Bottrop-Kirchhellen. Als Kirchhellen noch selbstständig war, gründete sich dort eine Kickertruppe. Es gibt sie heute noch – und drei Mann sind seit 40 Jahren dabei.

„Acker“ Alfred prescht über den rechten Flügel der Turnhalle, sein Blick ist starr auf den Ball gerichtet. Wer sich ihm in den Weg stellt, wird gnadenlos niedergewalzt. Und dann schlurft er den Ball irgendwie ins Tor. Und das ist nicht ganz so leicht zu treffen: ein umgekippter Sprungkasten, ausgeliehen bei den Turnern; nicht viel größer als eine Apfelsinen-Kiste.

Die Geburtsstunde der Kicker-Truppe schlug Anfang der 1970er Jahre, in der damals noch selbstständigen Gemeinde Kirchhellen. Da traf sich eine Handvoll Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung zum gemütlichen Feierabendkick in der kleinen Sporthalle der Matthias-Claudius-Schule. „Um sich die Hallenzeiten zu sichern, wurde eine städtische Betriebssportgemeinschaft, BSG gegründet, die bis heute Gültigkeit besitzt“, blickt Landschaftsarchitekt Wolfgang Telöken zurück. Gekickt wird heute in der Halle der Janusz-Korczak-Gesamtschule.

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Zu den Männern der allerersten Stunde zählte der spätere Amtsleiter der Bezirksverwaltung Kirchhellen, Alfred Hilp, er verstarb 2021 mit 94 Jahren. Ältester aktiver Spieler aber war Rudi „Blacky“ Schwarz. Der frühere Leichtathlet und Trainer der TSG Kirchhellen dribbelte uns Jungspunde in den 1980er Jahren noch mit weit über 70 aus. Drei von uns über 40 Jahre dabei: Bernd Punsmann und Wolfgang Telöken – naja, und auch ich habe in diesem Jahr die 40 beisammen, obwohl ich stramm auf die 70 zugehe, ganz stramm. . . Überhaupt, das Durchschnittsalter der Kernmannschaft liegt über 60 Jahre.

 Auch Oberbürgermeister Bernd Tischler (3. von links) und Dezernent Klaus Müller (links) spielten in der Fußball-Hobbytruppe mit, sie erhielten eine Ehrenurkunde.
Auch Oberbürgermeister Bernd Tischler (3. von links) und Dezernent Klaus Müller (links) spielten in der Fußball-Hobbytruppe mit, sie erhielten eine Ehrenurkunde. © Stadt Bottrop

Viele Spieler wurden im Laufe der Jahrzehnte ein - und ausgewechselt: Werner Leistritz, Jürgen Vorpahl, Ulli Gerloff, Gerd Schlüter, „Picken“-Jupp Pütz, Willi Stegemann, Andy Nolde, Erich Hartl, Bernhard Boeff, Frank Paluch, Hans Aldenhoff – um nur einige zu nennen. Die überwiegende Zahl arbeitete im öffentlichen Dienst. Und selbst die Stadtspitze, der heutige Oberbürgermeister Bernd Tischler und der Technische Beigeordnete Klaus Müller trainierten mit uns. Sie erhielten zur Auszeichnung eine Ehrenurkunde.

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Doch mangels Nachwuchs aus dem Rathaus wurden immer mehr Verstärkungen ohne Beamten-Vertrag verpflichtet, querbeet durch die Berufswelt: Maler, Gymnasiallehrer, Landschaftsarchitekt, Gartenbauunternehmer, DB-Mitarbeiter, Medien-Technik-Unternehmer, Fabrikarbeiter, WAZ-Journalist.

Gespielt wird ohne Torhüter: Das Tor ist der kleine Kasten im Hintergrund vor dem Handballtor.
Gespielt wird ohne Torhüter: Das Tor ist der kleine Kasten im Hintergrund vor dem Handballtor. © FUNKE Foto Services | Franz Naskrent

Eines war in den über 40 Jahren stets die Grundlage: „Freundschaft, Gemeinschaft und viel Spaß“, erinnert sich Gala-Bauer Bernd Punsmann, „vielleicht liegt es auch daran: Wir besaßen nie eine Vereinsstruktur, hatten nie einen Boss.“ Abschalten und a bisserl Sport in Harmonie mit Lachgarantie und Pilsken in der 3. Halbzeit. „Und selbst, wenn Du lange nicht dabei warst, wirst Du immer wieder aufgenommen“, ergänzt Helmut Rahsek, der Mann mit Gewerkschafts-Gen und zuständig für die Team-Harmonie und -Philosophie.

