Duisburg. Sprachkurse, Jobsuche: Vieles geht derzeit nur online. Für Flüchtlinge ist das ein Problem, weiß Integrationsberater Reiner Siebert.
Fünf Jahre nach Angela Merkels Spruch „Wir schaffen das“ leben 2020 in Duisburg von etwa gut 15.000 Flüchtlingen noch immer rund 2650, vor allem junge Männer, in Flüchtlingsunterkünften, bei denen das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Bei etwa 12.500 Flüchtlingen wurde mittlerweile das Asylverfahren positiv beschieden, was aber nicht heißt, dass sie in der Duisburger Gesellschaft angekommen sind. Auch für sie ist es noch ein weiter Weg, auch wenn sie eine große Hürde, das Asylverfahren zu durchlaufen, schon genommen haben. „Aber die Menschen, die in dem Asylverfahren feststecken oder nur geduldet sind, leben weiterhin in einer sehr schwierigen Situation“, sagt Reiner Siebert, der das Projekt „InCoach“ des BiG (Bildungsinstitut im Gesundheitswesen) in Duisburg leitet. Und unter Corona sei alles noch viel schwieriger als eh schon.
Seit Anfang 2017 berät Reiner Siebert in einem Büro im DGB-Haus am Stapeltor Flüchtlinge. „Der Druck der großen Flüchtlingszahlen hat seit 2015 in Deutschland zwar drastisch abgenommen und viele Menschen in ganz Deutschland haben die ersten Schritte der Integration in ihrer neuen Heimat geschafft haben. Geringer geworden ist dabei allerdings nur die Zahl der neuen Asylsuchenden. Der Beratungsbedarf ist eher angestiegen, auch in Duisburg“, sagt Reiner Siebert.
"Gesetzliche Änderungen haben Bedrohungsszenarien aufgebaut"
In Duisburg lebten in den Spitzenzeiten der Flüchtlingskrise Ende Juli 2016 in 22 Übergangsheimen, Notunterkünften und weiteren fast 1.000 Wohnungen insgesamt 6.830 Flüchtlinge. Den erhöhten Beratungsaufwand im „InCoach“-Büro erklärt Reiner Siebert damit, dass „zunehmend auch Familienangehörige in die Beratung einbezogen werden. Andererseits zeigt sich auch nach Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung ein hoher Beratungsbedarf im Behördendschungel, um zum Beispiel aufenthaltsrechtliche Fragen zu klären, die berufsbegleitende Verbesserung in der deutschen Sprache zu organisieren oder Kinderbetreuung zu sichern.“
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Zahlreiche gesetzliche Änderungen im Asyl-, Aufenthalts- und Ausländerrecht hätten seit 2015 „die Integration nicht erleichtert, sondern ,Bedrohungsszenarien’ aufgebaut, um vor weiterer Zuwanderung abzuschrecken. Und dies mit erheblichen Folgen für diejenigen, die bereits hier sind und sich integrieren wollen“, kritisiert Reiner Siebert.
"Unterbringung überwiegend konfliktfrei gestaltet"
Zurzeit gibt es in Duisburg zwölf Gemeinschaftsunterkünfte und über 440 Wohnungen, in denen die Flüchtlinge, die von der Stadt Duisburg untergebracht werden, leben. Es war für die Kommune eine riesige Kraftanstrengung. „Anfangs standen nicht genügend Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung. Der Druck war enorm“, sagt Duisburgs Sozialdezernentin Astrid Neese. Alle Beteiligten hätten aber „mit außergewöhnlichem Einsatz dazu beigetragen, dass alle uns zugewiesenen Menschen würdevoll untergebracht und betreut werden konnten. Niemand wurde obdachlos“, blickt Neese zurück.
Nur durch gegenseitige Unterstützung konnte „die besondere Aufgabe bewältigt werden. Viele ehrenamtlich Aktive, Unterstützer und Unterstützergruppen haben sich mit umfangreichen Angeboten bemüht, den Menschen das Ankommen zu erleichtern“, sagt Neese. Fünf Jahre danach ist die Beigeordnete überzeugt: „Trotz der hohen Anzahl an Neuzugängen und unterschiedlichen Herkunftsländern und Kulturen ist es uns gelungen, die Unterbringung überwiegend konfliktfrei zu gestalten.“
Stadtspitze fordert Beteiligung von Bund und Land an den Kosten
Für die Betreuung und Unterbringung gab die Stadt Duisburg in 2019 rund 25,5 Millionen Euro brutto aus. Bund und Land erstatteten ungefähr 12,6 Millionen Euro, so dass auf die Stadt Duisburg um die 12,9 Millionen Euro entfielen. Immer wieder fordert die Stadtspitze eine höhere Beteiligung von Bund und Land an den Kosten. Die angesetzten Pauschale für anerkannte Flüchtlinge sei zu niedrig angesetzt, kritisierte immer wieder Oberbürgermeister Sören Link.
