Bottrop-Kirchhellen/Schermbeck. Hat das Schermbecker Wolfsrudel dieses Jahr Nachwuchs bekommen? Das Landesumweltamt weiß es nicht. Das sollte es aber, kritisieren Naturschützer.

Seit dem 19. März hat das Schermbecker Wolfsrudel kein Nutztier mehr gerissen. Das wird sich zum Herbst hin wie in den Vorjahren ändern. Werden dann auch Jungtiere aus dem Wurf 2023 auf die Jagd gehen? Bisher hat das Landesumweltamt (Lanuv) nach eigenen Angaben keine Spur von Wolfswelpen. Das liegt am derzeit schlechten Wolfsmonitoring, kritisiert der Bottroper Naturschutzbund Nabu.

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„In diesem Jahr haben wir bisher noch keine Nachweise auf Nachwuchs im Schermbecker Territorium führen können“, sagt Lanuv-Sprecher Wilhelm Deitermann. „Und das stimmt uns nachdenklich“, sagt Rolf Fricke, Vorsitzender des Bottroper Nabu. „Kotproben konnten im Vergleich zu den Vorjahren deutlich weniger ausgewertet werden. Es soll Welpen geben – haben wir gehört, sinnvoller wären Daten. Früher haben ehrenamtliche Wolfsberater Hinweise gesammelt, da war die Datenlage besser. Unserer Meinung nach führt das aktuelle Monitoring nicht zur gewünschten Transparenz. Über die Schermbecker Wölfe wussten wir schon mehr.“

Zur Ehrenrettung des Lanuvs muss gesagt werden: Auch der Nachwuchs von Wölfin „Gloria“ aus dem Jahr 2022 wurde erst spät im Jahr eindeutig nachgewiesen, zwei Männchen und ein weibliches Jungtier im November 2022 in Hünxe. Wenige Tage später war eines der Männchen tot. Es starb bei einem Autounfall am Morgen des 2. Dezember 2022 auf der A31 in Kirchhellen.

Das „Shampoo-Wölfchen“ haben Passanten im Juli 2022 in Hünxe für einen Hundewelpen gehalten, mitgenommen und unter die Dusche gesteckt.
Das „Shampoo-Wölfchen“ haben Passanten im Juli 2022 in Hünxe für einen Hundewelpen gehalten, mitgenommen und unter die Dusche gesteckt. © RM

Wolfsangriff an der Grenze Oberhausen/Dinslaken: 39 Tiere getötet oder verletzt

Sein Bruder mit der Kennung GW3042m war Ende Februar 2023 beteiligt an einem Angriff auf einer Weide an der Stadtgrenze Dinslaken/Oberhausen, der als „Blutbad“ Schlagzeilen machte: 14 Schafe und eine Ziege wurden bei dem Angriff aus einer Herde von 120 Tieren gerissen, acht Schafe und eine Ziege wurden verletzt, zwei davon mussten getötet werden. Zwei weitere Schafe wurden später tot gefunden. Zwölf Lämmer starben oder waren lebensschwach. So viele Tiere waren bis dahin noch nie bei einem Wolfsangriff im Wolfsgebiet Schermbeck zu Schaden gekommen.

An den Kadavern wurden später die DNA des Jungwolfs GW3042m sowie seiner Mutter „Gloria“ nachgewiesen. Die Wölfin lebt seit 2018 im Wolfsgebiet und hat mit dem Männchen „GW1587m“ bisher acht nachgewiesene Welpen bekommen, darunter das „Shampoo-Wölfchen“, das Passanten in Hünxe im Juli 2022 für einen Hund gehalten und mitgenommen hatten.

Bei einem weiteren Angriff des Jungwolfs in Dorsten wurden am 19. März 2023 drei Schafe und sechs Lämmer gerissen. Neun weitere Lämmer wurden so schwer verletzt, dass sie notgetötet wurden. Vom dritten Jungtier aus dem Wurf 2022, der Wolfsfähe mit der Kennung „GW3044f“, wurde bisher nur DNA an einem gerissenen Reh in Kirchhellen festgestellt.

Spekulationen über ein zweites Wolfsrudel

Neben Glorias Rudel ist im Wolfsgebiet ein weiterer Wolf heimisch geworden. Die DNA des Männchens „GW2889m“ ist erstmals vor einem Jahr nachgewiesen worden. Seit im Mai erneut Spuren von ihm in Hünxe gefunden wurden, hat das Lanuv ihm das Territorium „Dämmerwald/Üfter Mark“ zugewiesen, das Waldgebiet zwischen Wesel, Borken und Recklinghausen. Von dem Weibchen mit der Kennung „GW2890“, das ebenfalls vor einem Jahr in Schermbeck nachgewiesen wurde, fehlen dagegen aktuelle Spuren. So lässt sich nur spekulieren, ob die beiden ein Paar geworden sind und ebenfalls Nachwuchs bekommen haben.

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Trotz der blutigen Angriffe zu Jahresbeginn hat es nach Angaben von Lanuv-Sprecher Wilhelm Deitermann bisher keine Anträge auf eine Vergrämung etwa mit Gummigeschossen oder gar einen Abschuss von Wölfen gegeben. Die sind möglich auf der Basis der „Wolfsverordnung“, die das Landeskabinett Ende März 2022 erlassen hat. Aber, sagt Deitermann: „Problematisches Verhalten, das zu einer Entnahme oder Vergrämung führen könnte, konnte in NRW bisher an keiner Stelle rechtssicher festgestellt werden.“

„Es gibt immer noch zu viel gefährlichen Leichtsinn“

Im Hinblick auf weitere Wolfsangriffe setzt das Umweltamt darauf, dass Tierhalter ihre Pferde, Schafe und Ziegen durch bessere und höhere Zäune schützen, sagt Deitermann: „Grundsätzlich gilt: Je besser der Herdenschutz funktioniert, desto schwieriger wird es Wölfen gemacht Nutztiere zu reißen.“

Das sieht auch der Nabu-Vorsitzende Rolf Fricke so: „Garantien gibt es in der Natur nicht, wohl aber statistische Wahrscheinlichkeiten. Danach ist die Gefahr von Wolfsübergriffen auf Menschen verschwindend gering. Wenn Weidetierhalter staatlich finanzierte, wolfsabweisende Zäune bauen und sachgemäß betreuen, ist auch die Gefahr von Nutztierrissen nachweisbar deutlich eingegrenzt. Im Schermbecker Wolfsgebiet sind im letzten Jahr einige gute Zäune gebaut worden, aber es gibt immer noch zu viel gefährlichen Leichtsinn.“

Zu dieser Einschätzung passen zwei Zahlen: Eine Million Euro stellt das Land in diesem Jahr zur Förderung des Herdenschutzes zur Verfügung. Abgerufen davon wurden bis zum 15. Juni erst 182.000 Euro.