Bottrop-Kirchhellen. Seit 1901 gibt es das Theater der Kolpingsfamilie. 1923 führte sie erstmals ein Stück auf Platt auf. Der Heimatverein macht eine Ausstellung.

Die nächste Ausstellung des Heimatvereins Kirchhellen würdigt die 100-jährige Tradition des plattdeutschen Theaters der Kolpingsfamilie im Heimathaus am Wellbraucksweg. Eröffnet wird sie am Sonntag, 16. April, um 11 Uhr. Ausstellungsmacher Willi Stein hat sich im Archiv der Regisseure Bernd und Tochter Claudia Hollender bedienen dürfen, Mitglieder der Laienspielschar haben Gegenstände aus ihrem Fundus beigesteuert. So bekommen die Besucher einen vollständigen Überblick über die Aufführungen der Laienspielschar seit 1947.

Lesen Sie weitere Berichte aus Kirchhellen:

Das Backstage: In den Kolpingfarben Schwarz und Orange hat Ausstellungsmacher Willi Stein den Raum hinter der Bühne gestaltet. Die Tür zur Bühne hat Gucklöcher.
Das Backstage: In den Kolpingfarben Schwarz und Orange hat Ausstellungsmacher Willi Stein den Raum hinter der Bühne gestaltet. Die Tür zur Bühne hat Gucklöcher. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Up dat et uns wohl goh up unsre ohlen Dage -!“. Mit diesem Satz auf Friesisch lässt Kurt Tucholsky seinen Erfolgsroman „Schloss Gripsholm“ enden, in dem er auch lang und liebevoll das Rostocker Missingsch zitiert. Thomas Mann hat in den „Buddenbrooks“ beim Lübecker Platt ein Denkmal gesetzt Annette von Droste-Hülshoff hat in der „Judenbuche“ das Platt ihrer Münsteraner Heimat verewigt.

Besucher-Ampel: Bei Rot haben nur die Schauspieler Zutritt, ausnahmsweise wurden aber auch Besucher eingelassen.
Besucher-Ampel: Bei Rot haben nur die Schauspieler Zutritt, ausnahmsweise wurden aber auch Besucher eingelassen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Auch der Kirchhellener Heimatverein hat sich seit seiner Gründung 1913 der Pflege des Plattdeutschen verschrieben. Gleich die Bände 3 und 4 der vom Heimatverein seit 1972 herausgegebenen Schriftenreihe widmen sich dem Kirchhellener Platt: Heimatforscher Johannes Rottmann hat darin Redensarten und Abzählreime gesammelt und Begriffe aus dem Kirchhellener Platt ins Hochdeutsche übersetzt. Teil 3 lieferte Heimatforscher Hans Büning ein Vierteljahrhundert später. 2007 legte Hedwig Stratmann-Täpper unter dem Titel „Lot us ne Muhle vull Platt kürn“ eine Sammlung von plattdeutschen Geschichten ihres Mannes Theo Täpper vor.

Nicht wirklich essbar: Tischdeko mit Obst und Schnittchen.
Nicht wirklich essbar: Tischdeko mit Obst und Schnittchen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Kultur war für die Kolpingsfamilie seit ihrer Gründung ein großes Thema. Schon Weihnachten 1901 wurd das erste Theaterstück aufgeführt. Aus dem Kolping-Chor wurde später der Männergesangsverein Einigkeit, als der Kolping-Kapelle die „Kirchhellener Blasmusik“.

Die Theatertruppe blieb der Kolpingsfamilie erhalten und entdeckte am 8. Januar 1923 ihr Erfolgsrezept: Plattdeutsch. Ihr „Söffgen van Giewenbeck“ wurde wegen der großen Nachfrage gleich dreimal aufgeführt. Ebenfalls ein Publikumshit wurde 1930 „Frau Schulte Blaum“ mit drei Aufführungen. Mit dem Erlös von 1000 Reichsmark stiftete Kolping der fünf Jahre zuvor neu gebauten Kirche St. Johannes vier Kirchenbänke.

