Bottrop. Teilnehmer gesucht: Am Stammtisch für Menschen mit Beeinträchtigung in Bottrop sollen Erfahrungen ausgetauscht und Ideen entwickelt werden.

Sie wollen sichtbarer sein. Sie wollen gehört werden. Sie wollen für sich selbst sprechen, statt dass für sie entschieden wird. Sie wollen Barrieren abbauen, nicht länger ausgeschlossen sein: die Initiatorinnen und der Initiator des neuen offenen Stammtischs für Menschen mit Beeinträchtigung körperlicher, geistiger oder psychischer Art. „Gleich ist nicht egal“ lautet ihr Leitsatz.

Die beiden Initiatorinnen und der Initiator wissen sehr genau, wovon sie sprechen.

Bottroper Stammtisch-Initiator: „Plötzlich war ich selbst behindert“

Michael Schmidt-Weygand (59) erhielt 2015 die Diagnose Multiple Sklerose. 52 Jahre war er, als er mit Beschwerden ins Krankenhaus kam – nicht ahnend, dass er nie wieder ins Berufsleben zurückkehren würde. Die Selbsthilfe gab ihm Kraft in einer zermürbenden Zeit, in der sein Leben plötzlich Kopf stand. Durch die unheilbare Krankheit, die sich schleichend weiter verschlimmert, veränderte sich sogar sein Freundeskreis. „Sie wussten nicht, wie sie mit mir und mit der Krankheit umgehen sollten. Auf einmal war ich anders“, sagt er, der heute am Rollator geht.

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Anders. Oder, wie Schmidt-Weygand es selbst formuliert: „Plötzlich war ich selbst behindert.“ Seine Erfahrung ist, dass für Menschen mit Beeinträchtigungen viel getan werde – „aber es kommt vieles davon von gesunden Dritten, die meinen sagen zu können: Das ist gut für dich.“ So soll es aber nicht sein, unterstreicht Schmidt-Weygand, die Betroffenen sollen selbst entscheiden. Über den Stammtisch sollen sie eine Stimme bekommen, die dann zum Beispiel über den Beirat für Menschen mit Behinderung in der Stadt Wirkung entfaltet.

Blindenampeln sollte es flächendeckend geben, finden die Initiatoren des neuen Stammtisches für Menschen mit Beeinträchtigung in Bottrop.
Blindenampeln sollte es flächendeckend geben, finden die Initiatoren des neuen Stammtisches für Menschen mit Beeinträchtigung in Bottrop. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Da kann es um flächendeckend installierte Blindenampeln ebenso gehen wie um barrierefreie Zugänge oder den Abbau von Stigmatisierungen gegenüber psychisch Erkrankten.

Bottroper Stammtisch-Initiatorin: „Menschen mit Beeinträchtigung sind oft unsichtbar“

Von denen kann Esther Nowacki (44) einiges berichten. Sie weiß von Betroffenen, dass diese Angst haben, anders behandelt zu werden, wenn sie ihre psychische Erkrankung offenbaren. Sogar beim Arztbesuch. „Das kann eine Unverschämtheit sein oder Unfreundlichkeit von einem Moment auf den anderen, weil manche Ärzte nicht damit umgehen können. Weil sie es auch nicht gelernt haben“, berichtet Nowacki.

Dass in der Öffentlichkeit psychische Erkrankungen oft im Zusammenhang mit Gewalttaten thematisiert werden, belaste viele Betroffene. Dabei: „Die meisten Menschen, die eine psychotische Erkrankung, eine Schizophrenie haben, sind nicht gewalttätig.“

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Nowacki möchte auch dies ändern: „Menschen, die eine Beeinträchtigung haben, sind oft unsichtbar.“ Vor allem, weil sie sich zurückziehen. „Scheinbar ist das nur eine kleine Gruppe. Doch wenn klar wird, das betrifft viele, ändert sich etwas an der Aufmerksamkeit“, hofft die 44-Jährige. Sie ist sehr motiviert, zusammen mit anderen Betroffenen dafür zu sorgen, das Bewusstsein in der Gesellschaft zu ändern.

Bottroper Stammtisch-Initiatorin: „Von Hürden im Alltag sind alle betroffen“

Den Dreien ist klar: Es gibt viele verschiedene Gruppen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Doch es gibt auch etliche Gemeinsamkeiten. „Ob es Rheumatiker sind, MS-Erkrankte oder Sehbehinderte: Wenn eine Stufe im Weg ist, stehen alle vor dem gleichen Problem. Von Hürden im Alltag sind alle betroffen“, fasst Silke Geise (49) zusammen. Und Esther Nowacki sagt: „Eine Gemeinsamkeit, die wir alle haben, ist, dass unsere Stimmen wenig gehört und wir nicht gesehen werden.“

Silke Geise erhielt die Diagnose Rheumatoide Arthritis schon mit Mitte 20, konnte später ihren Beruf als Floristin nicht mehr ausüben und begann, sich ehrenamtlich in der Rheuma-Liga zu engagieren. Im Laufe der Jahre hat sie festgestellt, dass es viele Überschneidungen von körperlichen und psychischen Erkrankungen gibt. „Man kann durch eine rheumatische Erkrankung seelisch in ein tiefes Loch fallen“, nennt Silke Geise ein Beispiel. „Mit dem Stammtisch können wir ein Netzwerk aufbauen, um uns auch gegenseitig zu unterstützen und Tipps zu geben.“

Und Freundschaften schließen, auch das kann und darf an dem offenen, ungezwungenen Stammtisch passieren.

Erster Stammtisch am 7. Februar

Das erste Stammtisch-Treffen „Gleich ist nicht egal“ findet am Dienstag, 7. Februar, um 18 Uhr im WoGe-Haus an der Böckenhoffstraße 16 statt. Das Haus ist barrierefrei, eine Bewirtung ist möglich. Jeweils der erste Dienstag im Monat soll Stammtisch-Tag sein.

Der offene Stammtisch richtet sich an Menschen mit einer körperlichen, geistigen und/oder psychischen Beeinträchtigung – ganz gleich, welcher Ausprägung. Vertraute Personen der Teilnehmenden sind als Begleitung zur Unterstützung willkommen.

Unterstützt wird der Stammtisch als Möglichkeit von Teilhabe und Partizipation vom Paritätischen, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe und dem Gesundheitsamt.

Kontakt: Esther Nowacki, Silke Geise, Michael Schmidt-Weygand; 02045 854 88 64, schmidt-weygand@unitybox.de