Bottrop. Sie wollen helfen und werden beschimpft oder sogar angegriffen: Ärzte in der Notaufnahme am KKH in Bottrop leiden unter aggressiven Patienten.

Die Gewalt gegenüber der Polizei, Feuerwehrleuten oder Rettungskräften im Außeneinsatz nimmt zu. Inzwischen zeigen sich aber auch Kliniken und Ärztevertreter alarmiert. Denn immer öfter sei auch das Personal in Notaufnahmen verbalen und körperlichen Attacken ausgesetzt. So sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß kürzlich im Ärzteblatt: „Neun von zehn Krankenhäusern mussten bereits Erfahrung mit Gewalt gegen ihre Beschäftigten in den Notaufnahmen sammeln.“ Eine Einschätzung, die Björn Stasch, pflegerischer Leiter der Zentralen Notaufnahme (ZNA) am Knappschaftskrankenhaus (KKH) nur bestätigen kann.

Körperliche Angriffe gehen im Bottroper KKH oft auch von Angehörigen aus

„Die Situation hier hat sich drastisch verändert, sicher hat da die Corona-Pandemie eine Rolle gespielt, aber eine Entwicklung hin zu mehr Aggressivität ist schon viel länger zu beobachten.“ Stasch arbeitet seit 24 Jahren im KKH und kennt daher auch die Situation speziell in Bottrop.

„Ja, es gibt neben Beschimpfungen auch körperliche Angriffe, die gehen von Patienten aber sehr oft auch von Angehörigen aus, vor allem, wenn es sich um größere Gruppen handelt, die in der ZNA ankommen. Wenn wir sagen, ein Angehöriger darf dabei sein und mit dem Patienten aber zwei, drei oder mehr kommen, fängt da oft schon der Ärger an“, weiß Björn Stasch.

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Eine Einschätzung, die Wolfgang Dierschke, ärztlicher Leiter der Notaufnahme, teilt. Vieles liege dabei an einer komplett veränderten Erwartungshaltung und Einstellung der Patienten gegenüber dem Bereich Krankenhaus und medizinischer Versorgung. „Früher sahen Patienten in Ärzten die sogenannten ,Halb- götter in Weiß’, die unantastbar waren, was sicherlich auch nicht richtig war.“

Heute gebe es dagegen oft überzogene Erwartungshaltungen, was Wartezeiten aber auch die Versorgung im Krankenhaus betreffe. „Rücksichtnahme und Verständnis nehmen ab und dazu kommt ein Anspruch an Unterkunft und Verpflegung, bei der ein Krankenhaus mit einem Hotelbetrieb verwechselt wird“, so Wolfgang Dierschke.

Besorgt über steigende Gewalt und Aggression in der Notaufnahme: Jörg Marcinkowski (Abteilungsleiter Pflegedienst), Wolfgang Dierschke (Facharzt und Leiter ZNA) und Björn Stasch, pflegerischer Leiter der ZNA am Knappschsftskrankenhaus (v.l.).
Besorgt über steigende Gewalt und Aggression in der Notaufnahme: Jörg Marcinkowski (Abteilungsleiter Pflegedienst), Wolfgang Dierschke (Facharzt und Leiter ZNA) und Björn Stasch, pflegerischer Leiter der ZNA am Knappschsftskrankenhaus (v.l.). © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

An Herkunft oder Nationalität möchte der Arzt diese Erscheinungen nicht grundsätzlich festmachen. „Clanstrukturen oder die Bevölkerungszusammensetzung wie ich sie in Essen oder Herne erlebt habe, gibt es so in Bottrop sicher nicht“, sagt der Mediziner, der zuvor lange in großen Krankenhäusern in beiden Städten gearbeitet hat.

Jörg Marcinkowski, Abteilungsleiter in der Pflegedirektion, sieht in dem sich schon länger ändernden Verhalten in Notaufnahmen einen Spiegel der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung im persönlichen Umgang. Gewaltbereitschaft gegenüber Einsatz- und Rettungskräften draußen verändere sich nicht am Eingang der Notaufnahme.

