Duisburg. Duisburg hat sechs neue Stolpersteine von Künstler Gunter Demnig bekommen. In Marxloh gab es ein Schicksal aus erster Hand zu hören.

Jeder kennt sie: Die golden-glänzenden Steine, die überall in der Stadt in den Bürgersteigen liegen. Die sogenannten „Stolpersteine“ sind Werke des Künstlers Gunter Demnig und erinnern an die Verfolgung und Ermordung von Juden in Europa. Vor dem letzten Wohnhaus der deportierten Menschen erinnern ihre Namen und eine Mini-Biografie an die Ermordeten – und mahnen so vor den Gefahren, die Rassismus und Extremismus auch heute noch darstellen. In Duisburg wurden jetzt sechs neue Steine an drei Orten vom Künstler verlegt, damit liegen in der Stadt nun 306 Steine im Boden. Die Patenschaften wurden jeweils von Duisburgern übernommen, die sich auch mit den Geschichten hinter den Namen beschäftigt haben. Zur Verlegung auf der Weseler Straße in Marxloh kam sogar ganz besonderer Besuch.

Im Erdgeschoss des Hauses auf der Weseler Straße 12 in Marxloh ist heute ein Brautmodengeschäft. Vom 1. April 1930 an wohnte dort Max „Mendel“ Manheim mit seiner Familie, der auf der Kaiser-Wilhelm-Straße ein Schuhgeschäft besaß. An den Juden Manheim erinnert sich besonders Lothar Pützstück aus Köln, Manheim war der zweite Ehemann seiner Großtante. „Die Fensterscheiben seines Geschäfts wurden eingeschmissen“, erinnert sich Pützstück an die Erzählungen seiner Großtante. Mit seiner ersten Frau und ihren zwei Kindern, auch für sie wurden Stolpersteine verlegt, lebte er an der Weseler Straße, bis die Familie nach Krakau flüchtete.

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Eine Geschichte aus erster Hand: Bürgermeister Volker Mosblech (2.v.l.) hört Lothar Pützstück (l.) aus Köln zu. Pützstücks Großtante war die zweite Ehefrau von Max „Mendel“ Manheim; für ihn und seine Familie wurden in marxloh Stolpersteine verlegt.
Eine Geschichte aus erster Hand: Bürgermeister Volker Mosblech (2.v.l.) hört Lothar Pützstück (l.) aus Köln zu. Pützstücks Großtante war die zweite Ehefrau von Max „Mendel“ Manheim; für ihn und seine Familie wurden in marxloh Stolpersteine verlegt. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Am 28. August 1942 werden Mendels Frau Anna und die beiden Töchter Rita und Renna ermordet; Max „Mendel“ selbst überlebte die Internierung in mehreren Konzentrationslagern, zuletzt in Theresienstadt. Nach der Befreiung des Lagers 1945 kehrte er, anders als viele andere deutsche Juden, in seine Heimat Duisburg zurück. Er eröffnete wieder ein Schuhgeschäft, diesmal in Hamborn, baute eine jüdische Gemeinde auf und heiratete Lothar Pützstücks Großtante – die eröffnete gegenüber des Schuhladens ein Textilgeschäft. Schon 1950 aber verstarb Max „Mendel“ Manheim, „wohl an den Folgen seiner Internierung“, vermutet Pützstück.

Auf der Weseler Straße erinnern jetzt vier Stolpersteine an die Familie Manheim. „Ich möchte im Namen der Stadt einen großen Dank an den Künstler, den Jugendring Duisburg, der die Verlegung der Stolpersteine organisiert, und an die Paten der neuen Steine aussprechen“, lobte Bürgermeister Volker Mosblech alle Beteiligten. Paten für die Steine in Marxloh sind die „Heroes Duisburg“, ein Projekt gegen jede Form von Rassismus und für eine offene Gesellschaft. „Wir fragen uns, wie wir eine offenere Gesellschaft schaffen und Rassismus bekämpfen können, deswegen waren wir zum Beispiel erst kürzlich mit einer Mädchengruppe in Auschwitz“, erklärt „Hero“ Susanne Lohaus das Engagement der Gruppe.

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Für den Künstler und seinen Helfer von den Wirtschaftsbetrieben geht es am Montag direkt weiter zur Grünstraße 9 im Dellviertel. Bei den unermüdlichen Unterstützern in der Stadtverwaltung und bei den Wirtschaftsbetrieben wollen sich die Organisatoren vom Jugendring ganz besonders bedanken. „Auf die Unterstützung können wir immer bauen“, freut sich Yannik Form vom Vorstand.

