Duisburg. Unzufriedene und Verdrossene könnten aus Dankbarkeit wählen. Auffällig viele Duisburger konnten nicht per Brief abstimmen. Das wirft Fragen auf.

Nach dem Demokratieindex der Zeitschrift The Economist war Australien 2019 noch demokratischer als Deutschland. In Australien muss eine Geldstrafe zahlen, wer nicht wählt. Eine Wahlpflicht gibt es hierzulande nicht. Unser Grundgesetz lässt aus guten Gründen jedem Bürger die Freiheit, sich nicht für Politik zu interessieren oder als Nichtwähler Unzufriedenheit auszudrücken. Eine niedrige Wahlbeteiligung ist immer ein Indiz dafür, dass Bürger unzufrieden mit ihren Volksvertretern sind. In Duisburg war die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen 2014 mit 40,4 Prozent so niedrig wie nie zuvor nach Kriegsende. Die Menschen hier fühlen sich weniger gut vertreten als in anderen Städten.

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Das liegt freilich nicht nur an der Kommunalpolitik. Gründe sind auch die besonderen wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die jahrelangen Zumutungen für Bürger in dieser zum Sparen gezwungenen Stadt. Gleichwohl fühlen sich viele Duisburger von Stadtrat, Bezirksvertretungen und Verwaltung nicht gut vertreten; dafür sprechen auch die Ergebnisse unserer Stadtteil-Check-Umfrage.

Aber selbst die Unzufriedensten hätten in diesem Jahr noch einen Grund mehr, ihr demokratisches Recht der Stimmabgabe zu nutzen und am Sonntag zu wählen: Dankbarkeit.

Warum auch Unzufriedene am Sonntag wählen sollten

Denn dieser Tage sollten wir unsere Grundrechte noch mehr schätzen und unsere Freiheit, uns auf allen Ebenen – etwa durch freie Wahl – politisch beteiligen zu dürfen. Unsere Meinung frei äußern zu können. Für diese Möglichkeiten der Einflussnahme riskieren die Menschen in Belarus gerade Misshandlungen durch willkürliche Staats- und Polizeigewalt.

Hierzulande dürfen dagegen nicht nur Wohlstandsegoisten, Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker staatliche Corona-Maßnahmen öffentlich kritisieren. Wir alle dürfen das ohne Angst und Kontrolle – in einem Land, das seine Bürger trotz vieler Probleme und Lerneffekte durch Maßnahmen von Bund, Land und Kommunen besonders erfolgreich vor dem Virus geschützt hat, das in der Wirtschaftskrise Arbeitgeber und Angestellte mit Milliarden Euro stützt.

Um das Krisenmanagement unserer Politiker und Behörden beneiden uns jedenfalls Menschen von den USA bis China ebenso wie um unsere allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen.

Hoffnung auf eine höhere Wahlbeteiligung in Duisburg macht eine Form der Re-Politisierung, die bei uns zuletzt etwa bei den „Fridays for Future“-Demonstrationen zu erkennen war. Und immerhin sind bei den Kommunalwahlen mehr als 13.100 Duisburger das erste Mal wahlberechtigt.

Fehlende Briefwahlunterlagen: Bei Stadt und/oder Post sind Fehler passiert

Ein ungutes Gefühl und viele Fragezeichen hinterlassen mit Blick auf Wahlrecht und -beteiligung die auffällig vielen Beschwerden von Duisburgern, die vergeblich tage-, mitunter wochenlang auf die von ihnen angeforderten Briefwahlunterlagen gewartet haben. Wo sind diese auf der Strecke geblieben? Wie viele Stimmzettel sind überhaupt insgesamt verschwunden? Und könnten womöglich gar Wahlfälscher diese nutzen?

Dass solche Befürchtungen gar nicht so abwegig sind, zeigen die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Beschuldigte von drei Parteien, darunter BIG-Dergah und NPD.

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Vertreter von Post und Wahlamt versichern mit Ausdauer, sie können sich die anhaltend vielen Beschwerden nicht erklären. Aber zumindest in einer der beiden Organisationen müssen Fehler passiert sein.

Diese Gründe für Verzögerungen kennen wir:

• Die Stadtverwaltung musste nach eigenen Angaben Ende August wegen der Rekord-Briefwahlbeteiligung eine zweite Kuvertieranlage installieren und Extraschichten einlegen.

• Was ein Post-Sprecher erklärt und das städtische Wahlteam bestätigt hat: Es kam Anfang September zu Verzögerungen beim Versand von 4500 Briefen mit Stimmzetteln, weil die Stadt deren Adressen nicht so abgedruckt hat, dass die Post sie maschinell sortieren konnte. Die Briefe mussten darum händisch sortiert werden. Die Verzögerungen, versicherte der Post-Sprecher, seien „nach zwei, maximal drei Tagen wieder aufgearbeitet“ gewesen.

Stimmen diese Darstellungen, erklärt das nicht, warum sich bis Samstag, 12. September so viele Betroffene zu Wort gemeldet haben. Ihre Zahl wirkt zu groß, um sie als Einzelfälle abtun zu können. Die geschilderten Erlebnisse einiger Bürger machen obendrein stutzig. Am Ende steht die – möglicherweise auch wahlrechtliche – Frage, wie viele Stimmberechtigte nicht abstimmen konnten und welche Auswirkungen dies auf einzelne Wahlergebnisse hatte.

Betroffene jedenfalls sollten den Duisburger Wahlleiter Martin Murrack beim Wort nehmen („Wer wählen will, wird wählen können“) und notfalls ins Wahllokal gehen. Sie können sich hoffentlich darauf verlassen, dort vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus geschützt zu werden.

Eine hohe Wahlbeteiligung am Sonntag wäre sehr wichtig für Duisburg.