Duisburg. Gutachter Dr. Constantin Verwiebe untersucht auf 180 Metern Höhe den Zustand des alten Kraftwerk-Kamins der Stadtwerke Duisburg. Die Entscheidung über den Denkmalschutz ist noch nicht gefallen. Dabei stellt sich auch die Frage, ob ein Erhalt wirtschaftlich für die Stadtwerke zumutbar ist.

„Handnahe Materialsichtung“, nennt Constantin Verwiebe lapidar das, was er gerade tut. Naja: handnahe Materialsichtung ist bei ihm eher eine nervenaufreibende Angelegenheit: Er hängt in einem Ein-Mann-Korb so um die 150 Meter hoch frei an Stahlseilen am Stadtwerketurm. „Ja gut“, ergänzt der 51-jährige Professor und Sachverständige, „schwindelfrei sollte man sein.“

Wohl wahr. Der promovierte Krefelder Bau- und Schweißfachingenieur hat derzeit wohl Duisburgs spektakulärsten Job, mit atemraubender Arbeitsplatzhöhe von 180 Metern auf der obersten begehbaren Plattform des 200 m hohen Hochfelder Turms, dessen Zukunft zwischen ausrangiertem Kraftwerks-Kamin, heiß geliebter Identifikations-Himmelsnadel und Industrie-Denkmal in Frage steht: Er soll als Gutachter für die Stadtwerke Bauzustand und Standfestigkeit des mittlerweile ausrangierten Drei-Röhren-Kamins untersuchen.

Gutachter gilt als Turmpapst

Constantin Verwiebe gilt als kundiger Experte, als „Turmpapst“. Aber der Hochfelder Lulatsch ist dann doch selbst für ihn das höchste Stahlbauwerk seiner Berufslaufbahn. „Kniffelig“ ist der schlanke Koloss und er vergleicht ihn mit einem Auto mit zugeschweißter Motorraumhaube. Dort wo er in luftiger Höhe an besonders belasteten Stellen Flanschschrauben und Aufhängungen untersuchen will, mussten – vorher mit der Denkmalbehörde und der Bezirksregierung abgestimmt – erst fachgerecht Löcher in Ummantelungen, Asbestbeschichtungen und schadstoffhaltiges Dämmmaterial geschnitten werden.

 Und noch ein Vergleich Auto - Turm: Der hat nach fast 50 Jahren Gebrauch wie alte Vehikel auch, gelinde gesagt, Untersuchungsbedarf. Rost gibt's am Auspuff ebenso wie in den schlanken Schloten, können Achsschenkel ebenso Risse bekommen wie die Turmaufhängungen. Eine „ermüdungsbeanspruchte Metallkonstruktion“ nennt das der Fachmann ganz nüchtern: „Da nagt der Zahn der Zeit.“

Seit fünf Wochen ist der Gutachter zu Gange, jeden zweiten, dritten Tag mit Helm auf der Baustelle; wohl zig mal schon düste er mit dem Aufzug im vierten Innenrohr die 65 Sekunden hoch auf die oberste Plattform und oft genug wieder runter. Deutlich langsamer ging’s bei der Materialuntersuchung durch die dunklen Kaminröhren mit ihrem Durchmesser von drei Metern; im Fahrkorb an der Winde einer Leipziger Klettertruppe, acht Meter in der Minute, um mit Ultraschall und Hämmerchen die Rostschäden zu ermitteln. Die halten sich nach ersten Zwischenergebnissen noch in Grenzen, werden allerdings zunehmen, weil keine heißen Abgase mehr durch die Röhren strömen.

Jetzt geht es an Verschraubungen und Aufhängungen

Die Kamine sind von innen abgearbeitet, jetzt werden die Verschraubungen und Aufhängungen außen untersucht. Höchstpersönlich greift der Gutachter zum mächtigen 41er-Schlüssel, um die 60 Flanschenschrauben zu lösen, die die neun ­Meter langen Röhrensegmente verbinden. „Ich muss fühlen, wie sich Schrauben lösen, wie rostig sie sind. Bauzeichnungen allein reichen da nicht aus“, erklärt Constantin Verwiebe und spaziert munter über Gitterroste, die schwindelerregend Sicht auf die Miniaturwelt tief unten aufzwingen.

