Bottrop. Türkische Herdenschutzhunde sind für Großstädte ungeeignet. Im Tierheim Bottrop kümmert man sich um vier Kangals. Eine wirkliche Herausforderung.
- Kanagls werden in immer mehr Städten zum Problem: Auch für das Bottroper Tierheim sind die Herdenschutzhunde eine echte Herausforderung.
- Einen Kangal wieder zu vermitteln ist nach Aussage des Bottroper Tierheims nahezu unmöglich.
- Viele der Herdenschutzhunde werden wohl bis zum Rest ihres Lebens im Tierheim bleiben.
Gezüchtet wurden Kangals ursprünglich als Herdenschutzhunde. Sie arbeiten und entscheiden selbstständig. Nur: Herdenschutzhunde werden in Großstädten kaum noch gebraucht. Nicht selten landen die riesigen Tiere dann irgendwann im Tierheim – entweder, weil Besitzer sie abgeben oder auch, weil sie beschlagnahmt und ihren Haltern abgenommen werden.
Zuletzt gab es in Essen einen Vorfall: Hier hat ein Kangal-Mischling einen Zwölfjährigen gebissen. Anschließend war das Tier auf einen Polizisten losgegangen, der es schließlich mit seiner Dienstwaffe erschossen hat.
Kangals werden wahrscheinlich den Rest ihres Lebens im Bottroper Tierheim verbringen
Vier solcher Hunde – drei Rüden und eine Hündin – werden derzeit im Bottroper Tierheim betreut. Dort geht man davon aus, dass die Vier zu den Tieren gehören, die den Rest ihres Lebens an der Wilhelm-Tell-Straße verbringen werden. Denn einen Kangal zu vermitteln, das sei nahezu unmöglich, sagen Hildgard Tüllmann, die Vorsitzender der Tierfreunde Bottrop und Marion Kusche, die Leiterin des Tierheims, übereinstimmend. Auch andere Tierheime in der Region stünden vor dem Problem. In Gelsenkirchen gebe es wohl zwölf Kangals, sagt Hildegard Tüllmann.
Denn wenn man ehrlich ist: Die Rasse ist schlicht zu groß für die Stadt. Die Tiere werden bis zu 80 Zentimeter groß, wiegen bis zu 70 Kilogramm. Wer sich so einen riesigen Hund zulegt, der braucht viel Platz, muss sich auskennen und die Tiere auch beschäftigen. Diese Kombination ist kaum zu finden. Hinzu kommt: Die Tierheimhunde sind auch nicht einfach, wurden teils schlecht oder gar nicht erzogen.
Tierheim Bottrop: Nicht jeder ehrenamtliche Helfer kann mit einem Kangal Gassi gehen
Zwei der Hunde leben schon seit 2014 im Tierheim. Sie wurden beschlagnahmt, hatten schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht und wurden im Zwinger gehalten. Es habe viel Zeit und Arbeit gekostet, bis sie die Tierheim-Mitarbeiter an sich herangelassen haben, das nötige Vertrauen aufgebaut war. „Inzwischen haben sie uns voll akzeptiert, wir können alles mit ihnen machen“, sagt Marion Kusche. Nur könne das – je nach Tier und dessen Erfahrungen – bis zu drei Monate dauern, bis es so weit ist.
Und selbst dann könne man nicht jeden mit den Tieren Gassi gehen lassen, sagt Hildegard Tüllmann. Von den rund 20 ehrenamtlichen Helfern, die mit den Tieren spazieren gehen, kann sie fünf oder sechs mit den Kangals gehen lassen. Klar, 70 Kilo, die an der Leine zerren, muss man auch erst einmal bändigen. „Wenn wir die Tiere an die Leine gewöhnen müssen, dann legen wir ihnen manchmal zwei an und halten sie dann zu zweit“, berichtet Marion Kusche. Ansonsten bekommen sie auch Auslauf in den Außengehegen des Tierheims oder auf dem Gelände – vorausgesetzt, dort ist niemand unterwegs.
Kangals im Bottroper Tierheim benötigen viel Platz
Aber auch wenn man mit den Hunden gut steht, auf blaue Flecken müsse man gefasst sein. Denn es könne auch vorkommen, dass sie einem aus lauter Überschwang die Vorderpfoten auf die Schultern werfen – und schwups ist man auf Augenhöhe mit dem Hund.
Für das Tierheim ergeben sich daraus aber noch weitere Probleme. So ein Kangal braucht Platz. Ein Raum, der sonst durchaus für vier Tiere genutzt werden kann, den braucht ein Kangal für sich allein. Schon jetzt ist absehbar, dass die vier Räume, die aktuell für Kangals genutzt werden, für lange Zeit nicht für andere Hunde zur Verfügung stehen werden.
Tierheim Bottrop: Kangals kosten im Unterhalt viel Geld
Außerdem frisst so ein Tier eine Menge, „denn es hat einen hohen Energiebedarf“, sagt Hildegard Tüllmann. Einer der Kangals benötige ein spezielles medizinisches Futter. Ein Sack kostet mehr als 60 Euro und hält vielleicht 15 Tage. Insgesamt müsse ein Kangal-Halter mit Kosten von rund 180 Euro pro Monat rechnen – und da sind keine außergewöhnlichen Tierarztkosten enthalten.
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Und sie in der ländlichen Umgebung wieder gemäß ihrer ursprünglichen Aufgabe als Herdenschutzhund einsetzen? Marion Kusche winkt ab. Das funktioniert nicht mehr. Das gehe nur, wenn der Kangal schon als Welpe zur Herde kommt und mit den Schafen aufwächst.
Doch woher kommen die Bottroper Tiere? Manchmal würden Kangals aus falsch verstandenem Nationalstolz gehalten, sagt Hildegard Tüllmann. Kangals gelten als eine Art Nationalhund der Türkei. Teils würden sie auch auf Schrottplätzen oder von Gebrauchtwagenhändlern gehalten. Dort verbrächten sie oft den Tag im Zwinger, würden nur nachts als Wachhunde freigelassen. Das erklärt auch, warum die Tierfreunde Bottrop so viel Zeit brauchen, sie an Leine und Umgang mit Menschen zu gewöhnen – und warum es wohl nie ausreicht, um die Tiere zu vermitteln.
Nur mit Maulkorb
Wenn die Tierheimhelfer mit einem ihrer Kangals unterwegs sind und Gassi gehen, tragen die Tiere immer einen Maulkorb. Vorschrift ist das allerdings nicht, denn für Kangals gilt in NRW keine Maulkorbpflicht. Andere Bundesländer handhaben das anders. Die Tierheimverantwortlichen jedoch haben die Kangals an den Maulkorb gewöhnt, andernfalls ist ihnen das Risiko zu groß.
Wer einen Kangal halten möchte, muss einen Sachkundenachweis erbringen. Aus Sicht der Tierfreunde sollte er sich vorher genau mit den Anforderungen vertraut gemacht haben, die diese Rasse stellt.