Duisburg. Wer während des Zweiten Weltkriegs Widerstand leistete, riskierte sein Leben. Duisburger Historiker über besonderen Wagemut im Holocaust.
Wer 1944 einem Juden half, der riskierte sein Leben. Die Duisburgerin Annemarie Möller versteckte für einige Tage eine Halbjüdin, im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs wurde man für weniger umgebracht. Schon mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begannen 1933 organisierte Ausschreitungen gegen Juden: Drangsalierungen, Verordnungen und Einschränkungen waren an der Tagesordnung und grenzten sie aus der Gesellschaft aus.
Das Kultur- und Stadthistorische Museum schreibt anlässlich der Ausstellung „Jüdisches Leben in Duisburg von 1918 bis 1945“ im Zentrum für Erinnerungskultur: „Ihr Eigentum wurde „arisiert“, ihr Leben massiv bedroht und ihre Gotteshäuser wurden zerstört. Sie wurden verhaftet, misshandelt, deportiert und schließlich brutal und systematisch ermordet. Wo sich vereinzelt Wege der Rettung zeigten, erscheinen sie uns heute wie Lichtblicke in der Dunkelheit.“
„Stille Helden taten, was menschlich geboten und moralisch richtig war“
Auf der anderen Seite waren auch all jene bedroht, die sich solidarisch zeigten, die helfen wollten, die gegen den Antisemitismus der Nationalsozialisten waren. Die uneigennützige Hilfe von Annemarie Möller zeige, „wie widersprüchlich die Jahre 1933 bis 1945 auch in Duisburg waren. Neben den Tätern und Opfern gab es auch die „stillen Helden“, die getan haben, was menschlich geboten und moralisch richtig war, was aber eben auch sehr viel persönlichen Mut und gut funktionierende Netzwerke erforderte“, sagt Dr. Jan-Pieter Barbian, Leiter der Stadtbibliothek und Autor mehrerer Bücher zur NS-Zeit.
Derartige Hilfe war lebensgefährlich: „Wer Juden in Deutschland unterstützte, war für die Nationalsozialisten ein „Volksverräter“ (als solche galten ja auch die Attentäter des 20. Juli und viele andere Widerstandskämpfer). Dafür wurde die Todesstrafe angedroht. Im Jahr 1944, aber auch schon davor erfolgte die Bestrafung in Eilverfahren vor dem Volksgerichtshof und anderen Gerichten - je nach Bedarf der Machthaber“, beschreibt der Historiker.
Der Kreis der Mitwisser sei deshalb klein gewesen. „Je mehr eingeweiht waren, desto größer war die Gefahr, dass es ein Spitzel erfuhr.“ Die Quäker hatten eine vorbildliche Rolle, sagt Barbian. Als Pazifisten lehnten sie den Krieg ab und halfen, wo es nur ging.
Eine Nachbarin wurde wegen eines Glases Wasser deportiert
Wie radikal die Machthaber vorgingen, verdeutlicht Barbian mit einer Beobachtung der eigenen Familie: „Meine Großmutter hat in Amsterdam, wo sie mit meinem deutschen Großvater und meiner Mutter im gut bürgerlichen Süden der Stadt in der Nähe des Concertgebouw lebte, bei der Deportation ihrer jüdischen Nachbarn an einem heißen Julitag des Jahres 1942 miterlebt, wie „arische“ Nachbarn aus Mitleid ihren jüdischen Mitbürgern Wasser gaben - und dafür dann gleich mit deportiert wurden.
Selbst wenn das deutsche Besatzungsregime in den Niederlanden besonders brutal war - im Deutschen Reich wäre es damals nicht anders abgelaufen. Wer Juden unterstützte, riskierte sein Leben. Und die Angst davor, überwanden nur wenige.“ Barbian betont, dass es sich hierbei um Wehrmachts-Soldaten gehandelt habe, nicht um die SS.
Über 1000 Juden in Duisburg überlebten den Holocaust nicht
Der Nationalsozialismus hat in Duisburg viele Spuren hinterlassen. 1938 wurden in der Reichskristallnacht die drei Synagogen in der Innenstadt, in Ruhrort und Hamborn zerstört. 1051 Juden wurden Opfer des Holocaust, sagt Dr. Andreas Pilger, der Leiter des Stadtarchivs und des Zentrums für Erinnerungskultur. „Das sind gut ein Drittel aller vor 1933 in Duisburg lebenden Juden.“
Dem gegenüber stehen 180 politische Widerstandskämpfer, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. In der Mehrzahl seien es Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionäre gewesen. Der Widerstand sei vornehmlich aus linken oder kirchlichen Kreisen gekommen.
Laut Pilger gab es etwa 3.800 politisch Verfolgte in Duisburg. Es gebe aber eine hohe Dunkelziffer, außerdem eine „beträchtliche Grauzone“, ab wann man von Widerstand sprechen könne. Unter den Verfolgten gab es 1.200 Kommunisten, 400 Sozialdemokraten und Gewerkschafter, 150 Zeugen Jehovas, 150 Sinti und Roma, 30 Kranke und Behinderte. Bei 1.900 Personen ist der Verfolgungsgrund nicht klar zu ermitteln. Eine größere Zahl sei zum kirchlichen Widerstand zu rechnen, sagt der Historiker.