In der Grünstraße hebelt Gunter Demnig derweil eine Bodenplatte aus dem Gehweg, um Platz für den Stolperstein von Alex Meyer zu machen. Geboren am 23. Dezember 1880 in Duisburg wohnte der Jude mit seiner nichtjüdischen Frau Sybille und den Kindern Alex, Otto und Maria ab Mai 1943 in der Grünstraße. Am 24. September 1943 wurde Meyer nach Auschwitz deportiert. Dort starb er am 2. Januar 1944, offiziell an einer Herzschwäche.

Schüler der Oberstufe der benachbarten Globus-Gesamtschule haben nicht nur die Partnerschaft für den Stolperstein übernommen, sondern sich im Zuge einer Unterrichtsreihe zum Thema Antisemitismus intensiv mit Alex Meyer auseinandergesetzt. „Von allen Schicksalen, mit denen wir uns beschäftigt haben, hat uns seines besonders bewegt“, erklärt Lehrerin Joanna Obrusnik-Jagla, „weil seine Biografie so typisch für viele Juden dieser Zeit ist, es andererseits aber auch den Verwaltungsapparat hinter der Vernichtung zeigt.

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Die Schüler haben nach langer Recherche die drei Verbrechen herausgefunden, die Alex Meyer vorgeworfen wurden und zu seiner Internierung führten. 14 Tage Haft bekam er, weil er den Vornamen „Israel“ nicht in seinen Pass eintragen ließ, wegen vermeintlicher Beleidigung eines SA-Mannes gab es noch einmal 14 Tage Haft. Zu seiner Deportation führte letztendlich der Vorwurf, in Richtung einer „deutschblutigen“ Frau gespuckt zu haben. Das Urteil, sich gegen „Volksdeutsche frech verhalten“ zu haben, wurde Alex Meyer, trotz heftigem Widerspruchs, zum Verhängnis. Die Schüler wollen ihr Projekt gegen Antisemitismus, zum dem auch eine Fahrt nach Auschwitz gehörte, auch weiter fortführen. Zu Alex Meyers Todestag am 2. Januar wird es zum Beispiel eine Schweigeminute geben.

Großcousin aus Israel sorgte für neuen Stolperstein in Duisburg

In den Stolpersteinen vereint: Vor dem Haniel-Gelände liegt jetzt der Stolperstein für Markus Keller, über den alten Steinen für seine Verwandten.
In den Stolpersteinen vereint: Vor dem Haniel-Gelände liegt jetzt der Stolperstein für Markus Keller, über den alten Steinen für seine Verwandten. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Der letzte Stein der sechs neuen Mahnmale wird dann in Ruhrort verlegt, auf der Dr.-Hammacher-Straße direkt vor dem Haniel-Gelände. Stolpersteine für die Verwandten von Markus Keller liegen dort schon länger im Boden, ein Großcousin aus Israel sorgte jetzt dafür, dass auch Markus Keller gedacht wird. Geboren im Jahr 1874 flüchtete der Jude 1939 aus Ruhrort nach Luxemburg, wo er aber im „Altenheim“ Fünfbrunnen interniert wurde. Das Altenheim war tatsächlich nichts anderes als ein getarntes KZ, in dem Markus Keller 1942 ermordet wurde. Die Patenschaft für den neuen Stein hat die „Partnerschaft Demokratie“ aus Duisburg übernommen.

Der Jugendring stellt derweil in Aussicht, das auch im vierten Quartal des nächsten Jahres wieder Stolpersteine verlegt werden. „Unser Ziel ist es, irgendwann allen Duisburger Opfern des Nationalsozialismus mit einem Stolperstein zu gedenken“, erklärt Yannik Form. „Das Gedenken auf diese Art und Weise wird immer wichtiger, weil jetzt nach und nach die letzten Zeitzeugen sterben.“ Gunter Demnig sitzt mittlerweile wieder im Auto, er müsse noch weiter, entschuldigt er sich. 17 neue Stolpersteine werde er heute noch in Mönchengladbach verlegen.

Stolpersteine sind das größte dezentrale Mahnmal der Welt

Gunter Demnig verlegt die Stolperstein schon seit 1992. Mittlerweile liegen fast 75.000 Steine in 26 Ländern. Damit sind die Stolpersteine das größte dezentrale Mahnmal der Welt.

Am 29. Dezember 2019 wird in Memmingen der 75.000. Stolperstein verlegt. Die beiden Steine gedenken den Juden Martha und Benno Rosenbaum.

Der letzte Wohnort der beiden, die Kalchstraße 11 in Memmingen, könnte symbolträchtiger nicht sein. Heute sitzt genau an dieser Adresse der Kreisverband Unterallgäu/Memmingen der AfD.