Duisburg. Gegen den ehemaligen Geschäftsführer des Duisburger Verein „ZOF“ wird Anklage erhoben. So geht es dem Sozialdienstleister nach dem Skandal.

Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des Vereins „Zukunftsorientierte Förderung“ (ZOF) wegen gewerbsmäßiger Untreue in mehr als 900 Fällen Anklage erhoben. Der Angeschuldigte finanzierte laut Anklage unberechtigt zahlreiche eigene Reisen, Hotelaufenthalte und Flüge sowie Club- und Barbesuche aus Vereinsgeldern.

Außerdem soll er 247 Arbeitnehmer nicht bei der Sozialversicherung angemeldet haben. Der Verein ZOF, der während der Flüchtlingskrise bundesweit zu einem wichtigen Player aufgestiegen war, kam ins Gerede. Die Bezirksregierung Arnsberg entzog ZOF Aufträge, in verschiedenen Städten hinterfragten Politiker die Auftragsvergabe an den Duisburger Sozialdienstleister. Eine Rekonstruktion der Ereignisse.

ZOF: Gründerin des Duisburger Vereins war früher bei der Awo beschäftigt

Gegründet wurde der Verein 2004 von Tülay Aksen-Dogan und ihrem Bruder, dem heutigen Angeschuldigten. Die Duisburgerin arbeitete zuvor bereits im sozialen Bereich für die Arbeiterwohlfahrt (Awo) und leitete dort als Sozialpädagogin die Abteilung „Ambulante Familienhilfe“.

Noch während ihrer Tätigkeit, so erinnert sich ein ehemaliger Kollege, der mit ihr zusammenarbeitete, gründete sie ZOF. Daraufhin wurde sie von der Awo freigestellt. „Die Awo ist seit mehr als 50 Jahren ein verlässlicher Partner in der Migrationspolitik. Bei uns wurden Migranten und auch Frauen gezielt gefördert“, macht der ehemalige Awo-Kollege deutlich, warum er diesen Schritt nicht verstanden hat. Er setzt nach: „Eine reine Betroffenheitsqualifikation als Migrant macht noch keine gute interkulturelle Kompetenz aus.“

Die Idee von ZOF wird auf der Internetseite des Vereins so beschrieben: „Im Kern ging es den Gründungsmitgliedern darum, eine ganzheitliche und flexible Kinder- und Jugendhilfe anzubieten, die zeitgleich das Ziel verfolgen sollte, Chancengerechtigkeit in einer pluralistischen Gesellschaft zu fördern. Entsprechend diesem Gründungsgedanken unterstützen wir auch heute und in der Zukunft Menschen in schwierigen Lebenslagen mit dem Ziel einer chancengerechten Teilhabe an der Gesellschaft.“

Bülent Aksen, der heutige ZOF-Geschäftsführer, der später bei dem Verein einstieg und ebenfalls ein Bruder der Gründerin ist, beschreibt es so: „Es ging und geht darum, Kinder-, Jugend-, und Familienhilfe mit Integrationsarbeit auf Augenhöhe durch engagierte und kompetente Mitbürger sicherzustellen, die selbst aus Einwandererfamilien kommen.“

Bülent Aksen war in der 1990er Jahren ebenfalls für die Awo tätig. Der frühere Arbeitgeber der beiden reagierte ebenfalls und gründete 2005 die „Awo Integration“. Da sich die beiden Träger um ähnliche Zielgruppen kümmerten, trafen sie immer mal wieder in der jüngsten sozialpolitischen Geschichte der Stadt aufeinander.

In Spitzenzeiten hatte ZOF nach eigenen Angaben bis zu 1400 Mitarbeiter

Laut eigener Beschreibung sprechen die Mitarbeiter von ZOF „über 20 Sprachen und Dialekte“. So konnten sie Vertrauen zu den Klienten aufbauen und mit ihrer Arbeit auch verschiedene Kommunen überzeugen. Schnell etablierte sich ZOF als Träger im Markt der Sozialdienstleister, war etwa im Bereich der ambulanten Hilfen tätig.

