Duisburg. . Nun wird es doch noch ein Loveparade-Strafverfahren geben: Hinterbliebene und Betroffene sind gleichermaßen überrascht – oder zu Tränen gerührt.

  • Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf wird es nun doch ein Loveparade-Verfahren geben
  • Hinterbliebene der 21 Todesopfer sowie die Gruppe der Verletzten und Traumatisierten atmen auf
  • Sie erhoffen sich sieben Jahre nach der Katastrophe endlich Antworten auf die quälenden Fragen

„Ich habe erst einmal geheult – ich weiß gar nicht, ob vor Freude oder aus Erleichterung“, sagt Jörn Teich. Der Sprecher der Verletzten und Traumatisierten der Loveparade-Katastrophe wurde am Montagmorgen – wie so viele andere Hinterbliebene und Betroffene auch – von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf überrascht, dass das Strafverfahren gegen zehn Angeklagte nun eröffnet worden ist (iehe Berichte im Mantelteil).

„Wir haben alle nicht mehr daran geglaubt. Endlich gibt es die Chance auf eine lückenlose Aufklärung, die uns Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 2010 in der Salvatorkirche ja versprochen hatte“, sagt Teich. Zahlreiche der Verletzten stünden auf der Liste der Staatsanwaltschaft als mögliche Zeugen für einen Prozess, so der Sprecher. Diese müssten sich mit dem Erlebten dann vor Gericht noch einmal ganz besonders intensiv auseinandersetzen. Dafür sei ihnen aber der Druck und die Angst genommen worden, dass die ganze Sache juristisch überhaupt nicht mehr aufgearbeitet wird.

Es muss aufgeklärt werden, was falsch gelaufen ist

Edith Jakubassa verlor bei der Loveparade-Katastrophe am 24. Juli 2010 in Duisburg ihre Tochter Marina. Mit der Eröffnung eines Verfahrens hatte sie gar nicht mehr gerechnet,
Edith Jakubassa verlor bei der Loveparade-Katastrophe am 24. Juli 2010 in Duisburg ihre Tochter Marina. Mit der Eröffnung eines Verfahrens hatte sie gar nicht mehr gerechnet, © Stephan Eickershoff

„Ich bin völlig überrascht. Ehrlich gesagt, hatte ich die Hoffnung auf ein Verfahren innerlich schon abgehakt“, sagt Edith Jakubassa aus Hochheide. Ihre Tochter Marina zählte zu jenen 21 jungen Menschen, die bei der Katastrophe am 21. Juli 2010 ihr Leben verloren. Sie war das einzige Todesopfer, das aus Duisburg kam. Dass es nun doch zum Prozess kommt, hält Edith Jakubassa für „richtig und gerecht“. Es müsse aufgeklärt werden, wer damals was falsch gemacht hat.

Klaus-Peter und Stefanie Mogendorf, die bei der Katastrophe Sohn Eike verloren haben, sind emotional gespalten: „Einerseits ist es schön, dass doch noch was passiert. Aber es reißt natürlich sofort wieder alle alten Wunden auf.“ Ob sie wie geplant als Nebenkläger auftreten, müssen sie noch entscheiden. „Letztlich kommt es gar nicht darauf an, wer verurteilt wird. Die Aufklärung des Sachverhalts steht an erster Stelle: Was genau ist passiert? Warum musste es so weit kommen?“, so Mogendorf. Zudem erhofft er sich, dass auch die Rolle der Polizei überprüft wird. Sie zählt nicht zum Kreis der Angeklagten.

Die meisten waren völlig fassungslos

„Die meisten, mit denen ich heute gesprochen habe, waren völlig fassungslos“, berichtet Dirk Schales, der Sprecher der Betroffenen-Initiative „LoPa 2010“. Auch er selbst erlebte das tödliche Gedränge am Fuße der Ein- und Ausgangsrampe damals mit. „Ich fühle eine Riesen-Erleichterung, weil der Weg nun für eine Aufarbeitung freigemacht worden ist“, so Schales. „Endlich können die Fragen gestellt werden, die uns alle seit Jahren quälen.“ Für die Aufarbeitung des Traumas, dass so viele erlitten hätten, sei das von enormer Bedeutung. „Für viele wird das Verfahren noch einmal ganz schlimm“, sagt Schales, relativiert aber sofort: „Aber gar kein Prozess – das wäre schlimmer gewesen!“

Eine Haltung, die auch OB Sören Link nachvollziehen kann. „Was ich verstehen und nachfühlen kann, ist der Wunsch der Angehörigen, Betroffenen, Verletzten und Traumatisierten, Antworten auf ihre Fragen zu finden. Ich hoffe sehr, dass der nun folgende Weg zu einem Ergebnis führt, welches vor allem den Angehörigen der Toten nach so vielen Jahren irgendwann etwas Frieden bringt.“ Die Angehörigen hätten ein Recht auf Aufklärung, so der OB. Nur so könne es für sie – aber auch für die Stadt Duisburg – einen Abschluss geben.

Ex-OB Sauerland will „Pflicht nachkommen“

Jürgen Widera, Ombudsmann und Vorsitzender der Loveparade-Stiftung, begrüßte die OLG-Entscheidung: „Ob Angehörige oder Verletzte: Alle wollten diesen Prozess. Nun gibt es ihn. Daher ist das heute ein guter Tag.“ Die Stiftung bereitet sich nun darauf vor, Hinterbliebene und Betroffene während des Prozesses zu begleiten.

Auch die Staatsanwaltschaft Duisburg fühlt sich bestätigt: „Wir bewerten die Entscheidung als Bestätigung unserer Arbeit und der Arbeit der Ermittlungskommission, die auf polizeilicher Seite die Ermittlungen geführt hat“, sagte Oberstaatsanwalt Martin Fischer.

Adolf Sauerland, zum Zeitpunkt der Katastrophe Duisburger OB, sagte der Bild-Zeitung: „Ich gehe davon aus, als Zeuge geladen zu werden und werde dieser Pflicht selbstverständlich nachkommen.“