Dortmund. Fast sechs Jahre nach einer illegalen Kirchturm-Randale in Dortmund durch mutmaßliche Neonazis fielen im Strafprozess erste Urteile.
Sechs Jahre hat es gedauert, jetzt sind die ersten Urteile gefallen: Das Amtsgericht Dortmund hat am Dienstag Geldstrafen gegen drei der vier Männer sowie eine Frau verhängt, die am 16. Dezember 2016 den Turm der Reinoldikirche in der City besetzt haben sollen. Dabei sollen sie ein Transparent mit einer islamfeindlichen Parole aufgehängt und Pyrotechnik gezündet haben. Das Quintett sowie sechs weitere Beschuldigte, deren Prozesse noch laufen, werden der örtlichen Neonazi-Szene zugerechnet.
Hausfriedensbruch und Nötigung sind die Gründe für die Urteile des Amtsgerichts, gegen die noch Berufung eingelegt werden könne, wie Gerichtssprecher Michael Tebbe am Mittwoch bestätigte. Nötigung deshalb, weil die Gruppe Türen des Turms verschloss und so Besuchern mit den Ticket den Zugang verwehrte.
Fünf Urteile im Prozess gegen Neonazis auf dem Turm der Reinoldikirche in Dortmund
Da einer der Männer 2016 mit 18 Jahren noch als Heranwachsender galt, sprach das Gericht bei ihm nur eine richterliche Verwarnung aus. Allerdings, so Tebbe, wurde der Mann inzwischen in einem anderen Verfahren in Niedersachsen verurteilt. Zwei schon Vorbestrafte müssen dagegen je 1500 Euro Strafe zahlen (50 Tagessätze à 30 Euro), der Rest der Gruppe - eine Frau und ein Mann - dagegen je 750 Euro (25 Tagessätze à 30 Euro).
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Damit ist der Eklat rund um die Reinoldikirche vor Gericht noch nicht abgeschlossen. Neben einer möglichen Berufung sitzen sechs weitere Mitglieder der Gruppe auf der Anklagebank - drei wegen Hausfriedensbruch und Nötigung, zwei wegen Beihilfe. Ein Termin stehe noch nicht fest, so Sprecher Michael Tebbe. Der Prozess gegen einen weiteren Angeklagten sei dagegen ganz abgetrennt, da er nicht aufzufinden sei.
Neonazis nutzten Öffentlichkeit während des Dortmunder Weihnachtsmarktes aus
Bewusst hatte die Gruppe damals die Öffentlichkeit gesucht. Rund um die Kirche waren die Stände des Weihnachtsmarktes aufgebaut, viele Menschen hielten sich in der Innenstadt auf. Gegen 18 Uhr hatte die evangelische Gemeinde zu einer kurzen Andacht in der Kirche eingeladen, danach gab es die Möglichkeit, den 112 Meter hohen Turm des Wahrzeichens der Stadt zu besteigen.
Laut Staatsanwaltschaft hatten sich auch die heute 24 bis 36 Jahre alten Angeklagten brav vor der Tür zur Wendeltreppe aufgestellt, allerdings in der ersten Reihe. Brav zahlten sie auch für die Turmbesteigung. Doch als die Tür geöffnet wurde, missachteten sie alle Regeln, ist der Anklage zu entnehmen.
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Nachdem sie durch die Tür gegangen waren, sollen sie diese sofort geschlossen und mit einer Gehhilfe verbarrikadiert haben. Oben angekommen sollen sie auch die Tür zur Aussichtsplattform von außen verschlossen haben. Dann hätten sie gegen 18.40 Uhr das große Transparent mit der Aufschrift "Islamisierung stoppen" ausgebreitet und mit gezündeten Bengalos die Aufmerksamkeit der Weihnachtsmarktbesucher auf sich gelenkt haben.
Sympathisanten verteilen Flugblätter
Unten in der Fußgängerzone verteilten drei mutmaßliche Sympathisanten Flugblätter, darunter der frühere Dortmunder Feuerwehrchef Klaus Schäfer.
Fast sechs Jahre nach der Turmbesetzung verweigerten die fünf Angeklagten Mitte April vor dem Jugendschöffengericht jede Auskunft. Sie wollten nichts zum Tatvorwurf sagen und auch nicht zu ihrer Person.
83-Jähriger die Tür vor der Nase zugeschlagen
Dafür redete eine heute 83-Jährige, die damals auch den Turm besteigen wollte. "Die stürmten plötzlich los", erinnert sie sich an den Moment, kurz bevor ihr die Türe zur Wendeltreppe vor der Nase zugeschlagen wurde.
Pastorin Susanne Karmeier berichtete vor Gericht, sie habe die Aktion als "massiven Eingriff in unser Hausrecht" empfunden. Sie hatte als Gegenmaßnahme ein lautes Glockengeläut angeordnet, um die Neonazis zu übertönen. Das brachte ihr allerdings eine Anzeige wegen Körperverletzung ein, weil die Gruppe auf dem Turm sich angeblich geschädigt fühlte. Dieses Strafverfahren stellte die Dortmunder Justiz allerdings schon 2018 ein - wegen Notwehr.