Plattdeutsche Theater unter Nazis eingeschränkt

Unter nationalsozialistischer Herrschaft wurde das plattdeutsche Theater immer weiter eingeschränkt. 1937 wurde nur noch eine einmalige Aufführung in der Gaststätte Schulte-Wieschen erlaubt, ab 1938 bis Kriegsende gab es kein Kolpingtheater in Kirchhellen mehr.

Für den Schminktisch haben Laiendarsteller in ihren Fundus gegriffen, sagt Willi Stein.
Für den Schminktisch haben Laiendarsteller in ihren Fundus gegriffen, sagt Willi Stein. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Kolping-Laienspielschar den Theaterbetrieb mit dem Publikumsknaller „Frau Schulte-Baum“ von 1930 wieder auf. 3000 Besucher sahen die letzte Regiearbeit von Theodor Schlüter, Fritz Pelz wurde 1947 zu seinem Nachfolger gewählt. Ihm folgte Bernhard Hollender, der bereits 1974 ein Stück Kolping-Theatergeschichte geschrieben hatte: Weil er als Souffleur alle Rollen drauf hatte, sprang er ein, als sich Brigitte Scherkamp vor der vierten von sechs Aufführungen von „Op Düwels Schuffkar“ ein Bein gebrochen hatte. Der Kolping-Chronist lobt: „Er spielte die Frauenrolle hervorragend.“

+++ Nachrichten aus Bottrop direkt ins Postfach: Hier geht es zum Bottrop-Newsletter +++

Seit 1947 bis zur Corona-Zwangspause 2020 hat die Kolping-Theatertruppe jedes Jahr ein Stück herausgebracht. Daten und Bilder zu den Aufführungen sind in der Ausstellung zu sehen. 2015 übernahm Tochter Claudia den Regiestuhl. Sie will die Zwangspause der Laienspielschar beenden: „Anfang 2024 sind wir fest entschlossen, wieder zu spielen.“ Der Kern der Theatertruppe will weiter mitspielen. Claudia Hollender: „Weitere interessierte Mitspieler können sich während der Laufzeit der Ausstellung gerne melden.“

Eine kleine Geschichte des Plattdeutschen

Plattdeutsch entstand aus dem Niederdeutsch, das westgermanische Stämme in Nord- und Westdeutschland gesprochen haben. Das ist so ziemlich das Einzige, über das Sprachforscher sich nicht streiten. Was man noch relativ sicher weiß über Plattdeutsch: Im Mittelalter war es die Sprache des mächtigen Handelsverbundes Hanse so kam das Platt in seiner westfälischen Ausprägung auch ins heutige Ruhrgebiet. Schließlich waren Dortmund, Münster und, jawohl: auch Dorsten Hansestädte. Damals galt das Niederdeutsch als Sprache der Oberschicht im Norden, bis zum 16. Jahrhundert war es auch die Schriftsprache.

Die Sprachgrenze zu den im Süden gesprochenen niederfränkischen Dialekten verläuft quer durchs Ruhrgebiet. Im Norden von Essen und Oberhausen wird das niederdeutsche Borbecker Platt gesprochen, nebenan in Mülheim „Mölmsch“ auf niederfränkischer Basis.

Die Verdrängung des west- und ostfälischen Platts begann mit der Preußenherrschaft 1815. Die Preußen führten in ihrem Herrschaftsgebiet nämlich Hochdeutsch als Amtssprache ein. Platt gesprochen wurde immer öfter nur in den Dörfern, in den Familien und untrer Frauen.

Ausstellung 100 Jahre plattdeutsches Theater im Heimathaus am Hof Jünger-Wellbraucksweg 2-4. Eröffnung Sonntag, 16. April, 11 Uhr. Geöffnet jeweils sonntags von 11 bis 14 Uhr bis zum 11. Juni. Für Gruppenführungen können gesonderte Termine vereinbart werden beim Vorsitzenden des Heimatvereins Peter Pawliczek, (02045) 2215.