Duisburg. Beim Aufpassen auf seine Kinder verlor ein Duisburger (46) die Nerven. Sein Sohn ist nun blind und geistig behindert. Gericht spricht Urteil.
Zuletzt hatte der 46-Jährige noch einmal unter Tränen berichtet, wieso er sich am Tatabend so überfordert gefühlt habe, als er in der Wohnung seiner getrennt lebenden Ehefrau in Rheinhausen allein auf seine Kinder – einen Säugling und dessen zwei Jahre älteren Bruder – aufpasste. Daraus sprach allerdings mehr Selbstmitleid als Mitleid mit dem fünf Monate alten Jungen, den er am Abend des 12. Dezember 2020 zum Schwerstpflegefall schüttelte. Das Gericht verurteilte den 46-Jährigen wegen schwerer Körperverletzung zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis.
Im Laufe des mehrtägigen Verfahrens hatte der Angeklagte mehrere Versionen des Geschehens geschildert. Mal war es eher ein Unfall, mal gab er zu, den Jungen kräftig geschüttelt zu haben. Dann ruderte er wieder zurück: Er habe das Kind nur drei mal in seinem Bettchen angehoben und auf die Matratze „gehämmert“.
Angeklagter aus Duisburg lieferte verschiedene Versionen der Tat ab
Am Ende kam der 46-Jährige bei einer Geschichte an, die Elemente aus allen voran gegangenen enthielt: Der zweieinhalbjährige Bruder des Säuglings sei diesem im Spiel auf den Kopf gesprungen. Der Säugling sei unruhig gewesen. Er habe ihn mit den Worten „Sei doch endlich ruhig“ ein Stück angehoben und nicht öfter als drei Mal geschüttelt. Als das Kind plötzlich apathisch wirkte, habe er es aus dem Bett genommen, sei dabei aber gestrauchelt und mit dem Säugling zu Boden gefallen. Dann habe er sofort die Rettung verständigt.
Eine Rechtsmedizinerin kannte keinen Fall, in dem dreimaliges Schütteln gereicht habe, um derart schwere Verletzungen zu bewirken: Das Gehirn des kleinen Jungen wurde schwer verletzt. Der Säugling ist nahezu blind, er kann nur noch Hell und Dunkel unterscheiden. Er leidet unter Lähmungen und ist geistig behindert. Die Expertin konnte aber nicht ausschließen, dass die Darstellung des Angeklagten zutreffen könne: „Es gibt zwar Studien, aber natürlich keine experimentellen Untersuchungen mit Kindern.“
Nebenklagevertreter: „Verhalten des Angeklagten ist schäbig.“
Das Gericht ging im Urteil davon aus, dass der Angeklagte das Baby mindestens dreimal schüttelte. Der Sprung des Zweieinhalbjährigen und der anschließende Sturz hätten keine Bedeutung für die Verletzungen gehabt. Die Tat sei aus einer „konkreten Überforderungssituation“ geschehen und ein Augenblicksversagen gewesen. Zu Gunsten des Angeklagten wurde auch das Geständnis gewertet. „Er ist selbst durch die Tat schwer getroffen“, so der Vorsitzende in der Urteilsbegründung. Zu Lasten des 46-Jährigen wirkte sich eine Reihe Vorstrafen aus. Bislang war er aber nie gewalttätig geworden.
Der Staatsanwalt hatte in seinem Schlussvortrag sieben Jahre Gefängnis gefordert. Dass der Angeklagte auch noch dem Bruder des Babys eine Mitschuld an der Tat geben wolle, sei ungeheuerlich. „Ich finde, dass muss strafschärfend berücksichtigt werden.“ Der Nebenklagevertreter fand noch deutlichere Worte: „Das Verhalten des Angeklagten ist schäbig.“
>>Rechtsmedizinerin: Schütteln setzt ungeheure Kräfte frei
Eine Rechtsmedizinerin verwies auf Auswertungen ähnlicher Fälle, auf Computer-Simulationen und Versuche mit Tiermodellen. Um derart schwere Verletzungen wie im vorliegenden Falle zu erzielen, sei ein kräftiges Schütteln von fünf bis zehn Sekunden mit einer Frequenz von 10 bis 30 Schüttelbewegungen nötig.
Nach Untersuchungen von Wissenschaftlern in Oslo können beim Schütteln eines Babys mehr als 100 G (Gravitiationskraft) erzeugt werden. Das heißt, dass das Gehirn mit seinem hundertfachen Gewicht gegen das Innere des Schädels schlägt. Zum Vergleich: auf einer modernen Achterbahn werden kurzzeitig 4 G frei. Piloten von Kampfjets müssen bis zu 12 G aushalten, werden dabei aber von speziellen blutdruckausgleichenden Anzügen unterstützt, die eine Ohnmacht verhindern.