Duisburg. Als Operndirektor musste Stephen Harrison oft eiserne Nerven haben. Er sollte für volle Häuser sorgen. Und ganz schnell kranke Sänger ersetzen.
Mit Stephen Harrison verlässt ein Mann die Oper am Rhein, den das Publikum in über 30 Jahren kaum gesehen hat, ohne den aber nichts laufen würde auf der Bühne. 1988 kam der Pianist aus dem englischen Nottingham an den Rhein. Nach den letzten Monate mit dem vorzeitigen Spielzeit-Aus, dem geplatzten Spielplan für die Saison 2020/21, ständigen Neuplanungen und Corona-Unsicherheiten sagt der Spielplan-Macher: „Es ist eine gute Zeit aufzuhören.“ Im Gespräch blickt er zurück.
Sie sind ungewöhnlich lange an der Deutschen Oper am Rhein geblieben. Hat es Sie nie weggezogen?
Nein, das anfängliche Gefühl, ob es das richtige Haus für mich ist, ist schnell verflogen. Weil ich unter anderem meine Frau, Kammersängerin Marta Marquez, kennengelernt habe. Und dann bekam ich auch die Positionen: Chefdisponent, künstlerischer Betriebsdirektor und Operndirektor. Dann war ich absolut erfüllt – sowohl beruflich als auch privat – und wollte nicht mehr weg.
Drei Intendanten haben während Ihrer Zeit das Haus geleitet, drei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Würden Sie sie kurz charakterisieren?
Kurt Horres, ein Mann des Musiktheaters in schwierigen Zeiten, weil das Publikum nicht so ganz bereit war für das Musiktheater; er hatte es etwas schwer. Auch ein Mann der Literatur, er hat mit seinen Mitarbeitern per Brief kommuniziert. Die Briefe waren literarische Meisterwerke, aber es ging alles sehr formell zu. Tobias Richter war ein sehr polyglotter Mensch, er sprach fließend Italienisch und Französisch, dementsprechend war auch das Repertoire. Er war ein Mann mit viel Witz und hat gute Regisseure ans Haus gebunden wie Christof Loy.
Und Christoph Meyers Handschrift?
Er ist der persönlichste, ich bin mit ihm mehr zusammen gewesen als mit den anderen, auch auf Reisen nach New York, Stockholm, Barcelona und viele andere Städte auf der Suche nach Sängern. Mit ihm kommt man sehr gut aus, er ist sehr kommunikativ, versteht sich gut mit der Politik. Und was er bravourös gemacht hat, sind die Kinderopern, die wir jedes Jahr herausbringen.
Wie viel Einfluss hatten Sie darauf, den Spielplan zu gestalten?
Es wurde immer mehr im Laufe der Jahre. Das Repertoire auszuwählen, ist meine Aufgabe. Dabei muss ich das Ensemble so gut wie möglich beschäftigen, ich muss die Abonnements bedienen und möglichst für volle Häuser sorgen. Mit diesen Parametern konnte ich das Repertoire auswählen.
Und die Renner sind die großen, bekannten Opern?
Ja, die „Zauberflöte“ ist immer voll, auch „La Traviata“, das sind die absoluten Renner. Das andere hängt inzwischen sehr davon ab, ob es eine Neuproduktion ist oder älter. Das Interesse an Neuproduktionen nimmt zu. Wir haben es auch oft erlebt, dass ein Stück im ersten Jahr sehr gut beim Publikum ankommt, und es bereits bei der ersten Wiederaufnahme erheblich schwerer hat.
Hängt es nicht auch von der Inszenierung ab?
Das glaube ich nicht. Es gab sehr populäre Inszenierungen, die trotzdem bei der Wiederaufnahme nicht so gut ankamen. Das liegt denke ich daran: Es gibt ein Publikum für ein Stück, wenn es neu ist, und es gibt ein Publikum, das sich generell für die Oper interessiert, und das will hauptsächlich in die bekannten Stücke. „Tosca“ haben wir schon seit 15 Jahren im Repertoire. Es hängt aber auch von der Jahreszeit ab. Der Anfang ist immer schwer bis zu den Herbstferien, danach kommt das Weihnachtsgeschäft, ab Frühjahr geht alles bestens – sogar bis Ende der Spielzeit im Sommer.
Sie mussten für zwei Häuser planen, das ist besonders anspruchsvoll.
Ja, das ist nicht einfach, weil die Mannschaften kleiner geworden sind, besonders im Chor. Als ich angefangen habe, hatten wird 84 Menschen im Opernchor, da konnte man sehr viele Stücke parallel spielen. Aber der Chor wurde im Zuge der Einsparungen immer reduziert, so dass man nicht mehr parallel spielen konnte. Deswegen mussten wir auch die Anzahl der Vorstellungen reduzieren.
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Waren Ihre aufregendsten Stunden, wenn Sänger krank wurden und deswegen Vorstellungen zu kippen drohten?
Ja, besonders an Wochenenden. Wenn man am Sonntag Angst haben muss, dass ein Sänger absagt. Immer ist die Frage: Gehen die Menschen Sonntag vormittags ans Telefon? Jetzt haben wir immerhin Handys, in der alten Zeit musste man jedesmal zittern, wenn man das Haus verlassen hat und gucken, ob der Anrufbeantworter voll gequatscht war oder nicht. Aufregend ist aber auch, wenn die Technik nicht funktioniert. Ich erinnere mich an eine alte Inszenierung von „Cosi fan tutte“ von Otto Schenk, die voller Umbauten war. Und nach dem ersten Akt ging der Vorhang nicht mehr auf.
Wann war es mal wirklich ganz knapp?
Das war in „Falstaff“. Alberto Rinaldi musste einspringen, und ich habe ihn erst mittags verpflichten können. Er kam aus Italien – und das Flugzeug hob nicht ab. Da habe ich sogar mit dem Piloten im Cockpit gesprochen. Das Flugzeug ist dann in Düsseldorf gelandet um 19.30 Uhr, da sollte die Vorstellung beginnen. Er ist aber im ersten Bild nicht drin, das dauert etwa eine Viertelstunde. In dem Moment, wo ich ihn am Flughafen im Auto hatte, habe ich im Theater angerufen und gesagt: Jetzt könnt ihr beginnen.
Liedbegleiter und Moderator
Außer wenn er abends vor der Vorhang musste, um dem Publikum Unangenehmes mitzuteilen, war der Operndirektor selten auf der Bühne zu erleben: als Liedbegleiter oder Moderator.
Zweimal moderierte er die Silvestergala in Duisburg und in diesem November sollte es die DRK-Operngala sein. Die fällt aus und wird im nächsten Jahr nachgeholt – mit Moderator Stephen Harrison.