Duisburg. In einer Stellungnahme zum Still-Gutachten an das Landgericht muss die Staatsanwaltschaft einräumen, dass ihr relevante Daten fehlen.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg kann auch über fünf Jahre nach der Loveparade-Katastrophe noch immer nicht die konkrete Zahl an Besuchern nennen, die sich zum Zeitpunkt der Todesfälle im Bereich der Unglücksrampe und im Karl-Lehr-Tunnel aufgehalten haben. Das geht aus einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft an das Landgericht hervor. Diese bezieht sich auf das erweiterte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Keith Still. Die Redaktion konnte kürzlich Einblick darin nehmen.
Diese genaue Zahl könnte in einem Hauptverfahren noch von großer Bedeutung sein, weil den Beklagten auch falsche Berechnungen zur maximalen Besucherkapazität des Tunnels vorgeworfen werden. Auf allen veröffentlichten Fotos vom 24. Juli 2010 ist zwar zu sehen, dass der gesamte Rampenbereich hoffnungslos überfüllt war. Aus juristischer Sicht ist es aber offenbar dringend erforderlich, diese sich eng aneinander quetschende Masse genau zu beziffern.
Lopavent wollte sparen und verzichtete auf System zur Besuchererfassung
Die Ermittlung der präzisen Besucherzahl geschah nicht auf Eigeninitiative der Staatsanwaltschaft, sondern sie wurde offenbar erst im Februar 2015 vom Landgericht angefordert. Auch das erst danach eingeschaltete Landeskriminalamt konnte diese Zahl nicht ermitteln, da die Überwachungskameras zu wenige verwertbare Bilder geliefert haben, um daraus die Daten ableiten zu können.
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Die Anschaffung eines bei Großveranstaltungen üblichen Laser-Systems zur Besuchererfassung soll zwar im Vorfeld von einer mitangeklagten Bauamts-Mitarbeiterin vorgeschlagen worden sein. Der Veranstalter Lopavent hat sich das aber gespart – aus Kostengründen.
In der Stellungnahme wird auch deutlich, dass der Veranstalter keinen Plan für einen so genannten „Teilabbruch“ in der Tasche hatte. Offenbar hatte der Veranstalter die Sorge, wenn er solche Pläne entwickelt hätte, dass die städtischen Behörden dann gleich die gesamte Veranstaltung absagen könnten.
Zäune wurden anders als geplant oder ohne Genehmigung aufgebaut
Dass es keinen Plan B gab, müssen auch Polizei und Feuerwehr gewusst haben, weil sie nach unseren Informationen bei Arbeitsgruppen-Treffen zu diesem Thema immer mit am Tisch saßen. Die Staatsanwaltschaft weist zudem auf riesige Unterschiede hin, wie die Loveparade geplant und wie sie letztlich durchgeführt wurde. Zäune wurden entweder anders als in den Plänen vorgesehen oder sogar ohne Genehmigung aufgebaut sowie im Laufe des Veranstaltungstages verschoben.
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Das hatte drastische Auswirkungen auf die Besucherströme. Auch die Vereinzelungsanlagen standen nicht an den vorgesehenen Stellen. Grundsätzlich fordert die Staatsanwaltschaft eine schnelle Eröffnung des Hauptverfahrens. Auf Anfrage erklärte Landgerichts-Sprecher Bernhard Kuchler, dass es möglich sei, dass noch in 2015 die Entscheidung fällt, ob das Hauptverfahren eröffnet wird oder die Katastrophe strafrechtlich ungeklärt bleibt.
Am 27. Juli 2020 droht die„absolute Verjährung“
Warum die Verteidiger versuchen, den Beginn des Hauptverfahrens so lang wie möglich hinauszuzögern, ist klar: Bis zum 27. Juli 2020 muss ein erstinstanzliches Urteil gefällt worden sein. Ansonsten greift die „absolute Verjährungsfrist“.
Diese ist doppelt so lang wie die Höchststrafe des Deliktes. Im Falle der hier vorgeworfenen fahrlässigen Tötung: fünf Jahre. Mal zwei: also zehn Jahre. Und am 27. Juli 2010 starb das letzte der 21 Loveparade-Opfer.