Duisburg. Mehr als 80 Jahre lang waren in Duisburg die Kleingärten am Wedauer Güterbahnhof eine Oase der Ruhe. Nun gab der letzte Pächter den Schlüssel ab.

Genau wie Trinkhallen und begrünte Halden sind Schrebergärten ein Markenzeichen des Ruhrgebiets. Auch Gisela und Günter Leißing nannten im Herzen Wedaus mehr als 390 Quadratmeter Gartenglück ihr Eigen. Doch nach mehr als 50 Jahren müssen sie ihre Parzelle räumen, die Bagger von „6-Seen-Wedau“ rücken näher. Einen Neubeginn auf den Ersatzflächen wollen die beiden Duisburger aufgrund ihres Alters nicht wagen – und blicken umso wehmütiger zurück.

„Wir wollten die Gärten eigentlich nicht abgeben und haben darum gebeten, sie auszusparen, aber es war nichts zu machen“ sagt Günter Leißing. Anfang Dezember gab auch der 82-jährige, der sich zuletzt noch um den Strom auf der Anlage gekümmert hatte, symbolisch den Schlüssel ab – als Letzter. Doch das Leben beim Verein „Bahnlandwirtschaft Wedau-Bissingheim“ sei ohnehin schon lange nicht mehr dasselbe gewesen, klagen die beiden Rentner.

Duisburger Kleingärtner verbringen Sommerferien an Sechs-Seen-Platte

Früher, erzählt Günter Leißing, da habe er Kanarienvögel gezüchtet in seiner Gartenlaube. „Die Kinder hatten einen Sandkasten und ihre Schaukel hier, und einen Teich: Unser Sohn hat am Blauen See Frösche gefangen und sie hier angesiedelt“, schildert er. „Im Sommer sind wir im Masurensee schwimmen gegangen“. Großstadt-Idylle auf 390 Quadratmetern. Irgendwann schloss sich der Kreis, auch die Enkel verbrachten die Ferien bei Oma und Opa im Garten.

Das Ehepaar stammt aus Emmerich am Rhein, Günter Leißing arbeitete bis zu seiner Pensionierung 1996 auf dem Rangierbahnhof. Sie wohnen noch immer unweit der Gärten, im Schatten der Wedauer Brücke. „Die Leute im Verein, das waren alles Eisenbahner“, sagt Leißing, der selbst 13 Jahre Vorsitzender war. „Wir haben gemeinsam Sommerfeste gefeiert und den Tanz in den Mai, da haben alle mit angefasst“, beschreibt er die Gemeinschaft.

Kleingartenanlage muss 6-Seen-Wedau weichen

Seine Frau ergänzt: „Die Frauen haben über 30 Torten fürs Buffet gestiftet, eine schöner als die andere.“ Das Vereinsheim entstand in den 80ern, gebaut von den Kleingärtnern selbst. Gisela Leißing pflanzte nicht nur Beeren und Gemüse an, sondern auch prächtige Kamelien, wunderschöne Rosen, duftenden Oleander und würzigen Rosmarin.

Doch die Gemeinschaft wandelte sich: Viele Pächter verstarben, neue Familien siedelten sich an in Wedau. Fehlende Sprachkenntnisse auf beiden Seiten erschwerten die Kommunikation – die Leißings und viele andere Kleingärtner begannen zu fremdeln. Dann wurden die Pläne zu 6-Seen-Wedau, die jahrelang in weiter Ferne lagen, konkreter und das Ende der Kleingartenanlage, wie die Familien sie kannten, rückte näher.

Diebe plündern die Überreste der Gartenlauben

Zwischen April und November 2020 seien die Kleingärtner aufgefordert gewesen, ihre Parzelle zu räumen. Das Angebot, auf die Ersatzflächen umzuziehen, schien vielen lukrativ: „Für eine komplett geräumte Parzelle gab es 3000 Euro, wer sein Häuschen noch dort stehen hatte, bekam immerhin noch 1500 Euro“, schildert Leißing, der sich einen einheitlichen Abschied gewünscht hätte.

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„Unseren letzten Sommer konnten wir nicht mehr genießen, die Parzellen sind verwildert und zugewuchert. Dazu die Metalldiebe: Die sind hier eingebrochen und haben Zäune, sogar das Eingangstor mitgenommen. Im Grunde war uns das egal, aber so hätte es nicht zu Ende gehen sollen“, bedauert Leißing.

Vorstand des Vereins freut sich auf Leben auf den Ersatzflächen

Einen Neuanfang wollen die beiden aufgrund ihres Alters nicht mehr wagen. „Zumal die neuen Anlagen noch nicht fertig sind. Die Sachen der Kleingärtner lagern in Containern. Alle Parzellen sehen gleich aus, die Lauben auch – da fehlt der Charakter.“

Botho Hagedorn, der dem Verein derzeit kommissarisch vorsteht, sieht in der Container-Lösung kein Problem: „Dass der Übergang nicht reibungslos klappen würde, war klar“, meint er. Tatsächlich sei nur rund ein Drittel der 97 Parzellen durch Ehemalige belegt. „Ein Viertel unseres Vereins ist zwischen 75 und 80 Jahren alt, denen ist das zu anstrengend. Man muss ja auch bedenken, dass alle Sträucher, die man anpflanzt, Jahre brauchen, bis sie gewachsen sind.“

Mit dem E-Bike zum Sonnenbaden nach Buchholz

Die neue Anlage bietet laut Hagedorn aber auch Vorteile: „Die Wege sind kurz und alles ist gleich groß. Man hat weniger Arbeit, weil auch die Parzellen kleiner sind.“ Die Plätze seien begehrt. Gisela und Günter Leißing werden sich bis dahin ein Ersatzgärtchen gesucht haben: „Unsere Tochter lebt in Buchholz: Da fahren wir dann im Sommer mit dem E-Bike hin und legen uns in die Sonne.“

>> VEREINSGRÜNDUNG 1936 DURCH DIE REICHSBAHN

Die Kleingartenverein „Bahn-Landwirtschaft Wedau-Bissingheim“ wurde 1936 als soziale Einrichtung der Reichsbahn gegründet. Genutzt wurde die Fläche neben den Gleisen schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts.

Während des Krieges und der Nachkriegszeit dienten die Gärten vor allem als Lieferanten für frisches Obst und Gemüse, auch Vieh wurde dort gehalten. Später wurde die Anlage immer mehr zu einem Ort der Erholung, auch wenn die Kleingärtner bis zuletzt noch Lebensmittel anbauten.