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Fit hält sich der Ingenieur mit sportlich ambitioniertem Fahrradfahren – und gewann im Team vor kurzem das 24-Stunden-Mountain-Rennen im Landschaftspark. Und für den Höhenjob muss er jedes Jahr seine ­Höhenretter-Ausbildung aktualisieren. Sie erleichtert ihm auch seine „handnahe Materialsichtung“ mit der Hängegondel am Stahlfachwerk mit seinen drei mächtigen Standbeinen und Verbindungsträgern: Gravierende Schäden hat er bislang nicht entdeckt.

Mit dem Fahrkorb am Stahlgerüst

Nun werden die Lager und beweglichen Aufhängungen geprüft, die die Abgasrohre mit dem stählernen Strebengewirr verbinden und ihnen zugleich Spiel bei Hitze und Wind geben. An sie ist aber kaum rankommen, was allen heutigen ­Prüfanforderungen eines regelmäßigen Turm-TÜVs widerspricht. „Das ist schon eine ausgeschlafene Konstruktion“, lobt Fachingenieur Verwiebe dennoch die weithin sichtbare Arbeit der Stahlbauer aus den 60er- Jahren.

Abriss des Stadtwerketurms würde teuer - Denkmalfrage entscheidet sich bald

Was wird aus dem Stadtwerketurm? Die Untersuchung und das Gutachten von Professor Verwiebe ist Teil des laufenden Entscheidungsprozesses dazu, ob der Turm als geschütztes Denkmal komplett stehen bleiben muss, abgerissen wird oder zumindest teilweise als industriegeschichtlichen Baudenkmal erhalten bleibt. Im November werden die Stadtwerke ihre Stellungnahme an die Denkmalbehörde abgeben.

Die Stadtwerke haben keinen Hehl daraus gemacht, dass sie den Turm am liebsten niederlegen möchten. Er wird für den Kraftwerksstandort nicht mehr benötigt,nachdem die Stadtwerke einen Block stillgelegt und für den verbleibenden einen neuen Kamin gebaut haben.

Abriss wird mittleren bis hohen einstelligen Millionenbetrag verschlingen

Rund vier Millionen Euro müssten die Stadtwerke nach eigenen ­Angaben in die Instandhaltung investieren, sollte er komplett als Denkmal erhalten bleiben müssen. Weitere vier Millionen Euro für Instandhaltung und Wartung würden in den kommenden 15 Jahren anfallen. Ein kompletter Abriss wird ebenfalls einen mittleren bis hohen einstelligen Millionenbetrag verschlingen.

Zugleich hat die Untere Denkmalbehörde den 200 Meter hohen Turm als bauliches Zeugnis und Denkmal der Industriegeschichte im Blick. Zudem gilt er als identifikationsstiftende Landmarke Duisburgs, vor allem nachts, wenn er angestrahlt ist.

Die endgültige Entscheidung über den Denkmalschutz ist noch nicht gefallen. Dabei stellt sich auch die Frage, ob ein Erhalt wirtschaftlich für die Stadwerke zumutbar ist. Dazu kommt, dass heutzutage vorgeschriebene technische Prüfungen an dem Turm eigentlich nicht möglich sind. Knackpunkt der Zukunftsfrage können die drei auch asbestbelasteten Abgasrohre des Turmes werden. Sie werden ohne „Betriebstemperatur“ langfristig zum baulichen Problem und sie als nicht mehr benötigte Schlote für eine Millionensumme zu sanieren oder gar aus Denkmalzwängen zu ersetzen, erscheint aus Kostengründen, aber auch unter Denkmalschutzgesichtspunkten höchst fragwürdig.

Mögliche Kompromisslösung könnte sein, dass das Stahlfachwerk als Denkmal erhalten wird, die Kaminrohre aber abgetragen werden dürfen.