Bottrop. Sie werden beschimpft und bedroht: Busfahrer erleben immer häufiger Anfeindungen. Im Hinterkopf ist immer die Frage: „Was, wenn das eskaliert?“

Ein Busfahrer wirft im Schnellbus in Kirchhellen mehrfach Schüler aus dem Bus. Dieser Vorgang hat Schlagzeilen gemacht. Doch er hat eine Vorgeschichte. Immer öfter sehen sich Busfahrer wachsender Respektlosigkeit und Aggression ausgesetzt und fühlen sich dabei allein gelassen. Vestische-Betriebsratschef David Borek sagt: „Der Schutz für Kolleginnen und Kollegen reicht bei weitem nicht aus.“

Dienstagnachmittag am Bottroper Busbahnhof ZOB. Eine Gruppe Jugendlicher streitet sich lautstark. Ein Mädchen flüchtet sich weinend in den abfahrbereiten Bus nach Kirchhellen. Andere Jugendliche stürmen ebenfalls in den Bus. Um sie zu trösten? Um sie erneut anzugehen? Plötzlich ruft ein Mädchen: „Lass abhauen!“ Ein Jugendlicher neben ihr tritt vor die geschlossene hintere Bustür und ruft dem Fahrer zu: „Mach die Scheißtür auf, Du Schwanzlutscher!“

Abends steigen wir hier lieber nicht aus, sagen Busfahrer über den Bottroper ZOB.
Abends steigen wir hier lieber nicht aus, sagen Busfahrer über den Bottroper ZOB. © Heinrich Jung | Heinrich Jung

Die gute Nachricht: Diese Situation eskaliert nicht. Weil der kräftige Busfahrer aufsteht und nach hinten kommt. Weil hinten im Bus ein Fahrgast aufsteht und sich bereit macht einzugreifen. Schnell schlüpfen die Jugendlichen aus der mittleren Tür und verabschieden sich mit Faustschlägen gegen die Fenster.

Sorge im Hinterkopf: Was, wenn das hier eskaliert?

Die schlechte Nachricht: „Wir haben jeden Tag Dutzende solcher Fälle“, sagt Busfahrer Michael P. (Name geändert). „Und jedes Mal hast du im Hinterkopf die Sorge: Was, wenn das hier jetzt eskaliert?“ Wenn Menschen im Bus Krach schlagen oder rauchen, wenn Fahrgäste sich belästigt fühlen, „dann müssen wir reagieren“. Und zwar im Zweifel ohne Unterstützung. „Die Kolleginnen und Kollegen fühlen sich allein gelassen“, sagt Betriebsratschef Borek. „Das ist das eigentliche Problem.“

+++ Nachrichten aus Bottrop direkt ins Postfach: Hier geht es zum Bottrop-Newsletter +++

Auf dem Fahrersitz sind die Busfahrer inzwischen geschützt durch die Sicherheitsscheiben, die der Busbetreiber Vestische ebenso wie die Ruhrbahn in den letzten Jahren eingebaut hat. Aber was ist in der Pause? Beim Fahrerwechsel? Auf dem Weg zum Pausenraum auf der anderen Straßenseite? Schon vor einem Jahr haben Busfahrer gesagt: „Am Busbahnhof ZOB steigen wir abends lieber nicht mehr aus.“

Auch interessant

Michael P. kann diese Einstellung gut verstehen. Der ZOB liegt zwar nicht auf den Routen, die er selbst mit dem Bus ansteuert. Aber er kennt vergleichbare Orte wie den Bahnhof Marl-Mitte: „Ich weiß nicht, was die Jugendliche machen, die sich da aufhalten. Aber ich sehe zu, dass ich schnell vom Bus in den Pausenraum und zurück komme.“

