Bottrop. Mit seiner Doktorarbeit setzt Jan-Philipp Kitzig an der HRW ein Ausrufungszeichen. Er fragt: Wer stört im Stromnetz? Denn das betrifft uns alle.
Ein Abschluss mit summa cum laude, die Entwicklung eines neuartigen Systems zur Messung der spektralen Spannungsqualität in elektrischen Verteilnetzen: Mit seiner Doktorarbeit hat Jan-Philipp Kitzig (32) an der Hochschule Ruhr West ein Ausrufungszeichen gesetzt. Und selbst für Nicht-Ingenieure ist spannend, wenn Kitzig fragt: „Wer stört im Stromnetz?“
Messung der Spannungsqualität in elektrischen Netzen
Der genaue Titel seiner Dissertation lautet: „Methoden zur Analyse der Spannungsqualität im Frequenzbereich bis 500 kHz“. Kitzig erläutert: „Das grobe Thema ist die Messung der Spannungsqualität in elektrischen Netzen. Die Spannungsqualität ist ein Oberbegriff für verschiedene Messgrößen, die im Netz in einem gewissen Rahmen bleiben müssen, damit die Qualität der elektrischen Energieversorgung gewährleistet ist.“ Idealerweise sei das eine Sinuswelle mit 230 Volt Effektivwert und 50 Hertz Frequenz.
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Probleme mache hier nun die zunehmende Durchdringung des Netzes mit Geräten, die über leistungselektronische Bauteile verbunden werden. „Heute nutzt man nicht mehr klassische Transformatoren“ – früher zu erkennen als recht große Netzteile etwa fürs Handy oder den Laptop – „sondern nur noch leistungselektronische Komponenten“. Diese hätten kein klassisches Übersetzungsverhältnis zu einer niedrigeren Spannung mit zwei dicken Spulen mehr, sondern enthielten Halbleiter. Die funktionieren wie ganze kleine Schleusentore, erläutert Dr. Jan-Philipp Kitzig, die mehrfach pro Sekunde auf- und zugehen. „Damit können sie die Leistung, die sie aus dem Netz ziehen, schön portionieren und wandeln für das, was zum Beispiel das Handy braucht.“
Diese Geräte – und aber auf der Erzeugerseite zum Beispiel auch die heimische Photovoltaik-Anlage – sorgten dafür, dass sich die Kurvenform der Netzspannung verändert. „Diese weicht von der idealen Sinuskurve ab und zeigt eine gewisse Verzerrung.“ Und zwar in der Regel eine so genannte harmonische Verzerrung. „Das sorgt dafür, dass auch auf höheren Frequenzen Leistung fließen kann.“ Und eben nicht nur über die 50 Hertz, auf die das Netz und die Geräte eigentlich ausgelegt seien.
Was das für Folgen haben kann, erläutert Kitzig an einem Beispiel: „Wir hatten einen sehr interessanten Fall, wo ein Elektrofahrzeug bei 10.000 Hertz signifikante Leistung ins Netz eingespeist hat. Das hat dazu geführt, dass zum Beispiel in dem Bürogebäude nebenan Bildschirme, Lampen und alles, was ans Netz angeschlossen war, angefangen haben zu pfeifen.“ Sobald also jemand im Hof das Elektroauto geladen habe, habe zum Beispiel am Arbeitsplatz der Bildschirm leise gefiept.
