Duisburg. Bietet das myBUS-Konzept die Möglichkeit, Lücken in Duisburgs ÖPNV zu schließen und Kosten zu sparen? DVG-Fachleute sehen Chancen und Grenzen.
Mit „myBUS“ übernimmt die Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) zum 15. September 2021 erstmals ein Bestell-System (On-Demand) in den Regelbetrieb. Anforderung per App, virtuelle Haltestellen, Abfahrt nach Kundenbedarf – ist das die Zukunft des Öffentlichen Nahverkehrs und eine Chance, das alljährliche Millionendefizit der DVG nachhaltig zu reduzieren? Darüber sprachen wir mit Birgit Adler, Bereichsleiterin Betrieb/Markt und Pierre Hilbig, Leiter Verkehrsmanagement bei der DVG.
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Der Öffentliche Personennahverkehr braucht alljährlich Millionenzuschüsse, um die Defizite auszugleichen. Gibt es Möglichkeiten, das zu reduzieren?
Birgit Adler: In einer Großstadt müssen viele Menschen mit einem Schienensystem bewegt werden. Das ist immer teurer, als wenn man Busse nur dann fahren lässt, wenn sie gebraucht werden. Auf dem Dorf fahren morgens zwei Busse und nachmittags zwei, das war’s dann. Das ist in Duisburg nicht machbar. Wir haben Pendler, Schüler, Universität und Freizeit. Bahnen sind da unerlässlich. Zudem ist ein entsprechendes Angebot Teil der Daseinsvorsorge.
„Wir gehen in Duisburg den richtigen Weg zu einer Mobilitätswende“
Ist der ÖPNV denn defizitär, weil zu wenig Menschen ihn nutzen, oder weil die Tickets zu günstig sind?
Adler: Das ist die Frage nach Henne und Ei. Wenn die Tickets zu teuer sind, fährt niemand mehr mit. Wir müssen gegenüber dem Individualverkehr konkurrenzfähig sein. Dafür brauchen wir ein Angebot, dass die Leute gern nutzen: Anschlüsse müssen vorhanden, die Taktung attraktiv sein. Das erfordert Investitionen, damit damit mehr Menschen ihr Auto stehenlassen. Aber die Politik hat zuletzt viele Beschlüsse gefasst, um das Angebot zu verbessern – mit neuen Stadtbahnen, Elektrobus-Linien und myBUS. Zuletzt haben wir viel aufgestockt und das Angebot nur dort reduziert, wo die Nachfrage sehr gering war. myBUS etwa kann eine Möglichkeit sein, große mit kleinen Fahrzeugen zu verbinden und mehr Flexibilität zu schaffen. Aber das hat Grenzen: Ich kann die vielen Fahrgäste, die ich mit einem Gelenkbus bewege, nicht mit kleinen Fahrzeugen befördern. Aber wir gehen den richtigen Weg zu einer Mobilitätswende, zu einem attraktiven ÖPNV. Wir müssen den Bürgern ein gutes und modernes Angebot machen. Denn nur wenn mehr Menschen auf den umweltfreundlichen ÖPNV umsteigen, können wir auch die Klimaziele erreichen.
Große Busse fahren aber allzu oft fast leer - täuscht dieser Eindruck? Geht das nicht mit kleineren Fahrzeugen?
Adler: Diese Frage untersuchen wir immer wieder. Wenn wir etwa zwischen 9 und 12 Uhr eine dreistündige Delle in der Nachfrage haben, danach aber wieder große Fahrzeuge benötigen, entstehen auch zusätzliche Kosten, wenn die großen Fahrzeuge rein- und wieder rausfahren. Es ist nicht wirtschaftlich, vier kleinere Busse mit vier Fahrern statt einem großen Bus einzusetzen. Aber gerade in der Nacht versuchen wir nun, mit myBUS verstärkt kleine Busse einzusetzen. Möglicherweise können wir auch auf einigen Linien myBUS einsetzen, um nicht Luft durch die Gegend zu fahren.
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Pierre Hilbig: Das hinzubekommen, ist für viele Verkehrsunternehmen eine große Herausforderung. Es ist enorm schwierig, alle Faktoren zu verknüpfen. Und: Das ist ein Marathon, kein Sprint.
