Bottrop. Eva und Dennis Wirschun aus Bottrop haben zwei Pflegetöchter. Hier berichten sie aus ihrem Alltag und wie ihre Kinder zu ihnen kamen.

Stillsitzen mag Emely nicht gerne. Lieber turnt die Achtjährige auf der Couch herum, holt sich noch etwas zu knabbern, legt dann den Kopf in den Schoß ihrer Mutter. Ihre Schwester Cerina, 13 Jahre alt, ist da ganz anders, hält auch den Foppereien ihrer kleinen Schwester ruhig stand. Geschwister eben. Das Besondere: Die beiden sind Pflegekinder und nicht blutsverwandt. „Wir sind eine Familie“, stellt ihr Vater Dennis Wirschun klar. „Ich spreche nie von Pflegekindern, das sind meine Töchter.“

Dennis Wirschun und seine Frau Eva wollten immer Kinder haben. Aber auf natürlichem Weg konnten sie keine bekommen. Der erste Gedanke war, ein Kind zu adoptieren. „Aber eine Adoption zieht sich“, sagt Dennis Wirschun. Außerdem seien sie, heute 45 und 43 Jahre alt, damals mit um die 30 Jahre schon etwas „alt“ für die Adoption eines Babys gewesen, ergänzt seine Frau. Und so kam die Pflegschaft in ihre Gedanken.

Pflegedienst: „Wir suchen für das Kind eine Familie, nicht für die Familie ein Kind“

Wer Pflegeeltern werden will, muss ein längeres Prozedere beim Jugendamt durchlaufen. Auf ein erstes unverbindliches Informationsgespräch folgt ein ausführlicher Fragebogen zu persönlichen Erfahrungen aber auch zu dem, was man sich überhaupt vorstellen könnte. „Das war wie im Katalog bestellen“, erinnert sich Eva Wirschun an Fragen nach Haarfarbe und Religion des künftigen Pflegekindes. „Das wollte ich erst gar nicht beantworten.“

Für das Jugendamt ist dieser Fragebogen aber ein wichtiges Instrument, um festzustellen, ob ein Kind in die Familie passt. „Wir suchen für das Kind eine Familie, nicht für die Familie ein Kind“, stellt Hannah-Marie Hahne, Teamleiterin beim Bottroper Pflegekinderdienst, klar. In den Unterlagen stehe zum Beispiel auch die Frage, ob sich eine Familie vorstellen könne, ein Kind aufzunehmen, dass aus einem Missbrauch entstanden ist. Da ist dann gegebenenfalls noch mal eine ganz andere Traumabewältigung nötig.

Sorgerecht für Pflegekinder bleibt in der Regel bei leiblichen Eltern

Anders als bei der Adoption verbleibt das Sorgerecht für die Kinder in der Regel bei den leiblichen Eltern. Viele Kinder haben einen gesetzlichen Vormund. „Vollzeitpflege ist aber auf Dauer angelegt“, sagt Hannah-Marie Hahne. Zu 100 Prozent könne man aber nie ausschließen, dass sie zu ihrer Herkunftsfamilie zurückkommen, auch wenn das unwahrscheinlich ist.

Ein wenig Sorge bliebe aber ja doch. „Wenn man mit leiblichen Kindern richtig Stress hat, muss man da durch“, sagt Dennis Wirschun. „Bei Pflegekindern bleibt die Sorge, dass sie mal zu ihrer leiblichen Mutter zurück wollen.“ Emely protestiert: „Das würde ich nie tun!“

Die Familie Wirschun spielt gerne – hier auf ihrem Spiele-Dachboden.
Die Familie Wirschun spielt gerne – hier auf ihrem Spiele-Dachboden. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Die Achtjährige, die mit zehn Monaten zu ihren Eltern kam, wurde von einer 16-Jährigen geboren, die sich nicht in der Lage sah, sich um sie zu kümmern. Ihre leibliche Oma, zu der sie heute noch Kontakt hat, sagte damals, sie schaffe das nicht, sich um ihr Enkel und zugleich um die noch minderjährige Tochter zu kümmern. Sie gaben Emely freiwillig in die Obhut des Jugendamtes. Das organisiert auch die regelmäßigen Treffen mit der leiblichen Mutter, die allerdings während der Corona-Zeit weniger geworden sind.