Störungen im Stromnetz wirken sich auf Geräte aus
So etwas sei bisher schwierig gewesen, messtechnisch nachzuweisen. Bis eben Kitzig mit seiner Promotion kam. Seine neues Messsystem ermöglicht die Identifikation und Lokalisierung der Verursacher von Störungen im Stromnetz. „Vorher war es schon möglich festzustellen: Da ist eine Störung. Jetzt kann man feststellen: Da ist eine Störung – und sie kommt aus dieser Richtung.“ Um beim Beispiel zu bleiben: Der Hersteller der besagten E-Fahrzeuge machte die Ladesäule für die Störung verantwortlich. „Mit unserer Messtechnik konnten wir aber eindeutig zeigen: Es lag nicht an der Ladesäule, es kommt aus dem Auto.“
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Andere interessante Arbeiten, etwa der TU Dortmund, zeigen laut Kitzig auf, was solche Störungen im Netz bei anderen Geräten auslösen. Zum Beispiel kaufe man sich womöglich ein neues Haushaltsgerät, das nach gut zwei Jahren schon kaputt geht. „Dass das eben nicht schlechtere Qualität ist, sondern am E-Auto des Nachbarn liegt, hat man ja erst einmal nicht auf dem Schirm.“
Ist die Spannungsqualität im elektrischen Netz nicht so, wie sie sein sollte, können nicht nur Geräte darunter leiden. „Aus Sicht des Netzbetreibers kann es auch dazu führen, dass fälschlicherweise Schutzvorrichtungen ausgelöst werden und das Netz zum Beispiel lokal abgeschaltet wird, weil Grenzwerte überschritten werden.“
Dr. Jan-Philipp Kitzig stammt aus Saarbrücken und wohnt in Düsseldorf
Geboren und aufgewachsen ist Dr.-Ing. Jan-Philipp Kitzig in Saarbrücken. „Dort habe ich nach meinem Zivildienst an der Fachhochschule Maschinenbau studiert.“ Nach Bachelor- und Masterabschluss wollte er „raus aus der Provinz“ – und landete in Düsseldorf. Auf der Suche nach einem Job stieß er auf eine Stellenausschreibung der HRW, gesucht wurde ein wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Energiesysteme und Energiewirtschaft.
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So kam der Saarländer im Februar 2016 an den Campus Bottrop. „Der erste Mensch, den ich in Bottrop nach dem Weg gefragt habe, hat mir im breitesten Saarländisch geantwortet“, erinnert sich Kitzig. Das war einer von den Kumpeln, die nach der Schließung der Zechen im Saarland 2012 auf dem Bottroper Bergwerk arbeiteten. Das ist seit Ende 2018 ebenfalls Geschichte. An Themen der Zukunft arbeitete hingegen Kitzig an der erst 2009 gegründeten Hochschule. Er war Mitglied in der Forschungsgruppe von Professor Dr.-Ing. Gerd Bumiller am Institut Informatik.
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Mit Bumiller hat Kitzig auch promoviert, musste sich, da die HRW als Fachhochschule kein Promotionsrecht besaß, aber noch einen Doktorvater suchen. Den fand er in Prof. Dr.-Ing. Li-Jun Cai von der Universität Rostock.
Und jetzt? Arbeitet Kitzig teils freiberuflich, teils angestellt als Ingenieur. Zudem ist er noch Zweitbetreuer bei zwei Masterarbeiten an der HRW. Seine Promotion bezeichnet er als Grundlagenarbeit, die einen Forschungsprozess in Gang gesetzt habe. „Natürlich wird an dem Thema weiter gearbeitet in der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Bumiller an der HRW.“ Vielleicht werde aus seiner Entwicklung irgendwann einmal ein Produkt – „das wäre zu hoffen“.
Doktorarbeit ist online veröffentlicht
Die Dissertation „Methoden zur Analyse der Spannungsqualität im Frequenzbereich bis 500 kHz“ von Jan-Philipp Kitzig wurde am 29. April 2022 zur Begutachtung eingereicht. Am 1. Dezember 2022 erfolgte die Verteidigung in Rostock in Anwesenheit der HRW-Professoren Dr. Gerd Bumiller und Dr. Jens Paetzold sowie der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Melanie Herzig, Mike Duddek und Yigit Durmus der HRW.
Am 11. Januar 2023 wurde die Arbeit auf dem Dokumentenserver der Universität Rostock unter https://doi.org/10.18453/rosdok_id00004115 veröffentlicht.