Bottrop. Der Paragraf 219a, der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbietet, steht vor der Abschaffung. In Bottrop stößt das auf breite Zustimmung.

„Es ist absolut zeitgemäß, das abzuschaffen“, sagt Dr. Hans-Christian Kolberg, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Marienhospital in Bottrop. Seit 1974 verbietet der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches es Ärzten, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen, dafür zu werben. Schon Informationen über Abtreibungen fallen in einen gesetzlichen Graubereich. Die Bundesregierung will diesen Paragrafen nun abschaffen – das stößt in Bottrop auf große Zustimmung.

In der Stadt gibt es keinen einzigen Arzt, der Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Der letzte Gynäkologe, bei dem Abtreibungen in Bottrop möglich waren, ist vor einigen Jahren in den Ruhestand gegangen. Frauen, die sich in dieser schwierigen Lebenslage befinden, müssen eine Arztpraxis in den Nachbarstädten aufsuchen.

Kein Bottroper Frauenarzt führt Schwangerschaftsabbrüche durch

Für Ärzte gibt es verschiedene Hürden, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen – neben der ethischen Frage, ob sie das wollen: Zum einen sind Abtreibungen laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuches immer noch illegal, es besteht lediglich eine Straffreiheit. Zum anderen ist es daraus resultierend für Gynäkologen schwierig, den operativen Eingriff abzurechnen.

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Der Gynäkologe Volker Lüke, der eine Praxis in der Innenstadt betreibt, sieht vor allem einen Hinderungsgrund: „Die Auflagen, um ambulante Operationen in der Praxis durchführen zu dürfen, sind sehr hoch. Deswegen macht das kein Frauenarzt mehr.“ Es rechne sich erst dann, wenn ein Arzt die operative Tätigkeit als Schwerpunkt betreibt.

Allerdings: Auch zu Volker Lüke kommen Patientinnen, die sich über eine Abtreibung informieren. „Den Frauen, die Unterstützung gebraucht haben, konnte ich immer helfen.“ Er vermittelt in solchen Fällen an Kollegen in den Nachbarstädten, die Abbrüche vornehmen – „das geht seriös und problemlos“ – sowie an die hiesigen Beratungsstellen.

Vier Bottroper Beratungsstellen für Schwangerschaftskonfliktgespräche

Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen, benötigen vor dem Eingriff einen Beratungsschein, der nachweist, dass sie ein Schwangerschaftskonfliktgespräch in Anspruch genommen haben. Vier Anlaufstellen gibt es in Bottrop, die größte ist die Evangelische Beratungsstelle für Schwangerschaft, Familie und Partnerschaft in der Gladbecker Straße. 99 Schwangerschaftskonfliktgespräche wurden dort im vergangenen Jahr geführt.

Beraterin Stefanie Cillessen ist froh, dass sich etwas tut, dass sich die Politik mit den Gesetzen auseinandersetzt und prüft, „was dazu beiträgt, eine selbstbestimmte Familienplanung haben zu können“. Fällt der Paragraf 219a, haben Frauen in dieser Notsituation die Möglichkeit, sich seriös, unabhängig zu informieren – schon bevor sie eine Beratungsstelle aufsuchen. Es sei dann auch leichter, ein Gleichgewicht zu schaffen zu „schwierigen Informationsquellen“ – von so genannten „Lebensschützern“, die Abtreibungen konsequent ablehnen.

Abschaffung des Paragrafen 219a: „Das ist doch nur logisch“

Auch Dr. Kolberg sieht in der Abschaffung des Paragrafen einen logischen Schritt, „denn wir wissen ja, dass es hunderttausende Frauen gibt, die diese Informationen suchen“. Schließlich gehe es auch nicht um „Werbung“, sondern darum, dass Ärzte ihr Behandlungsspektrum darstellen können. „Das ist doch nur logisch.“

Für Stefanie Cillessen sind die Bestrebungen der rot-grün-gelben Regierung ein erster Schritt, wenngleich er noch nicht ausreiche. Sie befürwortet deshalb, dass sich nun eine Kommission bildet, die sich weiter mit der Gesetzesregelung zu Schwangerschaftsabbrüchen auseinandersetzt. Ein Ziel müsse sein, dass wieder mehr Gynäkologen den Eingriff vornehmen. Vor allem in ländlichen Gebieten sind die Wege für Frauen sehr weit.

„Noch keine Frau erlebt, die sich diese Entscheidung einfach gemacht hat“

Dafür braucht es aber letztlich auch eine Modifizierung oder Aufhebung des Paragrafen 218. „Ob es noch das Leben der Menschen widerspiegelt, dass Schwangerschaftsabbrüche eine Straftat sind? Meiner Meinung nach nein“, sagt Dr. Hans-Christian Kolberg. Volker Lüke befürwortet ebenfalls die Abschaffung des Paragrafen, „aber an unserem täglichen Tun und der Hilfe, die wir geben können, ändert das nichts“.

Für Stefanie Cillessen steht auch grundsätzlich die Beratungspflicht zur Diskussion. Die Beratungen seien sinnvoll, viele Frauen empfänden sie als sehr hilfreich, „aber dass sie verpflichtend ist, finde ich persönlich schwierig“. Denn es sei wichtig, dass ein Verständnis dafür herrscht, dass Frauen diese Entscheidung „selbstständig und eigenständig“ treffen können. Regelungen müssen „mit der Frau, nicht gegen sie“ getroffen werden. „Ich habe noch keine Frau erlebt, die sich diese Entscheidung einfach gemacht hat.“

Hilfe für Betroffene

Das Bundeskabinett hat die Abschaffung des Paragrafen 219a vergangene Woche auf den Weg gebracht. Der Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) muss nun noch von Bundestag und Bundesrat beraten werden.

Frauen, die Beratungen zu ihrer Schwangerschaft suchen, auch zu einer ungewollten, haben in Bottrop vier Anlaufstellen: Die Beratungsstelle der Evangelischen Kirche, Gladbecker Straße 1a, 02041 317030, ev-beratungsstelle-sfp@ev-kirche-bottrop.de; das Gesundheitsamt der Stadt, 02041 703531; Donum Vitae (in Gelsenkirchen, Overwegstraße 49), 0209 170 27 30, info@donumvitae-bot-ge-gla.de; sowie den SkF, der allerdings keine Beratungsscheine ausstellt: Unterberg 11b, 02041 18663-77, isabel.konczak@skf-bottrop.de.