Duisburg. Loveparade-Katastrophe: Strafverfahren wird gegen zehn Angeklagte eröffnet. Opferanwälte reagieren erleichtert, Verteidiger üben Kritik.

  • Jetzt doch: Oberlandesgericht Düsseldorf hat Strafverfahren zur Loveparade-Katastrophe zugelassen
  • Sechs Mitarbeiter der Stadt und vier vom Veranstalter werden vor Gericht stehen
  • Opferanwälte sind erleichtert, Verteidiger eher entrüstet, Sören Link fühlt mit den Hinterbliebenen

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Anklage gegen alle zehn Angeklagten im Loveparade-Strafverfahren zugelassen. In einer Pressemitteilung erklärt das Gericht, es halte eine "Verurteilung der Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung bzw. fahrlässiger Körperverletzung im Amt für hinreichend wahrscheinlich". Im Prozess müssen sich jetzt sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg sowie vier Mitarbeiter des Loveparade-Veranstalters verantworten.

Damit ist der Beschluss des Landgerichts Duisburg, das letztes Jahr im März anders entschieden hatte, hinfällig. Die 6. Große Strafkammer in Duisburg hatte die Zulassung der Anklage und damit die Eröffnung der Hauptverhandlung abgelehnt.

Gericht hält Taten für nachweisbar

Der Düsseldorfer Senat hält die Taten, die den Angeklagten vorgeworfen werden, mit den Beweismitteln für nachweisbar. Damit ist auch das umstrittene Gutachten des Sachverständigen Prof. Keith Still, einem britischen Panikforscher, verwertbar. Weder sei dem Gutachter Befangenheit vorzuwerfen, noch gebe es inhaltliche oder methodische Mängel.

Beim Duisburger Beschluss habe man sich zu sehr auf den Schwerpunkt der Anklage, die zu schmale Rampe für die Besucher, beschränkt, argumentiert das Oberlandesgericht. Wichtig seien aber auch Aspekte wie die weiteren Umstände der Planung, sowie die Genehmigung und Durchführung. Es gebe einen Zusammenhang zwischen den mutmaßlichen Planungsfehlern und der Katastrophe.

Gerichts-Präsidentin bittet um Verständnis für juristische Abläufe

Bei einer Pressekonferenz am Montagmittag erklärte Andreas Vitek, Pressesprecher des Oberlandesgerichtes, dass die Hauptverhandlung von der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg in der Messe Düsseldorf durchgeführt werde. Wann das sein wird, sei nicht vorhersehbar.

Auf die Frage, warum die Entscheidung so lange auf sich warten ließ, erklärte Anne-José Paulsen, Präsidentin des Oberlandesgerichts: Es mussten 900 Stunden Videomaterial und Zehntausende Seiten Aktenmaterial gesichtet, ausgewertet und rechtlich bewertet werden.

Paulsen bat die Angehörigen der Duisburger Loveparade-Opfer und weitere Opfer um Verständnis für die bisherige juristische Aufarbeitung der Katastrophe. Sie wisse, dass diese schwer belastend und teilweise schwer nachvollziehbar sei. "Gleichwohl bitte ich Sie um Verständnis für die nicht immer sofort einleuchtenden Entscheidungen und Abläufe in der Justiz." Sie beruhten auf den Grundprinzipien des Rechtsstaates, deren Einhaltung auch in belastenden, schwierigen Verfahren unverzichtbar sei. "Ich hoffe sehr, dass die Hauptverhandlung ihnen helfen kann, ihren Schmerz und ihre Trauer weiter zu verarbeiten."

Opfer-Anwälte und Staatsanwaltschaft äußern sich positiv

Die Staatsanwaltschaft Duisburg "begrüßt die Eröffnung des Hauptverfahrens". Für die Opfer und deren Angehörigen sei es nun gewiss, dass es zu einer juristischen Aufarbeitung des Unglücks komme.

Einige der Opfer-Anwälte äußerten sich erleichtert. "Das kommt unerwartet, aber es ist sehr erfreulich", sagte Professor Thomas Feltes. Er vertritt einen Vater, dessen Tochter bei dem Technofestival am 24. Juli 2010 ums Leben kam.

Anwältin Bärbel Schönhof betonte, ein möglicher Freispruch sei für die Opfer zwar schwer zu verkraften. Aber es sei wichtig, den Sachverhalt aufzuarbeiten. "Es muss geklärt werden, was passiert ist, wo Fehler gemacht wurden", sagte Schönhof, die mehrere Opfer vertritt. Mit einem zügigen Prozessbeginn rechnet sie nicht: "Ich habe da meine Zweifel, Messehallen sind ja weit im Voraus ausgebucht."

Prof. Dr. Volker Römermann als einer der Verteidiger erklärt, dass die wahren Schuldigen gar nicht angeklagt seien - wenn es sie überhaupt gebe und fragt, ob es nicht auch denkbar sei, dass es zwar viele Ursachen, aber keine strafrechtliche Verantwortung gebe.

Rechtsanwalt Ioannis Zaimis ergänzt: "Eine Verurteilung erscheint nach allem, was bislang vorliegt, nahezu ausgeschlossen.“ Und Verteidiger Dr. Philip von der Meden mutmaßt, dass von Seiten der Politik enormer Druck auf das Oberlandesgericht ausgeübt wurde, um innerhalb der Verjährungsfrist noch ein Verfahren durchführen zu können. Sonst hätte man auf die Ergebnisse eines neuerlichen, von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten warten können.

Oberbürgermeister Sören Link fühlt mit den Angehörigen

Oberbürgermeister Sören Link kommentiert die Entscheidung, ohne auf das juristische Hickhack einzugehen: "Was ich verstehen und nachfühlen kann, ist der Wunsch der Angehörigen, der Betroffenen, Verletzten und Traumatisierten, Antworten auf ihre Fragen zu finden. Für sie ist die heutige Entscheidung des Oberlandesgerichts ein wichtiger Schritt." Die Angehörigen hätten ein Recht auf Aufklärung. Nur so könne es für sie und für die Stadt Duisburg einen Abschluss mit den "unfassbaren Geschehnissen" geben.

Gericht musste riesige Datenmengen und Aktenberge durchsehen

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hatte in den vergangenen Monaten viel zu lesen.

  • Loveparade-Anklage: 556 Seiten.
  • Nichteröffnungsbeschluss Landgericht Duisburg: 460 Seiten.
  • Zudem die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft gegen diesen Beschluss: 750 Seiten.

Das alles auf der Grundlage der sogenannten Hauptakte, die bereits vor einem Jahr, im April 2016, 47.000 Blatt in 99 Ordnern umfasste. Hinzu kamen schon damals mehr als 800 Ordner mit weiteren Unterlagen. Von den 1000 Stunden Videomaterial ganz zu schweigen. Das alles wertete das OLG seit September 2016 für seine jetzige Entscheidung aus.(red/dpa)