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Von 2006 und 2007 boten die Mitarbeiter etwa ein so genanntes Mikroprojekt für Männer und Väter mit Migrationshintergrund an. Arbeitslose Männer sollte sowohl der Wiedereinstieg in den Job erleichtert und gleichzeitig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vermittelt werden. Dazu gab’s Kurs- und Beratungsangebote. Später eröffnete ZOF ein Büro in Hochfeld, um den Zuwanderern bei der Integration zu helfen. „Wir glauben daran, dass Menschen auch in widrigen Lebenssituationen Gutes erreichen, sich selber weiterentwickeln und in Frieden leben wollen. Wir setzen unsere Kraft dafür ein, dass sie diese Vision leben können“, heißt es passend im aktuellen Leitbild des Vereins.

31. Juli 2014: Die letzten Bewohner verlassen das als „Problemhaus“ bekannt gewordene Gebäude In den Peschen.
31. Juli 2014: Die letzten Bewohner verlassen das als „Problemhaus“ bekannt gewordene Gebäude In den Peschen. © WAZ FotoPool | Kerstin Bögeholz

2013 legte ZOF ein Projekt auf, um die Zustände rund um die Häuser In den Peschen, in denen viele Zuwanderer Südosteuropa lebten, zu verbessern. Sechs Bewohner aus Rumänien reinigten damals die Umgebung oder räumten zugemüllte Keller aus. Gemeinsam mit der Arbeiterwohlfahrt und der Diakonie wurden zudem Umzüge von Familien aus Südosteuropa in andere Immobilien geplant, neue Wohnungen gesucht und renoviert. Hilfe erhielt ZOF dabei auch von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gebag.

Einer, der damals für einen anderen Träger vor Ort aktiv war, erinnert sich allerdings: „ Branko Barisic , der damalige Besitzer des Hauses, hatte den Trägern versprochen, einen Raum zur Verfügung zu stellen, zu dem alle Zugang haben, um dort ihre Arbeit zu machen. In einer kurzfristigen Aktion übers Wochenende hat der damalige ZOF-Geschäftsführer allerdings einen Mietvertrag mit dem Eigentümer unterschrieben. Somit hatte ZOF die Schlüsselgewalt.“ Eine Ehrenamtliche, die in der Zeit ebenfalls als Ansprechpartnerin vor Ort, beschreibt: „Es gab unter den Bewohnern ganz viele Familien, die sich integrieren wollten.“

Im Zuge der aufgeheizten Diskussion um die Situation vor Ort mischten sich auch Rechte ein. „Es gab einen Abend, da standen Menschen mit Schlagstöcken vor der Tür und die Bewohner fühlten sich bedroht“, erinnert sich die Rheinhauserin. In der Folge organisierten die Ehrenamtlichen mit den Bewohnern Nachtwachen, um sich zu schützen: „Wir hätten uns damals mehr Unterstützung der städtischen Akteure, Polizei, von ZOF, aber auch von allen anderen Verbänden gewünscht.“

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Im Sommer 2014 ließ die Stadt das 70-Parteien-Haus räumen. Mittlerweile ist das Gebäude saniert und es ist Ruhe In den Peschen eingekehrt.

Die Arbeit von ZOF endete zwar in diesem Projekt, doch bald sollte der Verein neue Aufgaben übernehmen. Im Zuge der Flüchtlingskrise half der Duisburger Sozialdienstleister sogar bundesweit beim Aufbau von Unterkünften und übernahm in einigen Einrichtungen auch die Betreuung der Asylsuchenden. In Spitzenzeiten, verlautbarten Vertreter des Vereins im Dezember 2015 in einem Zeitungsartikel stolz, seien 1400 Mitarbeiter beschäftigt gewesen.

Konkurrent: ZOF ist „politisch protegiert worden“

Zur Erinnerung: Flüchtlinge kamen zunächst in so genannte Zentrale Unterbringungseinrichtungen (ZUE), wie es sie zum Beispiel im St. Barbara-Hospital in Duisburg-Neumühl gab.

Dort wurden sie registriert und untersucht, wurden die Asylverfahren eingeleitet. „Für das Land NRW war ZOF in Wegberg und Euskirchen sowie Bad Driburg, betrieben durch verschiedene Bezirksregierungen, als Betreuungsdienstleister tätig“, teilt die Pressesprecherin der Bezirksregierung Arnsberg mit.

