Bottrop-Kirchhellen. Männliche Küken dürfen nicht mehr getötet werden. Auch das Töten im Ei wird ab 2024 erschwert. Ein Kirchhellener Betrieb sucht Alternativen.

Seit 2022 dürfen in Deutschland keine männlichen Küken mehr getötet werden. Diese Änderung des Tierschutzgesetzes hat das Kükentöten aber nicht wirklich verhindert: Die Küken werden, weil sie anders als die hochgezüchteten Hybrid-Hennen, keine 300 Eier pro Jahr legen, in den Niederlanden oder in Polen getötet oder in riesigen Stallanlagen aufgezogen.

„Dieses Gesetz ist nicht zu Ende gedacht“, sagt Laura Jacobs, Sprecherin des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes WLV. Dieses Gesetz hat die Lage sogar eher noch verschlechtert, sagt der Kirchhellener Geflügelzüchter Thomas Overgünne. Er arbeitet an der Hackfurthstraße seit drei Jahren an einer Alternative: das so genannte „Zweinutzungshuhn“.

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„Die in Deutschland ansässigen Brütereien bringen die Eier momentan zum Großteil in die Niederlande oder Polen, da dort das Einschläfern männlicher Küken weiter erlaubt ist“, sagt Overgünne. Das Landwirtschaftsministerium NRW bestätigt diese Praxis. Die ist auch legal, sagt Laura Jacobs vom WLV: „Die Verbringung von Bruteiern und Küken ins Ausland ist grundsätzlich nicht verboten. Aus unserer Sicht kann dies aber nicht die Lösung sein.“

Thomas Overgünne auf seinem Geflügelhof an der Hackfurthstraße.
Thomas Overgünne auf seinem Geflügelhof an der Hackfurthstraße. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

In der Tat, sagt der Kirchhellener Züchter: „Dieses Gesetz produziert ohne politische Rahmenbedingungen einfach nur mehr Tierleid und negative Auswirkungen für die Umwelt, weil die Küken jetzt über weitere Entfernungen transportiert werden und mehr Diesel in die Luft geblasen wird.“ Die „Bruderhähne“, die nicht getötet werden, wachsen etwa in Polen in großen Stallanlagen auf. Overgünne: „Der größte Teil wird später nach Westafrika transportiert und überschwemmt dort mit Billigangeboten den Markt.“

Kirchhellen: Seit drei Jahren läuft der Versuch mit alten Hühnerrassen

Was also tun in der Bruderhähnchen-Misere? Overgünne probiert es mit alten Hühnerrassen. „Seit drei Jahren halten wir in unserem Betrieb zusätzlich zu unseren braunen und weißen Freilandhennen auch knapp 700 Hühner alter Rassen wie die französische Lesbleues-Henne und verschiedene weitere bunte Rassehennen. Zwar legen diese Hühner deutlich weniger Eier, dafür eignen sich aber anders als beim Hybridhuhn auch die männlichen Tieren als schmackhaftes Grillhähnchen.“

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Klingt nach einem guten Plan, hat aber einen Haken: den Preis: „Die Ei- und die Fleischproduktion mit alten Zweinutzungshühnerrassen kostet deutlich mehr an Futter und benötigt eine teurere Aufzucht“, sagt Overgünne. In der Summe, sagt der Züchter, koste das eine Menge mehr Geld. „Das müssen wir mit dem Ei- und Fleischverkauf erst mal wieder reinbekommen.“

Aufzucht von Hähnen wird durch Gockelpatenschaften finanziert

In den nächsten Wochen zieht an der Hackfurthstraße eine weitere Gruppe Zweinutzungshennen ein, bei der auch die Hähne wieder mit aufwachsen, kündigt Overgünne an. „In der Vergangenheit haben wir mehrmals Bruderhähne unserer Legehennen ebenfalls in Freilandhaltung aufgezogen. Leider ist hier in Deutschland nicht der politisch gewünschte Markt für ein solches Fleisch vorhanden, sodass wir es über Gockel-Patenschaften unserer Kunden finanziert haben.“

Klartext: An den Bruderhähnchen ist einfach weniger Fleisch dran. Overgünne: „Wir arbeiten aber weiter an Lösungen für unseren Hof, zukünftig auch das etwas festere, aber aromatische Fleisch an den Mann zu bringen.“ Ein wichtiges, aber ein schwieriges Thema, sagt Agrarfachwirt Bernhard Stratmann vom Hof Stratmann in Grafenwald, der seit 2016 Eier aus Freilandhaltung anbietet. Er bittet um Verständnis, dass er sich öffentlich dazu nicht äußert. „Auf dem Hof reden wir mit unseren Kunden sehr intensiv darüber.“

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Eine Option, das Töten von männlichen Eintagsküken zu verhindern, ist die Geschlechtsbestimmung bereits im Ei während des Brütens. Dazu sagt der Deutsche Tierschutzbund: „Aus der Sicht des Tierschutzes sind derzeit alle verfügbaren Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Ei abzulehnen, weil das Töten nur um einige Tage vorverlegt wird und zu einem Zeitpunkt stattfindet, an dem der Embryo schon empfindungsfähig ist.“

Tierschutzgesetz: Diese Verschärfung kommt 2024

Auch deshalb soll ab 2024 ab dem siebten Tag eine Tötung nicht mehr erlaubt sein. Aber, sagt Overgünne: Eine Geschlechtsbestimmung vor dem siebten Tag scheitert „aktuell technisch an der wirtschaftlichen Umsetzung“. Stimmt, sagt die WLV-Sprecherin: Die Geschlechtsbestimmung sei „bis heute noch nicht Stand der Technik.“ Overgünnes Fazit: Nur ein EU-weites Verbot der Kükentötung könne die „starken Wettbewerbsnachteile“ für die deutschen Züchter mindern. Genau das sagt auch Laura Jacobs vom Bauernverband: „Daher hat der WLV zur Änderung des Tierschutzgesetzes immer eine EU-weit einheitliche Regelung gefordert.“

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Damit ist sich der Bauernverband auch einig mit dem Landwirtschaftsministerium NRW, sagt dessen Sprecher Matthias Kowalski: „Trotz nationalem Kükentötungsverbot werden europaweit männliche Eintagsküken aus Legerassen getötet. Nur ein europaweites Kükentötungsverbot, verbunden mit europaweit geltenden Haltungsanforderungen für die Aufzucht und Mast von Bruderhähnen, ist eine tierwohlkonforme Lösung.“

Wenn die Verbraucher sie denn bezahlen, sagt Züchter Overgünne. Ebenso wie sein Nachbar Burkhard Sagel, der Fleisch aus „tierfreundlicher Haltung“ vermarktet, hat er die Erfahrung gemacht: „Die Leute wollen Tierwohl. Aber bezahlen wollen sie nicht dafür.“