Duisburg. Bald bekommt Duisburg wohl wieder ein soziokulturelles Zentrum. Hier eröffnete 1974 das legendäre Eschhaus als zweites Freies Zentrum der BRD.
Man mag nicht an einen Zufall glauben: Das geplante soziokulturelle Zentrum Stapeltor 6 ist von der Adresse des legendären Zentrums Eschhaus an der Niederstraße nur wenige hundert Meter entfernt. Auf dem Grundstück des am 1. Juli 1987 abgerissenen Eschhauses in der Altstadt, direkt neben dem historischen Dreigiebelhaus, erinnert nichts mehr an jene wilden Zeiten, in denen die Freaks aus der Duisburger Szene ihr ehemaliges Textil-Fabrik-Gebäude liebten und die Nachbarn des Hauses laute Rock-Konzerte, Krawall-Punker und den süßen Duft des gelben Marokkaners fürchteten. Der Chaos-Laden hat Duisburg dennoch geprägt – die Großstadt, die heute (noch) kein soziokulturelles oder autonomes Jugendzentrum hat. Das Eschhaus habe „relativ diffuse Ideen in die politischen Köpfe gebracht“, formulierte im Interview mit unserer Redaktion Claudia Leiße, Fraktionssprecherin der Grünen im Rat, einen Zusammenhang zwischen den wilden Zeiten von damals und Vorbehalten gegen solche Zentren heute. Allemal Grund genug, zurückzublicken.
Eschhaus war das zweitälteste Freie Jugendzentrum in Deutschland
Als das Eschhaus am 30. Oktober 1974 nach kontroversen Debatten und mit der Mehrheit der SPD im Rathaus, die auch einmal mehr Demokratie wagen wollte, als zweites Freies Jugendzentrum Deutschlands ganz ohne städtische Aufsicht und verantwortliche Sozialpädagogen eröffnete, da schienen für die jungen Besucher, Musikfreunde und Tänzer goldene Zeiten angebrochen.
Man war endlich unter sich, es konzertierten ein Jüngling mit Namen Helge Schneider, Peter Burschs Bröselmaschine, A.S.H. Pelikan, die Band Ausz und die gesamte Duisburger Musik-Szene.
Weiterhin fand hier das deutsche Folk-Festival mit Hein und Oss Kröher statt, die besten deutschen Jazz-Rocker waren hier und es gab ganz viel Premium-Kabarett mit unter anderem den drei Tornados und der Ersten Allgemeinen Verunsicherung.
An der Theke drängten sich beim samstäglichen Rock-Café viel zu viele Besucher. Hier wurde geflirtet, man verliebte sich und ging nach zu vielen Bierchen im Streit wieder auseinander. Die Dame hinter der Theke hieß vielleicht Frauke, und sie war für das gezapfte Pils im Plastikbecher die richtige und superschnelle Ansprechpartnerin. Dass der Kapitalismus bald verschwinden würde, darüber herrschte Einigkeit. Man wusste nur noch nicht genau wie und wann.
Vor 33 Jahren rollte der Abrissbagger am Duisburger Eschhaus an
Im kommenden Sommer ist es 33 Jahre her, dass der Bagger das Eschhaus dem Erdboden gleich machte. Im neu konzipierten Innenhafen hatten diese kreativen Störenfriede keinen Platz mehr. Es blieben nur die Erinnerungen, die alten Geschichten und die ehemaligen Besucher, die ihren geliebten Chaos-Laden hinter den dicken Mauern noch immer mögen.
Auf 1500 Quadratmetern sah der Zukunftsforscher Robert Jungk damals einen riesigen „Marktplatz“. Wer hier mit dem Joint in der Jeansjacke dem bürgerlichen Mief entfliehen wollte, der war wenigstens unter Gleichgesinnten.
Auch der kämpferische Sozialismus hatte noch Konjunktur. Entsprechende Bücher gab es dazu im Laden von Helmut Loeven, der auch heute noch in seiner Weltbühne an der Neudorfer Gneisenaustraße anspruchsvolle linke Literatur verkauft.
Ein Beirat leitete das Eschhaus ganz basisdemokratisch
Regiert wurde das Haus durch einen Beirat, der als eingetragener Verein ganz basisdemokratisch agierte. Was früher oder später nicht unbedingt die finanzielle und wirtschaftliche Situation des von der Stadt trotz politischer Widerstände im Rathaus hoch subventionierten Hauses verbesserte. Eine seriöse Buchführung wurde weitgehend vermisst.