Geboren von drogenabhängiger Mutter: Baby musste Entzug machen

Emelys Schwester Cerina war vier Jahre alt, als sie ihre Mutter das letzte Mal gesehen hat. „Ich kann mich gar nicht mehr an sie erinnern“, sagt die 13-Jährige. Ihre Mutter war drogenabhängig, als sie schwanger war. Baby Cerina musste noch im Krankenhaus einen Entzug machen, bevor Eva und Dennis Wirschun sie als Neugeborenes mit nach Hause nehmen durften.

„Ihre Mutter hat mir damals nie in die Augen geschaut, sie schämte sich“, erzählt Eva Wirschun. Dabei habe sie doch das Beste gemacht, was möglich war, indem sie ihr Kind zu Pflegeeltern gegeben hat, „weil sie sich selbst nicht kümmern konnte“.

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Nach dem letzten Treffen vor neun Jahren hat sich Cerinas Mutter lange nicht gemeldet. Als Cerina 13 Jahre alt wurde, haben ihre Eltern ihr erlaubt, Facebook zu nutzen. Dort hat sie ihre Mutter gefunden und angefangen, mit ihr zu schreiben. „Als Cerina mir sagte, die Mama habe sich bei Facebook gemeldet, habe ich geweint“, sagt Eva Wirschun. Auch wenn sie keine Angst hat, dass Cerina jetzt bei ihrer leiblichen Mutter leben will. „Eine Mama ist die, die 24 Stunden für einen da ist, nicht für ein paar Stunden.“

„Man wird doch von den Eltern geprägt, nicht von den Genen“

Die Familie geht komplett offen damit um, dass Cerina und Emely Pflegekinder sind. Auch wenn es natürlich nicht jeder im Umfeld wisse, sie auch immer wieder zu hören bekommen, dass Emely ja ganz wie die Mama aussehe und Cerina dem Papa ähnele.

Die Bedenken der eigenen Familien zu Beginn hatten sie schnell in den Wind geschlagen. Eva Wirschuns Vater sorgte sich zunächst, was für ein Kind sie sich ins Haus holen würden. Schließlich stand er regelmäßig vor der Tür – weil er zufällig in der Nähe gewesen sei, aber eigentlich wollte er die Enkelin sehen, in die er ganz vernarrt war. „Man wird doch als Mensch von den Eltern geprägt“, ist sich Eva Wirschun sicher, „nicht von den Genen“.

Eigentlich wollte sich Cerina in diesen Tagen mit ihrer leiblichen Mutter treffen – das erste Mal seit neun Jahren. Sie ist neugierig, aber es sei auch etwas komisch. „Ich habe auch ein bisschen Angst.“ Während unseres Gesprächs kommt die Nachricht, dass die Mutter das Treffen verschieben wolle.

Kontakt zum Pflegekinderdienst

Das Jugendamt sucht dringend Pflegeeltern. In den vergangenen Jahren seien die Bewerberzahlen zurückgegangen.

Wer sich dafür interessiert, Pflegeeltern zu werden, kann Kontakt mit dem Bottroper Pflegekinderdienst aufnehmen. Teamleiterin Hannah-Marie Hahne ist unter 02041 704159 oder hannah-maria.hahne@bottrop.de erreichbar.

Nach einem unverbindlichen Erstgespräch folgt ein festes Überprüfungsverfahren, zu dem die Beantwortung eines ausführlichen Fragebogens sowie ein Hausbesuch gehören. Anschließend durchlaufen die Pflegeeltern eine Bewerberschulung in drei Blöcken. Nach einem weiteren Auswertungsgespräch werden sie in den Bewerberpool aufgenommen.

Rund 200 Vollzeitpflege-Verhältnisse betreut das Jugendamt Bottrop derzeit.