Essen/Bottrop. . Es ist ein Prozess mit vielen Fragezeichen: Ein 16-jähriger Bottroper schießt auf offener Straße zwei Brüder nieder. Ging es um Rache für sexuellen Missbrauch, um eine Familienfehde? Der Fall wird nun vor der Jugendstrafkammer am Landgericht Essen verhandelt.
Nur mit viel Glück überlebten zwei 24 und 25 Jahre alte Männer aus Bottrop die Attacke im vergangenen Dezember. Einer von ihnen sitzt im Saal, der andere fehlt. „Er ist nicht zeugenfähig“, spricht Opferanwalt Kerkhoff aus Köln die Folgen der Schüsse an. Dass der junge Mann durch die Schüsse in seinen Kopf auf beiden Augen erblindet ist, war bekannt. Sein Mandant, so der Anwalt, habe aber auch Wahrnehmungsstörungen, könne sich nicht erinnern.
Rätselhaft bleibt das Motiv. Warum schoss der damals 16-Jährige ohne Vorwarnung auf der Glückaufstraße in der Nähe der Albrecht-Dürer-Grundschule? Fünf Schüsse feuerte er laut Anklage um 17.40 Uhr aus nächster Nähe ab. Den einen traf er in Nacken und Gesäß, den anderen im Kopf und in der Leistengegend. Wenige Stunden später stellte er sich in Begleitung seines Anwaltes Hans Reinhard der Polizei. Zum Motiv schwieg er. Wo die Waffe ist? Auch dazu sagte er nichts.
Massenschlägerei auf einer „Türkenhochzeit“
Die Polizei ermittelte hartnäckig im türkischen Milieu des Ruhrgebietes. Mal soll eine Massenschlägerei auf einer „Türkenhochzeit“ in Bottrop-Boy am 10. Dezember der wahre Grund gewesen sein, dann der Streit beim Kartenspiel ein Jahr zuvor.
Opfer und Täter, die in derselben Straße wohnen, kennen sich wohl schon seit langer Zeit. Gerüchte sprechen von sexuellen Kontakten, vom Missbrauch des jüngeren Bruders des Angeklagten durch einen der niedergeschossenen Brüder.
Im Gerichtssaal spricht der Jugendliche erstmals, allerdings in nichtöffentlicher Sitzung. Sein Verteidiger Hans Reinhard gibt die Aussage später wieder: Der Angeklagte sei über Jahre immer wieder von den Brüdern bedroht und „abgezogen“ worden. Irgendwann sei es zuviel gewesen, deshalb hätte er sich eine Waffe besorgt.
Ob das stimmt? Gerüchte, Hinweise gibt es sogar, dass der Vater des Angeklagten den Tod der Brüder in Auftrag gegeben hätte. Einige erzählen, er hätte auch geschossen. Der Sohn werde als Schütze vorgeschoben, weil ihn nur das mildere Jugendstrafrecht treffe. Sechs Prozesstage hat die Jugendstrafkammer eingeplant, um die Wahrheit herauszufinden.