„Nicht alle Duisburger Straßen sind geeignet für große Fahrzeuge“
Helfen bald digitale Tools, mit denen der Kunde seinen Fahrtwunsch am Vortrag anmelden kann, den Fahrzeugeinsatz effektiver zu planen?
Hilbig: Da schauen wir genau hin. Einen Algorithmus für Busse setzen wir auch deshalb nicht ein, weil viele Duisburger Straßen nicht geeignet sind für große Fahrzeuge. Aber in den nächsten zehn Jahren wird bestimmt ein geeignetes System entwickelt. Wir starten als eine der ersten Kommunen jetzt myBUS im Regelbetrieb und sehen bereits eine Entwicklung. Das wird weitergehen. Wenn jeder ÖPNV-Kunde zuvor seinen Weg mitteilt, lässt sich natürlich leichter ein Fahrplan optimieren. Diese Systeme müssen entwickelt und erprobt werden, bevor man sie einführt. Aber wir sind auf einem sehr spannenden Weg.
Im Startport beschäftigen sich junge Unternehmen damit, den Verkehr im Duisburger Hafen zu optimieren, Leerfahrten zu vermeiden. Ist das auf die DVG anwendbar?
Adler: Deshalb sind wir dort ja mit myBUS dabei. Zählgeräte in den Bussen haben wir heute schon, auch Verspätungen können wir überprüfen. Es sind große Datenmengen, die mit neuer Technologie verknüpft werden müssen. Dazu brauchen wir Datenanalysten für unsere Planung, völlig neue Berufsbilder in der Branche. Den Fahrzeug-Einsatz werden wir so optimieren können. Jetzt sind wir zunächst froh, dass wir myBUS in den Regelbetrieb übernehmen können. Wichtig war auch, durch den neuen Nahverkehrsplan einheitliche Betriebszeiten für alle Linien zu schaffen, damit die Kunden sich das merken können. Niemand soll lange recherchieren müssen, wann er von A nach B kommt.
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„Wir müssen den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Bürgerwunsch schaffen“
Trotz neuem Nahverkehrsplan gab es wieder Klagen aus den den gleichen Ortsteilen: Ungelsheim, Rahm-West, Beekerwerth etwa. Ist MyBus dafür die Lösung?
Hilbig: Es gibt keine abgehängten Stadtteile, jeder hat ÖPNV-Anbindungen. myBUS kann eine Lösung sein, sie wird es ab dem 15. September teilweise schon sein. Dann kann jeder den myBUS buchen. Ansonsten gilt: Wir müssen den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Bürgerwunsch schaffen. Zunächst müssen wir jetzt sehen, wie die Kunden die Ausweitung annehmen. Wenn es funktioniert, kann man überprüfen, ob wir den On-Demand-Verkehr noch weiter ausbauen.
Jeder neue Nahverkehrsplan setzt auf dem vorherigen auf. Wäre es irgendwann klug, einen völlig neuen zu schreiben, statt einen alten zu verbessern?
Hilbig: So ein Nahverkehrsplan ist ja kein statisches Gebilde. Was zukunftsweisend ist, wird da eingebracht, es ist ein lebendes Objekt. Im Busbereich war der neue Nahverkehrsplan bereits neu aufgesetzt. Aber man darf nicht vergessen, woher wir kommen. Heute bringen wir eine Million Kilometer mehr auf die Straße und haben perspektivisch sogar die Ausweitung der Schiene mit drin.
„Die Diskussion über einen Nahverkehrsplan für das Ruhrgebiet ist eine politische“
Sind Sie Fan eines ruhrgebietsweiten Nahverkehrsplans oder sollte weiterhin jede Stadt ihr eigenes Ding machen?
Adler: Man muss sich mit allen Städten abstimmen, schauen, wie sich Pendlerströme bewegen. Das machen wir heute schon. Dezentrale Planung und Fachwissen werden wir in jedem Fall brauchen. Das ist eine politische Diskussion der Entscheider in den Rathäusern. Unser Job ist, ein bestmögliches Angebot aus den Vorgaben zu kreieren und damit überzeugen wir schon heute 60 Millionen Fahrgäste Jahr für Jahr.