Duisburg. Superintendent Armin Schneider erklärt im Paternoster-Gespräch, was Weihnachten für ihn bedeutet - und dass die Bibel voll ist mit Flüchtlings-Botschaften.

Herr Schneider, Sie sind Christenmensch, Seelsorger, Pfarrer, was bedeutet Ihnen Weihnachten?

Armin Schneider: Weihnachten heißt, Gott wird Mensch. Er thront nicht himmelweit entfernt, sondern nimmt auf sich, was Menschen zu erleben und zu erleiden haben. Er ist uns auf diese Weise ganz nah und zeigt uns, wie Menschen miteinander umgehen können. Gott wird menschlich, damit es menschlicher wird in dieser Welt.

Ist Weihnachten zu kommerziell geworden?

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Schneider: Als junger Pastor habe ich Predigten gegen die Kommerzialisierung gehalten. Ich denke, wir werden das nicht ändern. Wichtig ist mir, dass dahinter nicht die eigentliche Bedeutung von Weihnachten verschwindet.

Sind Sie über den Weihnachtsmarkt gebummelt?

Schneider: Ich muss jedes Jahr auf dem Weihnachtsmarkt eine Bratwurst essen. Das ist völlig klar.

Kommen wir gleich zu dem Thema, das uns intensiv betroffen hat: die Flüchtlingskrise: In der Weihnachtsgeschichte finden Maria und Josef Aufnahme in einem Stall, später müssen Sie nach Ägypten fliehen. Welchen Bezug sehen Sie zur heutigen Situation?

Schneider: Die Bibel ist voll von Flüchtlings- oder Migrationsgeschichten. Flüchtlinge stehen unter dem besonderen Schutz Gottes. Deshalb ist es für uns christliche Kirchen völlig klar, dass es keine Obergrenze für Flüchtlinge geben kann, unabhängig von der Zahl, die da kommt.

Die letzte Kreissynode hat eine Erklärung zur Situation der Flüchtlinge verabschiedet. War das notwendig?

Schneider: Ja, wir haben in dieser Erklärung anerkannt, dass die Stadt Duisburg vor großen Herausforderungen steht, und wir verkennen auch nicht die Probleme. Bei allem Verständnis ­haben wir aber auch klare ­Forderungen. Wir brauchen ein gemeinsames Konzept zwischen Stadt, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und zivilgesellschaftlichen Gruppen.

Es gab jetzt den Runden Tisch dazu.

Schneider: Das war ein richtiger Schritt. Er kam spät, aber besser als gar nicht. Wir brauchen ein Konzept, das realitätsnah ist und stadtteilbezogen, das Aufgaben beschreibt und die Integration von Flüchtlingen möglich macht.

Wie ist Ihr Eindruck: Bewältigt Duisburg die Aufnahme der Flüchtlinge, getreu Merkels Aussage ,wir schaffen das’?

Schneider: Ja. Insbesondere bin ich stolz auf das ehrenamtliche Engagement. In fast allen Unterkünften sind evangelische Kirchengemeinden in den Unterstützerkreisen vertreten. Es ist wichtig, dass wir ganz konkret etwas im Alltag tun.

Sorgt Sie die wachsende Angst oder gar Ablehnung? Und montags marschiert Pegida auf . . .

Schneider: Von uns ist Zivilcourage gefordert. Wir dürfen uns nicht wegducken vor fremdenfeindlichen Stammtischparolen. Wir müssen ihnen ganz entschieden unsere Argumente, unseren Glauben und unsere Menschlichkeit entgegensetzen.

Wir fahren hier gerade im Paternoster des Rathauses. Wie bewerten Sie das Handeln der Stadt?

Schneider: Das haben wir eben schon angedeutet. Ich habe Respekt vor dem, was sie geleistet hat. Und wenn jetzt noch ein Konzept dazu kommt, wie wir es beschrieben haben, dann ist das in Ordnung.

Oberbürgermeister Link hat mit seinem Zitat, er tausche gerne syrische Flüchtlinge gegen Zuwanderer aus Südosteuropa, Kritik bekommen, auch von Ihnen.

Schneider: Nach christlichen Verständnis muss allen Menschen, die in Not sind, geholfen werden. Ohne Wenn und Aber. Man darf nicht gute Flüchtlinge gegen böse Zuwanderer ausspielen.

Die Flüchtlingskrise überlagert derzeit die sozialen Probleme in Duisburg. Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Armut, Schlangen bei der Tafel. Das ist Alltag vieler.

