Bottrop. Mehr Patchwork geht nicht: Beide Partner bringen leibliche Kinder in die Beziehung mit. Gemeinsam nehmen sie noch Pflegekinder an. So läuft das.
Patchwork bedeutet: Man nehme verschiedene Stoff-Materialien, Muster, Farben und setze die einzelnen Teile mit handwerklichem Geschick und Liebe zu einem kunterbunten und doch harmonischen Ganzen zusammen. Passt perfekt zu der Familie, die wir heute treffen.
Um den großen Esstisch herum sitzen Julia (45) und Daniel (50; Namen geändert) mit zwei schon großen Kindern jeweils aus ihren früheren Beziehungen und zwei kleinen Pflegekindern zusammen. „Ich hätte nie gedacht, dass man fremde Kinder so schnell wie eigene im Herzen tragen und lieben kann“, sagt der Familienvater.
Patchworkfamilie in Bottrop: „Mittlerweile läuft das Rad rund“
Seit vier Jahren sind Julia und Daniel verheiratet, kennen sich aber schon länger. Der erste Schritt hin zu einer Patchworkfamilie fiel allen leicht. Lena (21) und Luke (16), die Kinder von Julia, verstanden sich gleich mit Daniels Tochter Finja (18). „Seit dem ersten Tag“, wie Finja sagt, die bis zum Einzug in ihre eigene Wohnung bei ihrer Mutter in Haltern lebte. Die 45-jährige Julia stammt selbst aus einer Patchwork-Familie. „Meine Familie saß immer mit allen zusammen, ich kenne das gar nicht anders.“ Diese positive Haltung hat sie versucht, als Erwachsene weiterzugeben. „Erst waren noch ein paar Ecken und Kanten am Rad“, gibt Ehemann Daniel zu. „Aber mittlerweile läuft das Rad rund.“
So rund, dass Julia mit Finjas Mama demnächst zusammen ein Konzert besuchen möchte. Und vor allem: So rund, dass weitere Mitglieder zur Patchwork-Familie hinzukommen konnten.
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Kurz haben Julia und Daniel überlegt, ein gemeinsames Kind zu bekommen. Doch Finja, Lena und Luke waren ja schon aus dem Gröbsten raus und deren Eltern dankbar, sie gesund groß bekommen zu haben. „Man muss sein Glück ja nicht herausfordern“, meint Daniel.
Paar hatte den Wunsch, das gemeinsame Nest weiter auszubauen
Doch der Wunsch, das gemeinsam geschaffene Nest weiter auszubauen, war offenbar da. Ein Haus voller Kinder waren alle gewohnt, da Julia als Tagesmutter im Einsatz war. Gemeinsam entschlossen sich Julia und Daniel, sich für die Bereitschaftspflege anzumelden. Vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) wurden sie auf Herz und Nieren geprüft und auf die Aufgabe vorbereitet, Kinder, die akut aus ihrer leiblichen Familie raus müssen, eine Zeit lang bei sich aufzunehmen. Bis diese nämlich einen Platz bei einer Dauerpflegefamilie gefunden haben.
„Im September vor zwei Jahren war das“, sagt Daniel. „Die erste Bereitschaftspflege sitzt heute mit am Tisch.“ Die beiden kleinen Brüder Tom (4) und Jonas (2; Namen geändert) nämlich haben die Herzen der anderen Familienmitglieder so schnell erobert, dass sie als Dauerpflegekinder blieben. Der Groschen fiel spätestens in dem Moment, als sie nach rund zwei Monaten weitervermittelt werden sollten. „Ich habe sofort beim SkF angerufen – und brauchte meine Frage gar nicht mehr zu stellen“, erzählt Daniel. Auch die leiblichen Kinder hatten längst ihre volle Unterstützung zugesagt, helfen heute bei der Betreuung aus.
„Wir haben immer das Haus voll“
War es für sie kein Thema, noch einmal zwei so junge Brüder ins Haus zu bekommen? Finja und Luke verneinen, sie haben gerne eine volle Bude daheim, sagen sie. Eine soziale Ader haben sie ebenso, ob Luke im Fußballverein bzw. als zukünftiger Erzieher oder Finja bei der Berufswahl als Pflegefachkraft.
„Wir haben immer das Haus voll, auch die Freunde der Kinder sind gerne da“, ergänzt Julia. Sie ist eindeutig der Kümmerer-Typ, der den Kumpels von Luke abends um zehn Uhr noch Schnittchen schmiert, wenn sie Hunger haben.
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Als „eine Herzensangelegenheit“ beschreiben Julia und Daniel ihr Dasein für die Kids, leibliche wie angenommene. Julia treten Tränen in die Augen, wenn sie an die Ankunft der Brüder denkt. Wie Tom, der Ältere, dort stand, mit der Puppe im Arm, voller Hoffnung. „Er hat hier in fremde Augen geguckt, wusste ja nicht, was ihn erwartet“, meint Daniel. „Und wenn man jetzt sieht, wie selbstbewusst, lebensfroh und wissbegierig er ist.“ Mit vielen Freunden im Kindergarten und offener Art gegenüber den Besuchern am Kaffeetisch.
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Was sich die Erwachsenen allerdings wünschen würden, wäre manchmal noch mehr Unterstützung. „Wenn man sich dazu entschließt, Pflegeeltern zu werden, ist man am Anfang in manchen Dingen ganz schön alleine gelassen“, findet Daniel. Sehr kurzfristig brauchten die Pflegekinder in diesem Sommer zum Verreisen Kinderreisepässe. Dabei habe sich herausgestellt: „Die ausgestellte Vollmacht, die man uns am Anfang gegeben hatte, war in der Ausführung nicht gültig.“ Die Familie bangte und rotierte, war schließlich froh über die schnelle Hilfe der leiblichen Mutter der beiden Jungs und über die Unterstützung der Mitarbeiterin vom SkF.
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Die Namensgebung ist für die Familie ein großes Thema. Die Erwachsenen würden es den Pflegekindern gerne ersparen, einen anderen Namen zu tragen. „Bei Tom passiert etwas im Kopf, wenn er zum Beispiel beim Arzt aufgerufen wird und dabei ein anderer Name genannt wird als bei uns.“ Julia: „Für die Kinder ist es schwierig. Sie haben in ihrem kleinen Leben schon so viel Durcheinander erfahren müssen.“
Bei aller Gleichbehandlung mit den leiblichen Kindern ist den (Pflege-)Eltern aber immer auch wichtig, dass die Jüngsten ihre Wurzeln nicht vergessen. „Wir erklären dem Größeren: Du hast eine Mutter, bei der warst du im Bauch.“
Am Tisch sitzt er heute, Tag für Tag, mit seiner großen, bunten Patchworkfamilie.