Bottrop. Viele Helfer wollen Geflüchtete aus der Ukraine privat aufnehmen. Die Bottroper Sozialamtsleiterin und die Flüchtlingshilfe sehen das kritisch.

Das Entsetzen über den Krieg in der Ukraine ist groß, die Hilfsbereitschaft der Bottroper für Menschen auf der Flucht noch größer. Viele bieten an, Geflüchtete bei sich aufzunehmen. Ein Schritt, der wohl überlegt sein will. Die Stadt bevorzugt in vielen Fällen die gesteuerte Unterbringung über Erstaufnahme-Einrichtungen – auch, um besser planen zu können.

Sozialamtsleiterin Bottrop: Viele private Aufnahmen geschehen an der Stadt vorbei

„Es ist so, dass vieles an privaten Aufnahmen völlig an der Stadt vorbei geschieht“, sagt Karen Alexius-Eifert, Leiterin des Sozialamtes. Dabei handele es sich vielfach um Kontakte, die über Hilfsaktionen für die Ukraine entstanden seien, oder um verwandtschaftliche beziehungsweise freundschaftliche Beziehungen von Bottropern zu Ukrainern. Sie wisse von rund 170 Flüchtlingen, die auf diese Weise „ungesteuert“ in die Stadt gekommen sind; vielleicht seien es aber viel mehr, die sich nur noch nicht gemeldet haben. „Circa die Hälfte der 170 hat signalisiert, dass sie bitte von der Kommune untergebracht werden möchte“, berichtet Alexius-Eifert.

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Das Sozialamt selbst würde im Zuge der städtisch koordinierten Unterbringung keine Flüchtlinge in (Gäste-)zimmern ohne abgeschlossenen Wohnraum unterbringen, verdeutlicht die Sozialamtsleiterin. Sie schätzt die guten Absichten der Anbieter hoch, sieht aber, dass dies erfahrungsgemäß keine Lösung auf Dauer sei. Schließlich müsse man sich darauf einlassen, seine Wohnung mit Fremden zu teilen, inklusive Schwierigkeiten bei der Verständigung. „Und wenn ich nicht selbst Eigentümer der Immobilie bin, gibt es auch noch rechtliche Fallstricke“, ergänzt Alexius-Eifert. „Wie lange darf ich dann überhaupt jemanden beherbergen?“ Da muss der Vermieter eingebunden werden.

Karen Alexius-Eifert, Leiterin des Sozialamtes in Bottrop.
Karen Alexius-Eifert, Leiterin des Sozialamtes in Bottrop. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Auch Dagmar Kaplan von der Flüchtlingshilfe Bottrop weiß, dass es vor der privaten Unterbringung einiges zu bedenken gibt. „Man sollte sich überlegen, ob man sich den Wohnraum tatsächlich über einen längeren Zeitraum mit anderen Menschen teilen möchte“, rät die stellvertretende Vorsitzende des Vereins. Dazu gehöre nämlich, eigene Bedürfnisse zumindest zeitweise aufzugeben. Die Flüchtlinge hätten aufgrund ihrer Erlebnisse einerseits ein großes Erholungs-, andererseits ein verstärktes Redebedürfnis. „Da kommt dann oft die Frage, wie man das sprachlich hinkriegt, wo es da Unterstützung gibt.“ Manche brächten außerdem ihr Haustier mit, auch das muss mitbedacht werden.

Flüchtlingshilfe Bottrop: Neben Unterkunft ist Betreuung gefragt

Zudem ist es Kaplans Erfahrung nach mit der reinen Unterkunft nicht getan – sogar, wenn man den Flüchtlingen eine eigene Wohnung zur Verfügung stellen könne: „Sie kommen in einer völlig fremden Umgebung an, die sie kennenlernen und in die sie sich einpassen wollen.“ Wo ist der nächste Spielplatz, wie kommen die Kinder zur Schule, wie ist es mit medizinischer Versorgung – die Klärung all solcher Fragen nimmt Zeit in Anspruch. „Was passiert, wenn sie alleine in der Wohnung sind und Panikattacken haben – wissen sie selbstständig, wie man einen Arzt oder einen Krankenwagen ruft?“, nennt Kaplan ein weiteres Beispiel. Wer Wohnraum zur Verfügung stelle, müsse sich auch Gedanken darüber machen, wie die Menschen betreut werden könnten.

