Digitale Bildung, gesellschaftliche Klimakrise, klimaneutrale Industrie: Die Duisburger Bundestagskandidaten der Grünen haben klare Ziele.
Am 9. April entscheiden die Grünen auf einem virtuellen Parteitag über die Listenplätze ihrer Bundestagskandidaten in NRW. Darauf, dass ihre Namen weit oben auf dieser Liste stehen, hoffen Lamya Kaddor und Felix Banaszak, die beide die Duisburger in Berlin vertreten wollen.
Mit 89 Prozent der Stimmen ist die Islamwissenschaftlerin, Lehrerin und Publizistin in einer Mitgliederbefragung der Duisburger Grünen als Direktkandidatin für die Wahl im Herbst aufgestellt worden, 95 Prozent der Stimmen konnte Felix Banaszak auf sich vereinen. Doch ob beide das Direktmandat gegen die wieder kandidierenden SPD-Bundestagsabgeordneten Bärbel Bas und Mahmut Özdemir gewinnen können? Auch durch den Wahlerfolg der Grünen bei der Kommunalwahl im vergangenen Herbst können beide selbstbewusst auf die Wahl blicken. Und doch betonen sie: „Wir treten nicht gegen Bärbel Bas und Mahmut Özdemir an.“ Ihr Ziel sei nicht, die beiden aus dem Bundestag zu vertreiben, sondern selbst mit einem Angebot den Duisburgern eine Wahl-Alternative anzubieten.
Kein klassisches Parteigewächs
„Ich schätze Bärbel Bas“, sagt Lamya Kaddor, die wie die SPD-Politikerin im Wahlkreis Süd und Südwest kandidiert. „Aber wir, Felix und ich, stehen für etwas anderes. Wir haben andere Schwerpunkte“, sagt die 43-Jährige, die „kein klassisches Parteigewächs“, sondern eine Seiteneinsteigerin mit einer ganz anderen Biografie ist. „Ich bin nicht in die Partei eingetreten, um jemanden zu verdrängen. Wir stehen für etwas und sind nicht gegen etwas. Und dafür setzen wir uns authentisch und glaubhaft ein“, verspricht sie.
Lamya Kaddor und Felix Banaszak wollen „eine andere Zielgruppe stärker ins Bewusstsein holen“ und die „Herausforderungen“, die ihre Wahlkreise bieten, annehmen. Dass Lamya Kaddor als Islamwissenschaftlerin nicht im Norden antritt, mag verwundern. „Aber genau darin liegt der Reiz“, sagt die Mutter zweier Kinder, die selbstbewusst über ihren Migrationshintergrund sagt: „Meine Integrationserfahrung beträgt 120 Kilometer - von Westfalen ins Ruhrgebiet.“
„In der Bildungspolitik sind dieDefizite am deutlichsten geworden“
Schwerpunkte ihrer Arbeit sieht sie „klar in der Bildungspolitik“. Duisburg als Bildungsstandort weiter auszubauen, digital zu vernetzen und eine bessere Familien- und Sozialpolitik – stehen auf ihrer Agenda. „In der Bildungspolitik sind die Defizite in der Corona-Krise am deutlichsten geworden. Das zeigt uns, dass wir in der Bildung noch ein Entwicklungsland sind. Und das sage ich auch als Lehrerin“, sagt Lamya Kaddor. Es könne nicht sein, dass es dem Zufall überlassen wird, „ob Jugendliche Zugang zu Bildung bekommen, indem sie digitales Equipment und Hardware haben. Es ist leichter einen Impfstoff zu entwickeln, als Schulen in Deutschland mit I-Pads zu versorgen. Und das, obwohl wir seit Jahren sagen, wir brauchen eine digitale Schule der Zukunft“, kritisiert Kaddor.