„Viele Kollegen berichten von wachsender Verachtung“

Sowohl in den Bussen als auch am Bottroper Pausenraum an der Horster Straße werden Fahrerinnen und Fahrer gezielt provoziert, berichtet Betriebsratschef David Borek: „Einer baut sich auf und markiert den dicken Max, drei andere filmen auf dem Handy mit. Das ist inzwischen schon ein Dauerzustand.“ Fahrer sagten deshalb: „Ich bleibe im Bus, um mich vor Provokationen zu schützen.“

Borek findet deshalb den Begriff Respektlosigkeit viel zu schwach: „Viele Kollegen berichten von wachsender Verachtung.“ Der Bottroper berichtet auch von Fahrgästen, „die den ZOB meiden wie die Pest, weil sich dort Jugendliche einen Spaß machen aus der Angst der anderen“.

Was hilft? Die Vestische bietet ihren Fahrerinnen und Fahrern regelmäßig Deeskalationstrainings an, sagt Unternehmenssprecher Jan Große-Geldermann. „Die sind sehr beliebt. Jeder Fahrer macht das irgendwann mal mit.“ Doch Deeskalationsversuche laufen ins Leere, wenn die Gegenseite daran so gar nicht interessiert ist.

Lesen Sie weitere Berichte aus Bottrop:

Am Bottroper ZOB machen Polizei und kommunaler Ordnungsdienst (KOD) seit Jahren Schwerpunktkontrollen. Das ist gut, passiert aber viel zu selten, sagt Borek. Aus Sicht der Fahrer geht der Schuss zumal zuweilen nach hinten los: „Wenn die Polizei anrückt, flüchten die Jugendlichen in die Busse, die gerade am ZOB abfahren.“

Stärkere Präsenz von Sicherheitsdiensten wünscht sich Busfahrer Michael P. auf seinen Touren. Für ihre Präventionsteams hat die Vestische 2022 den bundesweiten Präventionspreis der Unfallversicherung VBG bekommen. „Aber die können nicht überall sein, und manchmal sind die Wege weit“, sagt Michael P. „Es wäre schön, wenn noch mehr Teams unterwegs wären.“

„Ein Fahrgast könnte auch mal eingreifen“

Und es wäre schön, wenn Fahrgäste „nicht alles auf die Busfahrer abwälzen und mit Konflikten im und am Bus nichts zu tun haben wollen“, sagt der Betriebsratschef. „Ein Fahrgast könnte auch mal eingreifen, statt demonstrativ aus dem Fenster zu schauen.“ Genauso sieht es die Vestische.

„Vergiss nie: Hier arbeitet ein Mensch.“ Mit diesem Motiv werben DGB und Vestische für Respekt und Zivilcourage. Das Bild zeigt von links DGB-Organisationssekretär Tobias Krupp,  Vestische-Geschäftsführer Martin Schmidt, Busfahrer Detlef und Mark Rosendahl, Geschäftsführer der DGB-Region Emscher-Lippe.
„Vergiss nie: Hier arbeitet ein Mensch.“ Mit diesem Motiv werben DGB und Vestische für Respekt und Zivilcourage. Das Bild zeigt von links DGB-Organisationssekretär Tobias Krupp, Vestische-Geschäftsführer Martin Schmidt, Busfahrer Detlef und Mark Rosendahl, Geschäftsführer der DGB-Region Emscher-Lippe. © Vestische | Jan Große-Geldermann

Sie wirbt für Respekt und Zivilcourage mit einer Kampagne. „Ob Polizist, Feuerwehrfrau oder Busfahrer: Wer unser Land am Laufen hält, verdient Rückendeckung gegen Gewalt und Beleidigungen“, sagt Jan Große-Geldermann. „Deshalb freuen wir uns, dass unser Kollege Detlef stellvertretend für alle Beschäftigen der Vestischen und des ÖPNV der Kampagne des Deutschen Gewerkschaftsbunds Emscher-Lippe ein Gesicht gibt: ,Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch.’ Wir hoffen, dass das Motiv zum Nachdenken bewegt und zur Zivilcourage ermutigt.“