ob ich allerdings die 250 Astrazeneca-Dosen, die ich jetzt noch habe, überhaupt loswerde, glaube ich nicht.“

Im August, September werden sie verfallen und, so befürchtet er, im Mülleimer landen. Nedden: „Das wäre schade, bisher habe ich erst eine Spritze mit Astrazeneca wegwerfen müssen.“

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