Bottrop. Stefanie Luckhardt ist schwerbehindert, benötigt eigentlich eine barrierefreie Wohnung. Eine schwierige Suche auf einem schwierigen Markt.
Es sind 19 Stufen von der Haustür bis zur Wohnungstür. 19 Stufen, die für Stefanie Luckhardt mehr und mehr zu einem unüberwindbaren Hindernis werden. Die 37-Jährige ist zu 100 Prozent schwerbehindert. Bei zwei Operationen im vergangenen Jahr wurden Teile der Wirbelsäule versteift, infolge von Komplikationen kam es außerdem noch zu einer Fußlähmung.
In ihrem Schwerbehindertenausweis ist zudem das Merkmal G verzeichnet, was sie als bewegungseingeschränkt – gemeinhin auch gehbehindert – ausweist. Auf der Straße nutzt sie einen Rollator. Die Mietwohnung in der ersten Etage in der Boy, in der sie seit neun Jahren lebt – inzwischen eigentlich vollkommen ungeeignet für jemanden mit ihrer Krankengeschichte.
Seit mehr als einem Jahr sucht das Bottroper Ehepaar nach der passenden Wohnung
Das ist selbstverständlich auch Stefanie Luckhardt und ihrem Ehemann Marcel klar. Seit mehr als einem Jahr versuchen die beiden nun schon einen Wohnung zu finden, die den Anforderungen von Stefanie Luckhardt genügt. Barrierefrei muss sie sein, also im Erdgeschoss liegen oder in einem Haus mit Fahrstuhl. Auf einem Wohnungsmarkt wie dem Bottroper ein fast aussichtsloses Unterfangen.
Die Zahl der barrierefreien Mietwohnungen ist überschaubar. Vielfach sind sie dann noch an einen Wohnberechtigungsschein (WBS) gekoppelt. Darauf haben die Luckhardts keinen Anspruch. Beide sind berufstätig, haben ein ganz normales Einkommen. Allerdings: „Für Schwerbehinderte gelten da noch einmal andere Freigrenzen“, klärt Christian Holtkötter, Leiter der Abteilung Wohnungswesen im Stadtplanungsamt, auf. Er rät dem Ehepaar, noch einmal Kontakt aufzunehmen. Denn auch wenn sich dann bewahrheiten sollte, dass sie keinen Anspruch auf einen WBS hätten, könne man durch die Kontakte des Amtes bei der Suche womöglich unterstützen, so sein Angebot.
Ehepaar hat sich bei der Miete ein Limit gesetzt
Grundsätzlich aber sei es richtig, dass der WBS ans Einkommen gebunden ist, und da gebe es eben auch bei Schwerbehinderten Grenzen. Ausnahmen bei der Belegung von Wohnungen könne das Amt lediglich machen, wenn Wohnraum über einen längeren Zeitraum leer stehe und nicht an berechtigte Personen vergeben werden könne. „Aber bei der Art von Wohnungen, von der wir hier sprechen, haben wir diese Fälle nicht“, sagt Holtkötter.
Auch interessant
Die Suche nach frei finanzierten barrierefreien Wohnungen – sie ist mühsam. Solche Angebote kommen selten auf dem Markt, „und wenn, dann ist die Konkurrenz riesig“, hat Marcel Luckhardt gemerkt. Seit sie suchen hatten sie rund 40 Wohnungen angefragt, rund 25 haben sie sich angeschaut. Denn: Auch wenn beide Ehepartner verdienen heißt es nicht, dass es bei der Miete keine Grenze nach oben gibt. Stefanie Luckhardt: „Wir haben unser Limit zuletzt sogar schon etwas erhöht. Aber unbegrenzt ist das nicht möglich.“
Manche vorgeblich barrierefreie Wohnung hatte am Ende nur eine Badewanne
Und die bisherigen Besichtigungen? Nicht selten habe sich herausgestellt, dass es mit der Barrierefreiheit doch nicht so weit her war. „Ich weiß nicht wie oft wir dann ins Badezimmer kamen und festgestellt haben, dass es doch nur eine Badewanne gibt“, erinnert sich Marcel Luckhardt. Seine Frau sei aber auf eine Dusche angewiesen. An anderer Stelle habe man schon Abstriche gemacht, ziehe nun auch Wohnungen mit ein bis drei Stufen in Betracht, habe auch schon außerhalb Bottrop geschaut – bisher alles vergebens. Sogar über einen Kauf hätten sie nachgedacht, sagen die Luckhardts. Das Risiko wollten sie jedoch nicht eingehen, da ja niemand sagen könne, wie sich Stefanie Luckhardts Gesundheit entwickle und ob sie dauerhaft arbeiten und verdienen kann.