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Und natürlich reihen sich in all den Jahrzehnten Anekdoten an Anekdoten. Zum Beispiel die vom Sparsamsten in unserem Aufgebot. Er versorgte uns stets mit günstigem Bier von einem benachbarten Getränkemarkt; da konnte es dann schon mal sein, dass es Winterbier im Sommer gab. Bei unseren Drei-Tages-Ausflügen ergatterte er günstig Bananen oder Joghurt (falsch etikettiert: Erdbeere stand drauf, Kirsche war drin), musste die Kilo-Ware aber durch halb Köln schleppen und im Hotel bis zur Abreise lagern (was den Bananen abträglich war).

„Friedensengel“ Rolf Czarnetzki lächelt jedweden Ärger weg

Bei allem Frust oder gelegentlichem Zwist: Der Friedensengel unserer Truppe, Czarnetzkis Rolf, lächelt jedweden Ärger weg. Seiner charmanten Ausstrahlung kann sich niemand entziehen, Männlein wie Weiblein. „Lächeln ist die Mutter der Harmonie“, lautet seine erfolgreiche Zauberformel.

Mittlerweile ist das Team gealtert, aber Fußball (sowas wie „Walking“-Fußball) steht immer noch auf dem Spielplan – und ein Ballsport der gemächlicheren Art: Boule. Jeden Donnerstag. Im Sommer auf einer Bahn in der Beckheide, im Winter am August-Everding-Kulturzentrum, wegen des Flutlichtes am Abend. Der harte Kern mit maximal acht Jungs lässt sich von Wüstenhitze und Eiseskälte nicht abhalten. Der Blick auf die Wetter-App entscheidet kurzfristig über den Einsatz.

Wird’s mal eng zwischen den Kugeln rund ums Schweinchen: Mathe-Lehrer Guido von Saint-George misst und berechnet den Sieger, exakt bis zur Stelle hinterm Komma. Oder Stadtplaner „Kalle“ Maaß sorgt mit seiner Spezialität, einem bis ins Detail geplanten Schuss für klare Verhältnisse: Er sprengt die Reihen der Boule-Kugeln.

Die Hymne ist der Sirtaki aus „Alexis Sorbas“

Und Christian Bednorz, der Maler, sorgt immer wieder für freudige Überraschungen: An Nikolaus kriegte diesmal jeder einen Schoko-Niko und eine CD mit Weihnachtsliedern. Denn unsere Boule-Boys sind nicht nur wetterfühlig, sie besitzen auch eine feine Zunge. So vor wenigen Wochen, als sich die Gesichtszüge beim „Prost!“ leicht verzerren, trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt: „Das Bier ist ja warm!“, erkannte Rolf. In der Woche danach bedankte sich der Bier-Beauftragte Helmut beim Team für die Diagnose: „Jungs, mein Kühlschrank ist kaputt!“

Auch die Liebe kam nicht zu kurz. Klar, jeder freute sich nach dem Wochenend-Sportstress wieder auf das Idyll bei Frau und Kind. Aber für unseren Bernd begann ein neuer Lebensabschnitt: Er lernte im ostwestfälischen Halle die Liebe seines Lebens kennen: Claudia. Beide sind längst verheiratet.

Ja, und wir haben sogar eine Vereins-Hymne: den „Sirtaki“ von Mikis Theodorakis. Der Filmsound aus „Alexis Sorbas“ läuft und läuft und läuft beim Fußball und Boulen, beim Ausflug per Zug und Rad. Da schmeckt irgendwann der Ouzo nicht mehr. Aber die Stimmung passt jederzeit – wie immer mit dieser Mannschaft, seit über 40 Jahren.