Bottrop. Eine Zeitzeugin des Holocaust erzählt Bottroper Schülern von ihrer Vergangenheit, um vor Hass zu warnen. Ihre bewegende Geschichte.

Die Vergangenheit darf nicht in Vergessenheit geraten: Dieser Aufgabe hat sich Eva Weyl verschrieben. Denn die 88-jährige Jüdin ist eine der wenigen noch lebenden Zeitzeugen des zweiten Weltkriegs und erzählt seit einigen Jahren ihre Geschichte als Überlebende des Holocaust. So besucht sie auch die Bottroper Willy-Brandt-Gesamtschule und erinnerte dort an das dunkle Kapitel deutscher Vergangenheit.

„Vor 80 Jahren stand ich auf der Todesliste“, sagt Eva Weyl mit andächtiger Stimme und beginnt so ihren Vortrag vor den Bottroper Schülern. Dass dieser Satz bei den Schülern sofort für Stille sorgt, zeigt wie bewegend Eva Weyls Geschichte ist.

Eva Weyl möchte vor einer Wiederholung der Vergangenheit warnen

Geboren wurde Eva Weyl 1935 in den Niederlanden. Denn ihre Eltern, deutsche Juden, flohen vor den Nationalsozialisten in das Nachbarland. „Hitler hat mit Mobbing gegen Juden angefangen. Es sollte nicht mehr bei Juden eingekauft werden und in Schulen wurden jüdische Kinder ausgegrenzt. Aus dem Mobbing wurde dann Diskriminierung und schließlich offene Verfolgung und am Ende Völkermord“, sagt sie.

Dass aus Hass so etwas Furchtbares wie der Holocaust entstehen konnte, das sollte uns immer eine Warnung sein, appelliert Eva Weyl an die Schüler. „Ich möchte darauf aufmerksam machen wozu Hass führen kann.“

„Die Reichspogromnacht 1938 war der Zeitpunkt, an dem die offene Verfolgung begann. In dieser Nacht startete der Holocaust“, berichtet die Zeitzeugin von den Anfängen. Als die Niederlande schließlich 1940 von den Nationalsozialisten besetzt wurden, war Eva Weyl gerade einmal fünf Jahre alt. „Ich habe damals noch gar nicht verstanden, was los war und auch meine Eltern konnten nicht glauben, was hier passiert. Es gab schließlich keine Technik und man bekam so von dem, was geschah, nicht viel mit.“

Die Familie wurde ins Lager Westerbork geschickt: Drei Jahre lang Gefangenschaft

„1942 bekamen wir einen Brief: Wir müssen ins Lager“, berichtet Eva Weyl. Den Schülern zeigt sie nun ein Bild, darauf ein kleines Mädchen mit ihrer Puppe im Arm. Es ist Eva Weyl, kurz bevor sie mit ihrer Familie in das Lager Westerbork geschickt wurde. „Die Puppe nahm ich mit dorthin“, sagt sie mit Blick auf das alte Bild.

Die schockierten Gesichter der Jugendlichen machen deutlich, wie sehr sie von den Schilderungen der Zeitzeugin bewegt sind. So auch als sie erzählt, dass sich die Familie ihre Zugtickets in das Lager selbst kaufen musste. „Wir machten uns also auf den Weg nach Westerbork. Mitnehmen durften wir nur das, was wir tragen konnten. Alle Wertgegenstände und Geld wurden uns abgenommen.“

Immer wieder erzählt Eva Weyl kleinere Anekdoten und Geschehnisse, die sie im Lager Westerbork erlebt hat. Besonders berührend ist dabei die Geschichte über den funkelnden Ring am Finger der 88-Jährigen. „Meine Eltern haben in den Knöpfen meines Mantels Brillanten versteckt, die wir so mit ins Lager schmuggeln konnten. Als wir den Krieg überlebt haben, hat meine Mutter aus den Steinen, die mit uns im Lager Westerbork waren, einen Ring machen lassen. Und den trage ich jeden Tag“.

Die Schüler der Willy-Brandt-Gesamtschule hören Eva Weyl gespannt zu. Diese möchte die jungen Menschen vor allem vor Hass und Diskriminierung warnen.
Die Schüler der Willy-Brandt-Gesamtschule hören Eva Weyl gespannt zu. Diese möchte die jungen Menschen vor allem vor Hass und Diskriminierung warnen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Man hat sich nicht vorstellen können, dass so grausame Dinge wirklich passieren“

Eva Weyl betont in ihren Erzählungen immer wieder, wie unvorstellbar der industrialisierte Massenmord an den Juden wahr. „Im Lager selbst haben wir nicht geglaubt, was mit den Menschen passiert, die deportiert wurden. Man hat sich nicht vorstellen können, dass so grausame Dinge wirklich passieren“, sagt sie. Doch jede Woche wurden rund 1500 Menschen in Westerbork willkürlich ausgewählt und von dort deportiert und in den Tod geschickt.

Auch Eva Weyl stand auf dieser Liste. „Das Schicksal hat uns gerettet. Mehrmals haben wir Glück gehabt und sind dem Tod entkommen“, erzählt sie. Denn ein Freund des Vaters, der als Lagerinsasse die Namen zur Deportation ziehen musste, legte ihre Namenszettel unbemerkt wieder zurück und schützte sie vor dem Tod.

„Beim zweiten Mal entkamen wir dem Tod durch einen Angriff der Alliierten. Es wurde geschossen und dadurch konnte unser Zug zur Deportation nicht abfahren“, berichtet sie. Von den drei Jahren, die Eva Weyl als Kind in Westerbork verbrachte, erzählt sie den Schülern genau. „Wir durften nur einmal in zehn Tagen duschen. Leben mussten wir in alten Baracken in Eiseskälte. Es war einfach furchtbar.“

Bis zur Befreiung des Lagers Westerbork im April 1945 wurden 107.000 Juden aus dem Lager deportiert, von denen fast alle getötet wurden. „Den Menschen, die dafür verantwortlich sind werde ich niemals verzeihen können“, sagt Eva Weyl mit lauter Stimme. Umso wichtiger sei es ihr, junge Menschen zu „Zweit-Zeugen“ zu machen, damit sich die Vergangenheit nie wiederhole. „Von außen sind wir alle unterschiedlich, aber innen drin sind wir alle gleich. Das darf man niemals vergessen.“