Vermieter des Ehepaars ist die städtische Baugesellschaft GBB. Die bietet zahlreiche Mietwohnungen in Bottrop an. Hier hatten die Luckhardts als langjährige Mieter auf Unterstützung gehofft. Doch auch dort konnte man nicht helfen. Zwar bietet die GBB barrierefreien Wohnraum an, sagt Geschäftsführer Stephan Patz. Doch lege man als Kriterium zugrunde, dass die Wohnungen schwellenlos im Erdgeschoss oder über einen ausreichend großen Fahrstuhl für Rollstuhlfahrer und Begleiter erreichbar sein sollen, dann habe die GBB davon lediglich 96 im Portfolio. „Das entspricht fünf Prozent unseres Bestands.“
Nur eine barrierefreie Wohnung ist bei der städtischen Baugesellschaft aktuell frei
Lockere man die Kriterien ein wenig und beziehe auch die mit nur einer Stufe bis zur Wohnungstür oder einem kleineren Aufzug mit ein, kämen 192 in Betracht. Patz’ Vermutung mit Blick auf den Bottroper Wohnungsmarkt: „Ich vermute, dass die GBB – auf sehr niedrigem Niveau – damit noch überdurchschnittlich gut aufgestellt ist.“ Nur: Frei verfügbar sind längst nicht alle dieser Wohnungen. „Rund ein Drittel unseres Bestands ist öffentlich gefördert“, so Patz. Damit ist der WBS die Voraussetzung, um hier einziehen zu dürfen.
Und aktuell liege die Leerstandsquote der GBB bei 1,49 Prozent. Gerade einmal 26 Wohnungen stünden zur Neuvermietung an – über den gesamten Bestand. Lediglich eine der leerstehenden Wohnungen sei barrierefrei. Allerdings haben die Luckhardts auch hier keine Chance, für die Wohnung braucht es den WBS.
GBB plant 78 neue barrierefreie Wohneinheiten – davon 18 frei finanziert
Patz’ Rat: Das Ehepaar solle sich bei der GBB auf die Interessentenliste setzen lassen, dann werde man sich melden. Das haben die Luckhardts längst getan. Ihnen bleibt letztlich nur die Hoffnung. Hier hat Patz einen schwachen Trost: Mit jedem Neubauprojekt steige die Zahl barrierefreier Wohnungen. Tatsächlich plant die GBB gerade ein neues Quartier an Ostring und Beckstraße. 78 Wohneinheiten, alle barrierefrei, aber eben nur 18 davon frei finanziert und für jedermann verfügbar.
Eine Frage der Qualität
Das Landesbauministerium hat den Wohnungsmarkt und die Bedarfe bis 2040 analysieren lassen. Das Ergebnis der Experten: Tritt die Bevölkerungsprognose tatsächlich so ein - wohinter bei einem solchen Zeitraum auch ein großes Fragezeichen steht – wäre unter quantitativen Gesichtspunkten kein Neubau nötig. Mit anderen Worten: Es gebe genügend Wohnraum in Bottrop.
Problematisch ist allerdings die Qualität des angebotenen Wohnraums. Hier kommen die Forscher zum Ergebnis: „Die Präferenz von Wohnungssuchenden für eine moderne Ausstattungsqualität und Wohnkomfort decken sich nicht mit dem vorhandenen Wohnungsangebot.“ Heißt also es fehlt an modernem, zeitgemäßen Wohnraum in Bottrop. Im Gegenzug müsse man aber auch den Mut aufbringen, nicht mehr nachgefragte, veraltete Wohnungen und Häuser abzureißen.