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Denn Integrationsarbeit bedeutet mehr als nur eine Unterkunft und die Versorgung mit dem Notwendigsten. Viele Flüchtlingskinder gehen mittlerweile in Kindertageseinrichtungen und auch ihre Eltern werden in den Kitas zu den Erziehungsansätzen in Deutschland und den Bildungseinrichtungen beraten. „Leider gibt es hier großen Unterstützungsbedarf, weil Kinder unter den Erfahrungen leiden, die sie auf der Flucht gemacht haben“, sagt Astrid Neese. Ihr ist wichtig, „diesen Menschen auch künftig wertschätzend und auf Augenhöhe zu begegnen, sie zu betreuen und zu integrieren. Füreinander und Miteinander.“
"55 Prozent der Ratsuchenden haben einen ungesicherten Aufenthalt"
Auf Augenhöhe zu begegnen: "Da ist noch viel Luft nach oben", sagt Reiner Siebert. Gut 500 Ratsuchende (plus deren Familienangehörige) aus 36 Ländern mit den Schwerpunkten Syrien (43%), Afghanistan (18%), Iran (8%), Irak (5%) haben bislang im Integrationsbüro, das eng mit Behörden, Verbänden, Einrichtungen und Unternehmen zusammenarbeitet, Rat gesucht. Nut 18 Prozent von ihnen waren Frauen. Mehr als die Hälfte aller Ratsuchenden (54%) sind Männer zwischen 25 und 45 Jahren. Nur neun einzelne Ratsuchende hatten bei dem Beratungsbeginn einen dauerhaft sicheren Aufenthaltsstatus, "55 Prozent haben einen völlig ungesicherten Aufenthalt und bleiben über Monate bis Jahre in dieser Unsicherheit", weiß Reiner Siebert.
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Es sind eine Reihe von Initiativen entstanden: Einzelfallstudien und Hilfen beim Deutschlernen durch Studierende der Uni Duisburg-Essen; Gesprächskreise zum Deutschlernen in der VHS, Stadtbibliothek und im Lehmbruckmuseum; die Gründung eines „Vereins syrischer Ingenieure“ oder ein „Schulhelfer-Projekt“ für zugewanderte Lehrerinnen und Lehrer mit dem Kommunalen Integrationszentrum der Stadt.
Beratungen sind trotz Corona weitergelaufen
Das Corona-Jahr hat auch die Flüchtlings- und Integrationshilfe erschwert. "Die Beratungen sind natürlich weitergelaufen. Aber sie haben sich verlagert" - ins Digitale. Persönliche Gespräche im Büro gab es nur vereinzelt. Es passiere mehr übers Telefon, aber "das Hauptmedium der Geflüchteten ist Whats-App", sagt Rainer Siebert. Auch eine Mail sei kein einfaches Medium für Flüchtlinge. Mittlerweile geht es in den Gesprächen oft darum, "eine berufliche Perspektive herauszuarbeiten. Diese Gespräche haben unter Corona gelitten, sind aber wichtig", erklärt Siebert. Das Problem sind oft Schul- oder Berufsabschlüsse, die in Deutschland so nicht anerkannt werden: "Oft haben die Flüchtlinge das Gefühl, dass das, was sie im Heimatland erlernt oder gemacht haben, nichts Wert ist."
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Oft gehe es auch darum, den Ratsuchenden im alltäglichen Umgang mit Ämtern, dem Jobcenter oder der Ausländerbehörde zu helfen. "Durch den Lockdown gab es beispielsweise keine Termine beim Ausländeramt. Alles lief schriftlich. Das hat die Leute total überfordert", weiß Reiner Siebert. Und: "Den Leuten fällt es auch schwer, bei den Behörden anzurufen und in einer Sprache, die sie noch nicht so gut können, ihre Anliegen vorzutragen."
Eine Ausbildung ist für viele eine Bleibeperspektive
Reiner Siebert berichtet von Fällen, in denen Geldleistungen gestrichen wurden, weil die Ausländerbehörde nicht rechtzeitig notwendige Ausweisdokumente verlängert hat. Er kennt viele junge Flüchtlinge, die eine Ausbildungsduldung haben und alle Hoffnung in ihre Lehre stecken, diese aber unter schweren Bedingungen durchziehen müssen, "weil sie noch in einer Flüchtlingsunterkunft mit mehreren eng zusammen leben, was das Lernen erschwert. Diese jungen Menschen stehen unter einer Mehrfachbelastung." Für viele Flüchtlinge sei aber die Ausbildung "der einzige Weg, eine Bleibeperspektive zu finden", so auch für einen ausgebildeten iranischer Ingenieur, der eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker begonnen hat.
Corona habe das Hilfesystem für Flüchtlinge auf eine harte Belastungsprobe gestellt. Was bleibt ist die Hoffnung auf ein 2021, in dem die persönliche Beratung wieder fortgesetzt werden kann. Denn über "Whats-App" alleine lassen sich viele Probleme nicht lösen.