Dortmund. Dortmund-Dorstfeld ist seit langem eine Hochburg der rechtsextremen Szene. Nun plant die Polizei eine Videobeobachtung der Straße, wo sie wohnen.
. Dorstfeld erwacht eigentlich in einen schönen Tag, zunächst. Auf dem baumbestandenen Wilhelmplatz mitten im Ort erledigen schlaflose Rentner ihre frühen Einkäufe, Mütter mit Kindern überqueren hin zur Kita da hinten, „Hopsasa“ steht daran. An einem Tisch draußen vor dem „Café Felix“ diskutieren zwei junge Männer auf Englisch mit der südländischen Bedienung ihre Bestellung, und aus dem ersten Stock des großen Wohnhauses daneben dringt lauter Hip-Hop. So bunt ist Dorstfeld – freilich gehört hier ein kräftiger Schuss braun hinzu.
Ein Polizeiwagen fährt gerade langsam über den Wilhelmplatz. Er wirbt dafür, Polizist zu werden: „Geh mit auf Streife.“
Mit „100% Nazi-Kiez“ beanspruchen sie eine Straße für sich
Hier, acht U-Bahn-Minuten von der Innenstadt entfernt, lebt ein Großteil der Dortmunder Neonazi-Szene, 60 bis 80 Männer und Frauen, einige Kinder; seit Jahrzehnten hat sie sich mit wechselnden Mitgliedern in einer Handvoll Häuser festgesetzt.
Vor allem in einer schmalen und ruhigen Straße, in die man nur gerät, wenn man sie angesteuert hat, haben sie ihr beanspruchtes Revier regelrecht mit der Sprühflasche markiert: „100% Nazi-Kiez“ steht da groß und breit, und dann gleich nochmal entlang der Fassaden: „N“, „A“, „Z“, „I“, „S“.
„Die größte Gefahr geht aus von ihrer Vernetzung“
Die symbolische Inbesitznahme mit Großbuchstaben soll jedoch demnächst verschwinden, Stadt und Vermieter sprechen schon länger darüber; und die Polizei plant, anschließend eine Videobeobachtung der Straße einzurichten. Die kolportierte Begründung: Es sei an der zu beobachtenden Stelle mit weiterer Kriminalität zu rechnen – neuen Parolen nämlich. Das wäre wohl auch die einzige sichere Rechtsgrundlage in Nordrhein-Westfalen: Denn ansonsten haben auch Nazis haben ein Recht auf Datenschutz.
264 Straftaten rechnet die Polizei 2018 der rechten Szene Dortmunds zu, doch „die größte Gefahr geht aus von ihrer bundes- und europaweiten Vernetzung mit anderen gewaltbereiten Gruppierungen“, sagt Polizeipräsident Gregor Lange. Auch der mutmaßliche Attentäter von Kassel soll hier Kontakte haben; die direkte Autobahn dorthin ist nur drei Kilometer entfernt, in zwei Stunden ist man dann in Hessen.
„Jeder Mandatsträger hier ist schon einmal bedroht worden, mit Schmierereien“
Und so kommt es, dass Bezirksbürgermeister Ralf Stoltze (SPD) nun doch wieder über die Rechten reden soll. „Wir haben keinen Angstraum, aber manche Menschen haben ein dummes Gefühl. Sie fragen: Kann ich in Dorstfeld in Ruhe einkaufen, kann ich mit meinem Kindern dort zum Demokratie-Fest gehen?“, sagt der 63-Jährige.
Jeder Mandatsträger hier sei schon einmal bedroht worden, „mit Schmierereien.“ Für die Auswahl der Kandidaten zur Kommunalwahl 2020 erwartet Stoltze viele Fragen vorab von neuen Kollegen: „Muss ich mir Gedanken machen? Was habe ich zu befürchten, gerade in der Kommunalpolitik? Das hat jetzt eine neue Qualität angenommen.“
Anfrage nach der Zahl der Juden in der Stadt
Rechte Taten haben Dortmund den Ruf einer braunen Hochburg eingetragen. Da war der Mord an drei Polizisten hier und im benachbarten Waltrop im Jahr 2000; der NSU-Mord von 2006 an einem Kiosk-Besitzer; der Angriff auf die 1.-Mai-Demo 2009.
Da war, ganz Deutschland las es entgeistert, die Frage der Partei „Die Rechte“ an die Stadtverwaltung nach der Zahl der Juden in der Stadt. Und da sind natürlich die regelmäßigen Aufzüge in der Innenstadt. „Die Rechten betrachten Dorstfeld als eigenen Heimatbereich und machen den Putz draußen“, sagt Stoltze.
Zahl der Straftaten ist seit 2014 stark gesunken – bis auf 2018
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Seit 2015 arbeitet eine „Sonderkommission Rechts“ der Polizei. Seitdem hat sich die Zahl der einschlägigen Straftaten wie Körperverletzung, Widerstand und – vor allem – Propagandadelikten von 466 im Jahr 2014 nahezu halbiert, auch wenn sie 2018 wieder leicht stieg.
Da die Szene nicht mehr dumm sei, sondern aus „intelligenten Rechten“ bestehe, „agiert sie oft am Rande der Legalität, in einer Grauzone“, sagt Polizeisprecher Gunnar Wortmann: „Wir stehen denen auf den Füßen.“ Jede Beleidigung werde verfolgt, jede Ordnungswidrigkeit. Wortmann: „Immer, wenn sie eine Demonstration gegen Polizeiwillkür anmelden, wissen wir: Wir haben alles richtig gemacht.“
Die Dorstfelder sind genervt von dem Thema
Dorstfeld also. Arbeitslosigkeit durchschnittlich. Ausländeranteil durchschnittlich. Am Wahlergebnis fällt höchstens auf, dass die SPD bei 40 Prozent liegt. Arbeiterstadtteil. Aber für alle anderen Dortmunder „der, wo die Nazis wohnen“, so ein Fotograf. In Dorstfeld selbst sind die Menschen genervt von dem Ruf: „Lassen Sie mich damit in Ruhe“, sagt eine Frau, eine andere: „Hier gibt es wirklich auch genug Anderes.“
Der Polizei-Bully fährt schon wieder vorbei.
43 Vereine haben in ihrer Satzung Klauseln gegen Rechtsextreme
Von außen wirkt die Situation statisch. Hier die Rechten, man kriegt sie nicht weg, dort die anderen. „Der Erfolg besteht darin, den Raum zu behalten“, sagt Stoltze: „Sie haben in Dorstfeld nichts zu sagen, sehen das aber selbst anders.“ Hausbesitzer verkauften nicht mehr an sie, sofern sie sie erkennen. Alle 43 Vereine hätten in der Satzung Klauseln gegen Rechtsextreme.
Und ein bisschen sind sie ja auch umstellt: „Wir ALLE stehen für Toleranz, Vielfalt und Demokratie“ steht auf einem großen Plakat draußen an der Gutenberg-Grundschule, „Für ein solidarisches Miteinander“ am S-Bahnhof. Und der CVJM lädt ein zum „Demokratie-Festival Vielfalt lieben.“
Anfang Juli feiern sie ein Demokratie-Festival auf dem Platz
Das endet mit dem Kinder-Seifenkistenrennen, das in Dorstfeld auch kein einfaches Kinder-Seifenkistenrennen sein kann. Hier steht noch dabei: „Formel Respekt.“
Das Fest steigt Anfang Juli auf dem Wilhelmplatz. Aber jetzt sitzt dort gerade ein stadtbekannter Alt-Nazi. „SS-Siggi“. Er sitzt da jeden Morgen, heißt es.