Dagmar Kaplan engagiert sich als stellvertretende Vorsitzende in der Flüchtlingshilfe Bottrop.
Dagmar Kaplan engagiert sich als stellvertretende Vorsitzende in der Flüchtlingshilfe Bottrop. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Das ist der Punkt, an dem die Sozialamtsleiterin die Vorteile einer zentralen Sammelunterkunft als ersten Schritt hin zum angestrebten Leben in der eigenen Wohnung hervorhebt: Dort ist es einfacher, Sozialarbeiter einzusetzen, die Menschen medizinisch zu betreuen (Thema Impfungen gerade auch mit Blick auf den Schulbesuch von Kindern), Spracherwerb auf den Weg zu bringen. „In Gemeinschaftsunterkünften kann man den Menschen die Strukturen und den Ort näher bringen und dann gemeinsam gucken, wo ist Wohnraum, um sie dann dort auch noch zu begleiten.“ Dieser Weg sei, bei allen Nachteilen von Gemeinschaftsunterkünften, am Ende meistens der bessere.

Die ersten zugewiesenen Flüchtlinge wohnen in der Albrecht-Dürer-Schule Bottrop

Die ersten 68 aus einer Landesunterkunft bei Mönchengladbach zugewiesenen Flüchtlinge aus der Ukraine, die am Dienstag in Bottrop erwartet wurden, werden zum Großteil erst einmal in der einstigen Albrecht-Dürer-Schule wohnen. Insgesamt seien der Stadt jetzt bereits 96 Menschen offiziell zugewiesen worden, meist (aber nicht nur) Frauen mit ein bis zwei Kindern.

Die ukrainischen Flüchtlinge Svitlana Nemiric mit Tochter Valeria und Ivanna Romaniuk mit den Kindern Darina und Polin sind privat in Kirchhellen untergekommen, finanziell unterstützt vom Shanty-Chor. Jetzt wird eine Wohnung für sie gesucht.
Die ukrainischen Flüchtlinge Svitlana Nemiric mit Tochter Valeria und Ivanna Romaniuk mit den Kindern Darina und Polin sind privat in Kirchhellen untergekommen, finanziell unterstützt vom Shanty-Chor. Jetzt wird eine Wohnung für sie gesucht. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

An dieser Stelle soll nicht ganz unerwähnt bleiben, dass der Stadt parallel auch noch Flüchtlinge aus anderen Krisengebieten zugewiesen werden. „Im März sind bis jetzt über 30 afghanische Ortskräfte zu uns gekommen“, so Alexius-Eifer.

Dagmar Kaplan hat in Gesprächen übrigens auch erlebt, dass Bottroper Privatleute schon traurig waren, weil niemand ihr Wohnraum-Angebot bislang genutzt hat. Im Sozialamt sind mittlerweile mehr als 100 Angebote für Ukraine-Flüchtlinge eingegangen, sagt Karen Alexius-Eifert, vom Gästezimmer bis zur abgeschlossenen Wohnung. Auf letztere will die Stadt gerne zugreifen, freut sich auch über weitere Angebote, aber das brauche Zeit. „Wir müssen die Konditionen klären, die Wohnungen besichtigen.“ Die Sozialamtsleiterin bittet daher um Verständnis, „dass wir nicht innerhalb von zwei Tagen auf der Matte stehen.“

Infos und Anlaufstellen

Für die Aufnahme von geflüchteten Menschen aus der Ukraine hat die Stadt eine zentrale Anlaufstelle geschaffen. Der „Infopoint Ukraine“ ist im Haus der Beratung, Horster Straße 6-8, gegenüber vom ZOB untergebracht. Öffnungszeiten: montags bis freitags zwischen 8.30 Uhr und 16 Uhr.

Infos für Geflüchtet und Helfer gibt es zudem online auf www.bottrop.de/ukraine-hilfe. Wer Wohnraum zur Verfügung stellen möchte, kontaktiert das Sozialamt unter 02041 704 555, E-Mail an