Dazu komme aber seit vielen Jahren auch der Einfluss von „Dr. Google“, wie er es nennt. Da stiegen Patienten und Angehörige in medizinische oder pflegerische Diskussionen mit „Wissen“ aus dem Internet ein, was Abläufe verzögere, oft auch behindere und ohnehin aufgeladene Situationen schaukelten sich weiter hoch. Dazu wüssten viele nicht, was die Triage bedeute und verstünden nicht, dass akut gefährdete Patienten schneller „dran“ kämen, obwohl andere schon viel länger warteten. Immer wieder ein Thema, das die Gemüter erhitzt.

Positive wie negative Aspekte eines permanenten Sicherheitsdienstes

Wie steht es da um die Sicherheit der Mitarbeitenden im Knappschaftskrankenhaus? „Einen permanenten Sicherheitsdienst wie zu Coronazeiten haben wir nicht mehr, ich sehe den auch als zweischneidiges Schwert“, sagt Wolfgang Dierschke, denn: „Im Krankenhaus sollten erst einmal alle Hilfesuchenden willkommen sein.“

Björn Stasch hingegen würde eine ständige Security als hilfreich empfinden, auch als ordnendes Bindeglied zwischen Notaufnahme und Patienten. Denn immerhin kämen etwa 20.000 Patienten pro Jahr in die ZNA am Knappschaftskrankenhaus Derzeit gebe es eine Notfalltaste, mit der in gefährlichen Situationen schnell Kollegen herbeigerufen werden können.

Im alten Haupteingang des Marienhospitals liegen Ärztliche Notfallpraxis und Zentrale Notfallambulanz (ZNA) eng beieinander. In die ZNA kommen pro Jahr etwa 31.000 Patienten.
Im alten Haupteingang des Marienhospitals liegen Ärztliche Notfallpraxis und Zentrale Notfallambulanz (ZNA) eng beieinander. In die ZNA kommen pro Jahr etwa 31.000 Patienten. © MHB

Am Marienhospital (MHB) gibt es im Gegensatz zum KKH einen permanenten Sicherheitsdienst. „Nicht nur in der Notaufnahme, sondern für das gesamte Haus und den Park, nicht erst seit Corona“, sagt Jörg Widdermann. Damit liegt Bottrop im Trend der von der Deutschen Krankenhausgesellschaft veröffentlichten Zahlen, wonach etwa jede zweite Klinik im Land über eine Security verfüge.

Für Widdermann, stellvertretender Leiter des Pflegedienstes und seit 30 Jahren am MHB beschäftigt, hängt das jedoch nicht mit einem immer stärker steigenden Anwachsen der Gewalt gegen Mitarbeitende zusammen. „Wir kennen die deutschlandweiten Zahlen, können die aber für unser Haus auch nach Rückfragen unter den Teams so nicht bestätigen.“

Marienhospital eine Insel der Seligen? Was physische Attacken angeht, offenbar ja

Bottrop, das MHB, also doch eine „Insel der Seligen“? „Was körperliche Attacken in der Notaufnahme angeht, ja. Das ist bei uns so noch nicht vorgekommen“, meint Stefan Sommer, Funktionsleiter der Zentralen Notfallambulanz Wie überall sei auch dort der Ton rauer, das Anspruchsdenken höher geworden. Und ja, auch der Sicherheitsdienst werde im Schnitt einmal pro Woche gerufen, was zumeist schon deeskalierend wirke. Angesichts der Patientenzahl von rund 31.000 pro Jahr oder knapp 600 in jeder Woche sei das aber nicht besorgniserregend.

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Ein Vorteil am MHB sei dabei die direkte Nachbarschaft von ärztlicher Notfallpraxis und Notfallambulanz im alten Haupteingang des Krankenhauses. „Dort wird sofort geschaut, welche Patienten besser beim Hausarzt aufgehoben sind oder eben in die Notaufnahme kommen“, sagt Stefan Sommer. Die Triage entscheide über die Dringlichkeit der Aufnahme, was natürlich schon einmal zur Aggression führen könne. Aber tätliche Angriffe, nein. Das haben beide Mitarbeiter und deren Teams – bis jetzt – noch nicht erlebt.