Was Revoluzzern, Anarchos, Hippies, Ökos und Makrobiotikern sowie Esoteriker jeglicher Couleur furchtbar egal war. Hier sollten die Formen engstirniger und spießiger Bürgerlichkeit keine Geltung besitzen. Die Zeit für frische Luft im Privaten, in der Kultur und in der Politik war gekommen. Derweil zuhause der gestrenge Familienvater bei weiteren Besuchen bei den „Terroristen der linken Kaderschmiede“ mit dem Entzug des Taschengeldes drohte.
Zuletzt kapitulierte die SPD im Duisburger Rathaus vor Kritikern und Nachbarn
Die Berichte der Zeitzeugen bestätigte Jahrzehnte später der junge Historiker Jörg-Philipp Thomsa, der in seinem großartigen und penibel recherchierten Buch „1945 bis 2005 – Kulturpolitik in einer Industrie- und Arbeiterstadt“ auch dem Eschhaus ein sehr aussagekräftiges Kapitel widmet. Zu den Eschhaus-Ehemaligen, das in der soziokulturellen Szene in Deutschland längst einen magisch-nostalgischen Ruf genießt, gehören Zeitgenossen wie Wolfgang Esch, Klaus Küppers, Rolf Menrath, Helmut Loeven und Peter Dietz, die den irrlichternden großen Kulturdampfer aber auch nicht in ruhige Fahrwasser lenken konnten.
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Zuletzt scheiterte das Experiment, als die SPD im Rathaus vor ihren Kritikern kapitulierte und die Nachbarn des Hauses an der Niederstraße mit ihrem Auszug drohten.
Es gab Protest-Demonstrationen gegen die Kündigung des Vertrages, als etwa eine Gruppe Aktivisten während der Duisburger Filmwoche die Bühne stürmte und sich ein hitziges Wortgefecht mit dem damaligen Kulturdezernenten Dr. Konrad Schilling lieferte, der sich als Repräsentant einer bürgerlichen Hochkultur ansah, der mit den jungen Leuten im verhassten Eschhaus noch nie etwas anfangen konnte.
Doch auch wenn zuletzt die politische Unterstützung für dieses grandiose, aber dann auch gescheiterte Experiment fehlte, so hatte das rauschende Fest hinter den alten Mauern doch irgendwann hässlich dunkle Flecken. Die Drogenszene war im oder vor dem Haus, eine Punker-Festival eskalierte und dann blieben in den letzten Jahren auch noch die Besucher weg. Wie schreibt Thomsa treffend: „Dass die soziokulturelle Szene in Duisburg ihre Heimat verlor, daran ist sie nicht ganz unschuldig.“
Alte Feuerwache und „Stapeltor 6“
Die Stadt hatte den Eschhaus-Freunden dann vergeblich eine Kneipe auf dem Kupferhüttengelände oder den alten Schlachthof in Hamborn angeboten. Alibi-Vorschläge?
Dann gab es Jahre später das Zentrum Hundertmeister am Dellplatz, das unter anderem auch finanziell scheiterte, das aber niemals ein soziokulturelles Zentrum in der Tradition des Eschhauses war. Auch die alte Feuerwache in Hochfeld fiel als neuer Standort aus. Man darf gespannt sein, was aus den stolzen Plänen für das alte Decher- Gebäude am Stapeltor 6 wird, mit dem die junge Duisburger Szene ganz in der Nähe des alten Eschhauses eine neue Heimat finden könnte.
Auf eine städtische Nutzungsgenehmigung wird derzeit noch gewartet. Inhaltlich haben Kulturdezernent Thomas Krützberg und der Kulturausschuss das Projekt allerdings schon positiv bewertet. Die Enkel der roten Eschhaus-Großväter haben die Hoffnung nicht aufgegeben.
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Kai Gottlob sucht Filmmaterial vom Eschhaus für seine Stadtgeschichte-Reihe
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Kai Gottlob, langjähriger Leiter des Filmforums und selbst als Filmemacher aktiv, sucht nach wie vor Bilder-Material aus alten Duisburger Zeiten. So würde sich der filmische Heimat-Forscher freuen, wenn er für seinen erst vor einigen Wochen im Filmforum zu sehenden Film über die 70er Jahre in Duisburg noch bisher unbekannte Aufnahmen aus dem Jugendzentrum Eschhaus bekommen könnte.
Wie Gottlob betont, der damals selbst ein Besucher des Zentrums war und dort auch mit seiner Band Konzerte gab, gehe das bis jetzt gefundene Film-Material „gegen Null“. Er könne sich allerdings gut daran erinnern, wie „Film-Teams mit der Kamera durchs Haus liefen“. Wer nun als ehemaliger Eschhaus-Besucher mit persönlichen oder auch offiziellen Aufnahmen dienen und damit Kai Gottlobs Dokumentar-Film bereichern kann, der kann sich unter mail@filmforum.de an das Filmforum am Dellplatz wenden.