Bottrop/Essen. . Seine frühere Lebensgefährtin und ihren Bruder hat Agim W. vor einem Aldi-Markt in Bottrop erst angefahren und beiden dann mit einer 9-mm-Pistole in den Kopf geschossen. Ab Freitag verhandelt das Landgericht Essen den schrecklichen Vorfall wieder. Im Kern steht die Frage, ob für die Tat auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Frage kommt.
Kann ein Verbrechen mit „Hinrichtungscharakter“, wie es der Vorsitzende Richter Andreas Labentz am Landgericht Essen genannt hat, „nur“ versuchter Totschlag sein? Zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe hat seine Kammer Agim W. im Jahr 2011 verurteilt, weil er seiner früheren Lebensgefährtin und deren Bruder ein halbes Jahr zuvor auf dem Parkplatz des Aldi-Marktes in der Boy in den Kopf geschossen hat. Ab dem kommenden Freitag wird der Fall vor dem Landgericht Essen neu aufgerollt. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Opfer, die als Nebenkläger im ersten Prozess aufgetreten waren, zugelassen. Die VI. Strafkammer in Essen wird sich nun mit der Frage befassen müssen, ob für Agim W. auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Betracht kommt. Den beiden Opfern dürfte eine erneute Aussage bei der zweiten Auflage nicht erspart bleiben.
„Lass mich in Ruhe“
Für Entsetzen hatte die Tat weit über die Grenzen Bottrops hinaus gesorgt. Aus Ahaus war Agim W., der heute 35 Jahre alt ist, im April 2011 angereist. In die Stadt, in die seine frühere, drei Jahre jüngere Lebensgefährtin vor ihm geflohen war. Mit ihr sprechen wollte er über das Umgangsrecht für die gemeinsamen Kinder. Auf dem Parkplatz des Aldi-Marktes in der Boy sieht Agim W. seine „Ex“ Kamila G. und ihren Bruder, wie sie gerade einen Einkaufswagen zum Auto der Frau schieben. W. tritt aufs Gaspedal. Bis auf etwa 35 Stundenkilometer beschleunigt er seinen VW Polo, erfasst schließlich den Einkaufswagen und trifft Kamilas Bruder an der Hüfte. Die Geschwister stürzen auf den Asphalt. Mit einer geladenen 9-Millimeter-Pistole steigt W. aus dem Wagen. „Lass mich in Ruhe“, soll Kamila G. dann geschrien haben. Zwischen W. und seiner früheren Lebensgefährtin kommt es zum Gerangel. Dann drückt er ab und schießt Kamila G. von hinten in den Kopf. Die Kugel trifft im Halsbereich. Als ihr Bruder zu Hilfe heilen will, fällt noch ein Schuss und trifft ihn an der Schläfe. Als die Opfer am Boden liegen, flüchtet W. vom Tatort.
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Nach einer Ringfahndung wird er in der Nähe des Centros gestellt. Nach der Tat schweben Kamila G. und ihr Bruder in Lebensgefahr. Mit Notoperationen können die beiden Opfer im Krankenhaus gerettet werden. Lange nach der Tat noch klagen sie über Sehstörungen und Alpträume, unterziehen sich psychologischer Behandlung. Auch offen sichtbare Narben werden sie noch lange an den schrecklichen Vorfall erinnern.
Drei Verhandlungstage
Das Landgericht Essen hat für die Neuauflage des Prozesses drei Verhandlungstage angesetzt. Sollte Agim W. am Ende wegen versuchten Mordes verurteilt werden, dann ist gut möglich, dass es bei der zwölfjährigen Freiheitsstrafe nicht bleibt. Erkennt das Gericht bei einem solchen Schuldspruch Milderungsgründe, sieht das Gesetz einen Strafrahmen von bis zu 15 Jahren vor. Ist das nicht der Fall, stünde auch die Frage nach einer lebenslangen Freiheitsstrafe im Raum.