Von dort wurden die Asylsuchenden den NRW-Städten zugewiesen, die Bezirksregierung Arnsberg übernahm zentral die Verteilung. Zu den Kriterien, warum ZOF den Zuschlag in Bad Driburg bekam, heißt es: „Kriterien waren der Angebotspreis (Gewichtung 40 %) und die eingereichten Konzepte (Gewichtung 60 %).“

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Ein Vertreter eines konkurrierenden Anbieters vermutet hingegen: „ZOF ist politisch protegiert worden. Da wollte man den traditionellen Trägern zeigen, wie die Arbeit schneller und billiger erledigt werden kann.“

„Der hat es geschafft, den Laden hochzubringen, der hatte eine Vision“

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Der Flüchtlingsstrom riss nicht ab. Kurzfristig mussten zahlreiche Unterkünfte geschaffen werden. ZOF, geprägt durch flache Hierarchien, stellte Personal ein und konnte so ad hoc reagieren. Im Auftrag des damaligen Ministerium für Inneres und Kommunales wurde im vierten Quartal 2015 von ZOF ein ehemaliges Bürogebäude am Düsseldorfer Mannesmannufer zur Notunterkunft umfunktioniert.

Gregor Michaux-Vignes, heute Betriebsrat bei ZOF, war dabei: „Die Einrichtung war eine so genannte 1000er, wie wir damals sagten. Es war praktisch nichts vorhanden. Meine Aufgabe war es im Vorfeld, mit einem Team alles so herzurichten, dass dort schnell Leute unterkommen konnten.“

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Ein anderer berichtet, wie pragmatisch die Mitarbeiter in Notsituationen halfen: Da seien auch schon einmal nachts Teams ausgerückt, um, wenn die Discounter neue Waren bekamen, etwa um dutzende Pakete Klopapier für die Einrichtungen einzukaufen.

Dem heutigen Angeschuldigten zollt Michaux-Vignes durchaus Respekt: „Der hat es geschafft, den Laden hochzubringen, der hatte eine Vision.“ Politiker lobten ZOF, Vereinsmitglieder waren immer wieder zu Gast bei Podiumsdiskussionen, um Stellung zum Thema Integrationspolitik zu nehmen.

Haftbefehl gegen den ehemaligen ZOF-Geschäftsführer wurde ausgesetzt

Die Kehrseite: Laut Staatsanwaltschaft soll der damalige Geschäftsführer rund zwei Millionen Euro Vereinsgelder veruntreut haben. Mitarbeiter wurden nicht der Sozialversicherung gemeldet.

2018 knallte es – das Fehlverhalten des ehemaligen Geschäftsführers flog auf. Er kam in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft ermittelte. ZOF geriet ins Gerede, öffentliche Auftraggeber prüften ihre Vertragsbeziehungen mit dem Verein, in einigen Fälle wurden Verträge beendet.

„Im November 2018 wurde ZOF e.V. von der Bezirksregierung Arnsberg aus dem laufenden Vergabeverfahren der dritten Staffel für Betreuungsdienstlistungen in Landeseinrichtungen ausgeschlossen. Hintergrund waren ein laufendes strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Geschäftsführer sowie erhebliche Steuerrückstände“, heißt es in einem Bericht, den NRW-Integrationsminister Dr. Joachim Stamp an den zuständigen Ausschuss des Landtags im Februar 2019 formuliert hat. Das Schreiben liegt unserer Redaktion vor.

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Im März 2019 meldete ZOF Insolvenz an. 348 Mitarbeiter waren betroffen. Rechtsanwalt Dr. Andreas Röpke übernahm als Insolvenzverwalter und versucht, ZOF gemeinsam mit dem neuen Geschäftsführer Bülent Aksen zukunftsfähig zu machen. Gegen den Angeschuldigten, wurde der Haftbefehl gegen Auflagen ausgesetzt. Auf eine Anfrage unserer Zeitung, hat der Angeschuldigte nicht reagiert. Zu seinem Bruder, betont Bülent Aksen, habe er keinen Kontakt. Gründerin Tülay Aksen-Dogan arbeitet mittlerweile als Regierungsbeschäftigte im NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales.