Bottrop. „Manchmal kann ich das Wort Mama nicht mehr hören“, sagt Fatima El-Khabaz (34) – aber sie lächelt dabei. Aus dem Leben einer Alleinerziehenden.
Es ist gemütlich im Wohnzimmer von Familie El-Khabaz und sehr aufgeräumt. Hier sollen sechs Kinder wohnen? In den ersten Minuten des Besuchs mag man es kaum glauben. Doch nach und nach erhält man eine Ahnung davon, was es heißt, alleinerziehende Mutter von drei Jungen und drei Mädchen zu sein: Im Minutentakt wird Fatima El-Khabaz angesprochen, soll hier Fragen beantworten, dort kleine Zwistigkeiten schlichten, da doch bitte endlich das Schauen der Lieblingssendung erlauben. „Manchmal“, seufzt die 34-Jährige, „kann ich das Wort Mama nicht mehr hören.“ Aber sie lächelt, als sie das sagt.
Die Kinder, das sind Rima (11), Dina (7), Lina (6), Abdelaziz (5), Mohamed und Ilias (beide 4). Früher einmal gab es eine Zeit, da wollte Fatima El-Khabaz keinen Nachwuchs. In Bottrop geboren und aufgewachsen, macht sie ihren Abschluss an der Janusz-Korczak-Gesamtschule, lernt Altenpflegehelferin und Altenpflegerin, arbeitet einige Jahre in Essen in einer Gerontopsychiatrie.
Alleinerziehende Bottroperin: Drei Schwangerschaften im Jahrestakt
Sie heiratet früh, mit 20 Jahren, und drei Jahre später wird sie zum ersten Mal schwanger. „Rima war fünf Monate alt, da begannen die Beziehungsprobleme“, erzählt Fatima El-Khabaz. Ein halbes Jahr später trennen sie und ihr Mann sich. „Ich war dann mit Rima eineinhalb Jahre alleine.“ Sie verlässt Bottrop – und lernt in Frankfurt eine neue Liebe kennen.
Auch interessant
Es sollte der Vater ihrer weiteren fünf Kinder werden – „wir wollten gemeinsam Kinder haben“. Doch das gemeinsame Leben entwickelt sich für Fatima zum Alptraum. Drei Schwangerschaften praktisch im Jahrestakt zehren an ihren körperlichen und psychischen Kräften. Eigentlich habe sie nach dem vierten Kind mit der Familienplanung abgeschlossen. Als sich dann die Zwillinge ankündigen, war das „ein großer Schock“.
+++ Sie interessieren sich für Themen rund um Familien und Freizeit-Tipps fürs Wochenende? Abonnieren Sie hier unseren Newsletter „WAZ up Familie“!+++
Die Zwillinge kamen im Sommer 2018 bereits in der 26. Schwangerschaftswoche zur Welt, Fatima war da gerade mit ihren Kindern zu Besuch bei ihrer Familie in Bottrop. „Abdelaziz war damals acht Monate alt und hatte gerade angefangen zu krabbeln.“ Drei Monate lagen die zu früh geborenen Zwillinge auf der Intensivstation; jeden Tag war Fatima dort. In dieser schwierigen Situation kam die Bottroperin zum ersten Mal in Kontakt mit dem Kinderschutzbund und dessen damaliger pädagogischen Leiterin Christine Jatzek. „Sie nahm Rima und Dina ins Ferienprogramm auf, obwohl Dina eigentlich noch zu jung war.“
Bottroper Kinderschutzbund unterstützt Fatima El-Khabaz
Die Unterstützung des Kinderschutzbundes wurde für Fatima El-Khabaz erneut extrem wichtig, als sie sich im Herbst 2019 dann endgültig von ihrem Partner trennte, „wegen häuslicher Gewalt“. Sie kehrte zurück nach Bottrop, wohnte zunächst mit ihren Kindern bei ihrer Mutter, in einer Drei-Zimmer-Wohnung.
Alleinerziehende mit sechs Kindern – jetzt zeigte sich, was das bedeutet. Zum Beispiel bei der Wohnungssuche. Sie bekam eine angeboten „unter der Bedingung, dass alle Kinder einen Betreuungsplatz haben“. Doch wie auf die Schnelle für gleich drei zu dem Zeitpunkt noch nicht versorgten Kinder einen Betreuungsplatz finden? „Ich hatte nur eine Stunde Zeit, dem Vermieter das OK zu geben“, erinnert Fatima El-Khabaz sich. „Frau Jatzek hat für uns alles in Bewegung gesetzt“. Es klappte, doch die Kinder waren am Ende verteilt auf Cyriakusgrundschule, zwei verschiedene Awo-Kitas und eine Tagesmutter. Was ein Aufwand!
„Das war alles viel zu viel.“ Und der Vermieter hat ihr am Ende doch fristlos gekündigt, weil ihm die Familie zu laut war. „Aber ich konnte die Kinder doch nicht anbinden!“ Wieder half Christine Jatzek, und seit einem Jahr wohnt die Großfamilie endlich in Ruhe und mit genug Platz für alle auf dem Eigen.
„Für meine Psyche ist es wichtig, arbeiten zu gehen“
Fatima El-Khabaz lebt vom Jobcenter, ist aber vier Stunden am Tag über eine Maßnahme tätig beim Kinderschutzbund. „Ich verdiene da nicht die Welt, aber für mich und meine Psyche ist es wichtig, arbeiten zu gehen.“ Ihr Traum ist es, wieder im Bereich der Altenpflege einzusteigen „wenn die Kinder alt genug sind“.
Noch aber bestimmt die Fürsorge für den Nachwuchs den größten Teil des Tages. „Mein Wecker geht morgens um 5 Uhr.“ Nach dem Frühstück verlässt die Familie um kurz nach 7 Uhr das Haus. „Rima und Dina fahren alleine mit dem Bus zur Schule.“ Die Jüngeren bringt die Mutter ebenfalls per Bus in die Kita „Bunte Welt“, macht sich dann auf zum Kinderschutzbund.
Lesen Sie hier weitere Folgen aus der Serie „Familiebande“:
Zu sechst:So kommt keiner in der Familie zu kurz
Gendefekt: Wie Merle und ihre Familie den Alltag meistern
Bis alle wieder daheim sind, ist es oft 16 Uhr. Fatima El-Khabaz ist wichtig, dass ihre Kinder noch Hobbys nachgehen können. Rima zum Beispiel trainiert mit der Tanzgarde, die Zwillinge fangen diesen Sommer mit Selbstverteidigung an und Lina mit Tennis. Abdelaziz und Dina sollen Schwimmen lernen, „sie sind auf der Warteliste fürs Seepferdchen“. Doch weil das Hallenbad in Stadtmitte geschlossen ist, sei das gerade schwierig.
Alleinerziehend mit sechs Kindern: Zwei Maschinen Wäsche am Tag
Für die 34-Jährige ist am Nachmittag kein Hobby, sondern der Haushalt dran. Bei sieben Personen hat Fatima El-Khabaz allein zwei Maschinen Wäsche am Tag… Klar, dass auch die Kinder in so einer großen Familie Aufgaben übernehmen müssen. „Wir räumen unsere Zimmer auf“, sagt Dina. Die Spülmaschine einzuräumen gehört auch mit zu den Kinderaufgaben. Lina möchte schon helfen, weil sie weiß: „Mama hat oft Rückenschmerzen.“
Auch interessant
Wenn die Kinder gegen 19 Uhr ins Bett gehen, „arbeite ich für den nächsten Tag noch einiges vor“. Dann ist etwas Ruhe angesagt, im Garten oder bei einem Film – „aber meistens schlafe ich ein“. Der Alltag als Alleinerziehende mit sechs Kindern ist ungeheuer fordernd, auch für die Nerven. „Ich habe gar keine Freizeit für mich. Und ich bin für alles der alleinige Ansprechpartner, muss alles alleine regeln.“ Lina und Dina spüren, dass das für ihre Mutter nicht immer einfach ist. „Manchmal bekommt Mama Kopfschmerzen.“
Inflation trifft Bottroperin hart: „Zurzeit kann ich gar nichts zurücklegen“
Das Thema Finanzen, das Rechnen und Schauen auf jeden ausgegebenen Euro, ist für Fatima El-Khabaz immer präsent. Gerade in Zeiten der Inflation. Bei einer siebenköpfigen Familie spürt sie deutlich, wie sehr sich zum Beispiel Lebensmittel verteuert haben. Und ja nicht nur die, „alles ist teurer geworden“. Was sie früher an Geld zurücklegen konnte, sparte die Bottroperin für eine Familienreise einmal im Jahr nach Marokko, dem Heimatland ihrer Eltern. „Meine Mutter hat dort ein Haus“, erzählt die Bottroperin. „Zurzeit kann ich aber gar nichts zurücklegen.“
Dazu kommt: „Dieses Jahr muss ich zwei Schultaschen besorgen.“ Für Lina, die in die Grundschule kommt, und für Rima, die in die weiterführende Schule wechselt. Kleidung „vererben“ die Mädchen oft untereinander, auch beim Kinderschutzbund tauschen Familien gut erhaltenes Gebrauchtes untereinander aus.
Keine Frage: Für Fatima El-Khabaz und ihre sechs Kinder ist der Kinderschutzbund ein wichtiger Anker. Christine Jatzek hat sogar ein bisschen die Rolle einer Großmutter in der Familie übernommen. „Dafür möchte ich ein großes Dankeschön sagen“, unterstreicht Fatima El-Khabaz.
So leben Familien in Bottrop
Familie gleich Vater – Mutter – gemeinsames Kind? Ja, das kann so sein. Ist aber im Jahr 2023 nur eine Familien-Variante von vielen. Es gibt die Alleinerziehenden, die Patchwork-Familien, die Kleinst- und die Großfamilien, Pflege- oder Adoptivfamilien, Familien mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren und sicher noch einige Modelle mehr.
Nicht zu vergessen die Familien mit besonderen Herausforderungen durch ein behindertes Kind etwa oder pflegebedürftige Angehörige.
Wie leben Familien in Bottrop? Wie sieht ihr Alltag aus, wo stehen sie vor Herausforderungen, was wünschen sie sich von Politik und Gesellschaft, von Kita, Schule und Stadt? Das möchten wir in einer Serie vorstellen.
Dazu suchen wir auch noch weitere Familien, die ihre Geschichten erzählen. Melden Sie sich per E-Mail unter nina.stratmann@funkemedien.de. Wir sind gespannt!