Bottrop. Nachbarn haben sich beschwert: zu viel Lärm. Ein Schock für Wirtin Sabine Behrendt. Fast 30 Jahre ist die Traditionskneipe ihr zweites Zuhause.

Der erste Schock ist einigermaßen verdaut. Seit 27 (!) Jahren ist die Traditionskneipe „Alte Stuben“ ihr zweites Zuhause. Die letzten 17 Jahre als Wirtin, davor zehn als Kellnerin. Fast ihr halbes Leben ist sie mit der beliebten Eckkneipe verbunden. Nun hat sie die Kündigung erhalten. Sie muss raus. Am 30. April ist Schlüsselübergabe. Wieder stirbt ein Stück Bottroper Kneipengeschichte.

Irgendwie kann Sabine Behrendt immer noch nicht glauben, was passiert ist. Nach so vielen Jahren soll plötzlich Schluss sein? Die Hausverwaltung teilte ihr im Januar mit, dass der Hausbesitzer das Gebäude verkaufen will. Man habe ihr gesagt, dass es Interessenten für das Lokal gebe. Zum Beispiel: eine Bäckerei. Mehrere Nachbarn, die erst vor wenigen Monaten neu ins Haus zogen, hätten sich zusätzlich über den Lärm der Kegelbahn im Keller beschwert. Außerdem wären ihre Gäste zu laut, wenn sie alkoholisiert das Lokal verlassen oder draußen stehen, um zu rauchen.

„Alte Stuben“ existieren seit 1963 an dieser Stelle

„Das ist doch eine Kneipe“, meint Sabine Behrendt. Seit 1963 existieren die „Alten Stuben“ an Ort und Stelle. Die Wirtin versteht die Welt nicht mehr. „Ich habe hier nie Beschwerden oder Theater gehabt“, sagt sie. Ganz, ganz selten habe in den vergangenen Jahren vereinzelt die Polizei vorbeigeschaut wegen einer Ruhestörung.

Die Alte Stuben ist eine klassische Eckkneipe. Seit 1963 gibt es sie in der Bottroper Innenstadt.
Die Alte Stuben ist eine klassische Eckkneipe. Seit 1963 gibt es sie in der Bottroper Innenstadt. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Die Kündigung ist für sie der nächste schwere Schicksalsschlag. Im ersten Lockdown vor fast einem Jahr musste die heute 61-Jährige für mehrere Wochen schließen. In dieser schwierigen Zeit verstirbt ihr geliebter Ehemann. Der zweite Lockdown zwingt sie dann zu einer siebenmonatigen Schließung. Um sich finanziell über Wasser zu halten, nimmt sie einen 450-Euro-Job an, den sie noch immer ausübt. Die Pacht kann sie in der Hochphase der Pandemie nur teilweise bezahlen. Sie erhält Corona-Hilfen, die sie demnächst auch zurückzahlen muss. Doch seit Monaten ist aufgrund der Corona-Auflagen endlich Licht am Ende des Tunnels. „Das Geschäft läuft wieder richtig gut“, sagt sie. Die Normalität kehrt langsam zurück. Dann flattert die fristgerechte Kündigung des Mietvertrages ins Haus.

Viele Bottroper Vereine und Clubs haben ihren Treffpunkt in den „Alten Stuben“

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht. Zahlreiche Vereine, die bei ihr Zuhause sind, und Stammgäste haben sie seitdem kontaktiert und gefragt: „Sabine, was ist los, was ist passiert?“ Alle wollen wissen, wie es weitergeht. Die Marinekameradschaft Bottrop nennt die „Alte Stuben“ ihr Vereinslokal, der Schützenverein Andreas Hofer ist regelmäßig zu Gast, dazu Knobelclubs und eine Doppelkopfrunde. Biker schauen oft und gerne vorbei. Im Keller auf der Bahn kegeln viele Klubs.

Die Kegelbahn war Heimat vieler Clubs, doch zuletzt hatten sich Nachbarn über den Lärm beschwert.
Die Kegelbahn war Heimat vieler Clubs, doch zuletzt hatten sich Nachbarn über den Lärm beschwert. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Zum Beispiel die „Promilleprinzessinnen“. „Für uns war die Nachricht ein Schock. Wir haben uns bei ihr immer super wohlgefühlt“, sagt deren Präsidentin Michelle Heinisch. Seit März 2019 schauen die jungen Frauen alle vier Wochen in der Kneipe vorbei und lassen die Kegel fliegen. Am 8. April haben die Prinzessinnen ihr letztes Spiel. „Dann wird noch mal ausgelassen gefeiert und die liebe Sabine gebührend verabschiedet. Das ist uns ganz wichtig“, so Heinisch.

Zum Abschied haben sich viele Vereine und Stammgäste angesagt

Am 14. April haben die „Alten Stuben“ dann das letzte Mal geöffnet. Dieser Tag wird sehr emotional werden. Vor allem für Sabine Behrendt. Nicht nur, weil sie ihre geliebte Kneipe für immer schließt, sondern weil sich schon jetzt zahlreiche Vereine und Stammgäste zum Abschied angekündigt haben. Alle wissen, was sie an ihr hatten.

Sabine Behrendt lebt eine Gästekultur, die wegen des Kneipensterbens im Ruhrgebiet immer seltener wird. Sie kennt die Stammgäste mit Namen. Sie hört zu und ist Seelentrösterin. Sie ist aufmerksam und weiß, welches Getränk gewünscht wird. Da genügt oft nur ein kurzer Blickkontakt. Ist das Glas fast leer, wird angezapft. „Ich kenne fast alle Probleme von meinen Gästen“, sagt sie. Diese Gespräche wird sie vermissen.

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Was kommt nach dem 30. April? Für ihre Gäste ist die Sache klar. „Sabine, du machst das Ganze mit so viel Herzblut, du musst weitermachen.“ Derartige Aussagen habe sie zuletzt häufiger gehört. Gerne würde sie als Wirtin weiterarbeiten, wenn sie etwas Passendes findet. Aber noch sind die Ereignisse zu frisch. „Ich muss alles erst einmal verarbeiten und zur Ruhe kommen.“