Schneider: Es ist ganz wichtig, dass wir das bei allen Herausforderungen der Flüchtlingskrise nicht aus dem Auge verlieren. Wir haben seit langem einen Sockel von 30 000 Arbeitslosen, von denen viele keine Chance haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt zu werden. Ganz fatal wäre es, arbeitslose Hartz IV-Empfänger gegen Flüchtlinge auszuspielen.

Genug des harten Alltags. Fallen Ihnen spontan drei Glücksmomente, freudige Ereignisse in diesem Jahr ein?

Schneider: Ja. Das erste, als wir im Januar vom Bündnis für Toleranz und Zivilcourage zu der großen Gegen-Kundgebung gegen den ersten Pegida-Aufmarsch aufgerufen haben und 4000 Menschen am Stadttheater ein tolles Zeichen gegen diese fremdenfeindlichen Parolen gesetzt haben. Das hat mich stolz auf die Stadt gemacht. Das zweite: Ich habe im Juli bei guter Gesundheit meinen 60. Geburtstag feiern können. Und wir waren im August mit dem Pfarrkonvent in Israel. Das war eine sehr eindrucksvolle Reise.

Wie verbringen Sie persönlich die Weihnachtstage?

Schneider: Ich bin seit 31 Jahren Pastor und da gehört für mich unbedingt dazu, dass ich selbst einen Gottesdienst halte, im Krankenhaus in Fahrn, wo ich Krankenhausseelsorger bin. Meine Frau ist auch Pastorin, so dass wir unsere Kinder früher haben ­lange auf die Folter spannen müssen, bevor es Bescherung gab. Als die Kinder klein waren, gab es dann erst Bescherung, dann das Essen. Heute gibt es erst das Essen. In diesem Jahr gibt es etwas ­Neues: Unser ältester Sohn ist für ein Jahr zum Studium nach Chile gegangen. Und wir ­wollen versuchen, mit ihm an Heiligabend zumindest zu skypen.

So eine Fahrt im Paternoster lässt einen ja fast ins Philosophieren geraten. Das Leben ist ein ständiger Kreislauf, oder?

Schneider: Das fände ich schauderhaft, wenn das Leben ein Kreislauf wäre. Für mich gleicht das Leben eher einem Weg mit einem Anfang und einem Ziel. Es gab Strecken auf meinem Lebensweg, die bin ich gerne gegangen, die ich gemeinsam mit anderen unterwegs sein kann. Andere Strecken waren mühsamer und ich war froh, wenn sie hinter mir lagen; manchmal habe ich mich auch in Sackgassen verlaufen und musste umkehren. Immer wieder gab es schöne Überraschungen auf dem Weg. Und am Ziel meines Weges wartet auf mich ein gütiger Gott.

Wollen wir mal eine ganze Runde drehen, und schauen ob man dann kopfüber . . .

Schneider: Wir beide werden schon nicht auf den Kopf fallen. Und außerdem ist es nicht mein Ding, mich kopfüber in eine Sache zu stürzen; ich wäge lieber ab.

Also, alles gut, die Kabinen wenden nur. Gab es große Wenden in Ihrem Leben?

Schneider: Die ganz großen Kehrtwenden sind mir in meinem bisherigen Leben erspart geblieben. Aber es gab einschneidende Veränderungen. Die wichtigsten Veränderungen waren die Geburten unserer beiden Söhne. Das hat unser Leben unglaublich bereichert.

Es geht im Paternoster auf und ab, wie im Leben, rauf ist besser . . .

Schneider: Nicht unbedingt.Wenn ich zufrieden bin, da, wo ich bin, ist alles gut. Dann muss ich weder auf- noch absteigen. Ich habe früher immer gesagt: „Ich muss in meiner Kirche nicht mehr werden, als das, was ich längst schon bin: nämlich Pastor. Zum Superintendenten gewählt zu werden, stand nicht unbedingt auf meinem Lebensplan. Ich habe dieses Amt auch mit viel Respekt angetreten. Aber es hat mir in den letzten elf Jahren mehr Freude gemacht als ich mir jemals zu träumen gewagt hätte.

Man gibt sich aber auch der Langsamkeit hin . . .

Schneider: Manchmal braucht man das. Im Alltag lässt der Terminkalender oft keine Zeit, sich der Langsamkeit hinzugeben.

Der Ein- und Ausstieg hat etwas Prickelndes, geradezu Aufregendes. Ist das was für Sie?

Schneider: Im Paternoster ist das ganz sicher eine prickelnde Angelegenheit. Man muss den richtigen Zeitpunkt abpassen. Das ist auch im wirklichen Leben so: Neuanfänge und Abschiede – alles hat seine Zeit.