Nach einem Jahr Pandemie „vermuten viele, dass eigentlich jeder 2. Schüler, jede 2. Schülerin das Jahr wiederholen muss“, so Lamya Kaddor. Corona zeige auch, „wer in dieser Gesellschaft als erstes betroffen ist. Und das sind alleinerziehende und erwerbstätige Frauen mit Familie. Von denen wird erwartet, dass sie nebenher den Job der Lehrerin übernehmen, Köchin werden und ihren eigenen Beruf schmeißen müssen.“ Auch hier muss die Politik mehr entlasten. „Warum schaffen wir es bis heute nicht, längere Betreuungszeiten einzurichten?“, fragt Lamya Kaddor.
Der Weg zur klimaneutralen Industrie
Der Bildungsaufstieg dürfe „nicht nur eine Floskel bleiben, genauso wie der Naturschutz nicht nur ein Lippenbekenntnis sein darf“. Und es gehe darum, zusammenzuhalten. Denn längst gebe es nicht nur eine „ökologische Klimakrise, sondern auch eine gesellschaftliche Klimakrise.“ Der Umgang mit einander verschärfe sich, „es stellen sich Fronten heraus, die auch bereit sind, mit einer bestimmten, scharfen Sprache gegen andere in dieser Gesellschaft zu schießen“, sagt Lamya Kaddor mit Blick auf eine „Zunahme von Radikalisierung.“ Doch eine bunte, vielfältige Gesellschaft, wie sie Duisburg hat, biete auch Chancen. „Denn Vielfalt bedeutet ja auch Kreativität. Und Kreativität ist immer eine Voraussetzung für Wandel.“
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Und ein Wandel sei in vielen Bereichen erforderlich. „Wir brauchen eine Entwicklung nach vorne. Auch in der Stahlindustrie. Wir müssen darüber nachdenken, wie sich die Stahlindustrie in eine klimaneutrale Industrie entwickeln kann und müssen die Förderprogramme entsprechend auch so anlegen. Hier muss der Stahl der Zukunft und nicht der Vergangenheit produziert werden. Irgendwann wird es die Nachfrage nach klimaneutralen Stahl geben. Und das wird auch eine zentrale Frage in der Chemie und anderen Industrien sein“, sagt Felix Banaszak, der im Norden Duisburgs als Bundestagskandidat antritt.
Für die Grünen ist es ein besonderer Wahlkreis. „Nirgendwo war bei der Bundestagswahl 2017 die Wahlbeteiligung geringer, die Arbeitslosigkeit ist etwa doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Wenn Menschen Marxloh oder Neumühl hören, haben sie direkt ein oft einseitiges Bild vor Augen“, sagt der Grünen-Landesvorsitzende. Doch umso größer sei der Ansporn, „um Vertrauen zu werben“ – für die Politik im Allgemeinen, für die Grünen und „uns beide als Vertreter dieser Stadt im Wandel, die die besten Zeiten nicht hinter, sondern noch vor sich hat.“
Zweiter Anlauf für den Bundestag
Die Ökologie müsse in Zukunft die Klammer für die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sein. Duisburg sei eine Industriestadt „mit einer langen sozialdemokratischen Tradition. Aber es gibt auch hier ein großes Potenzial ökologisch denkender Menschen, die wissen, dass wir etwas verändern müssen, um nicht alles zu verlieren“, ist der gebürtige Duisburger überzeugt. Er will auf Bundesebene unter anderem mit einer „inklusiv integrierenden Arbeitsmarktpolitik“ Akzente setzen.
Für Grünen-Landeschef Felix Banaszak ist es nach 2017 der zweite Anlauf in den Bundestag zu kommen.
Lamya Kaddor bewirbt sich zum ersten mal um ein Mandat. Dass coronabedingt kaum Präsenzveranstaltungen möglich sind, erschwere den Wahlkampf: „Ich hatte bislang nur eine Präsenzveranstaltung. Es läuft alles nur über Video. Hier den Menschen zu zeigen, wie man ist, das ist nicht einfach“, sagt Lamya Kaddor. Mimik und Gestik auf den Bildschirm-Kacheln seien nicht das gleiche, als wenn „die Leute einen auf Veranstaltungen und im persönlichen Gespräch kennenlernen können.“ Ihre Kandidatur, gesteht sie, komme ihr noch manchmal „surreal“ vor.