Bottrop. Im Oktober 1946 wählt der Rat der Stadt den Sozialdemokraten Wilhelm Tenhagen zum Oberbürgermeister. Vorgänger hatten die Briten noch ernannt.
Vor 75 Jahren, am 13. Oktober 1946, haben 53.641 Bottroperinnen und Bottroper erstmals nach 16 Jahren wieder die freie Wahl. Und 41.947 Einwohner nutzen auch das neue, freie und allgemeine Wahlrecht ab 21 Jahren, das die damalige britische Militärregierung zuvor für die gesamte britische Zone erlassen hatte. Und eine kleine Überraschung gibt es auch: In der alten Zentrums-Hochburg, in der die Partei des politischen Katholizismus bis 1933 stets die - zumeist auch absolute - Mehrheit erreichte, liegen die Sozialdemokraten leicht vorn. Das ist insofern erstaunlich, als die SPD in Bottrop in der gesamten Zeit vor dem NS-Diktatur zwischen den großen Blöcken Zentrum und KPD nur ein Schattendasein führt.
14.355 Stimmen gibt es dann 1946 für die Sozialdemokraten. Für die damals neue CDU votieren 14.122 Wählerinnen und Wähler. Kurz darauf, am 25. Oktober 1946, wählt der frisch zusammen getretene Rat den Sozialdemokraten Wilhelm Tenhagen zum ersten Oberbürgermeister. Er löst damit den von der Militärverwaltung kommissarisch eingesetzten OB Franz Reckmann ab, der Hauptverwaltungsbeamter bleibt. Auch die Wahl Tenhagens ist wieder so eine kleine Überraschung, denn eigentlich hätte der altgediente Sozialdemokrat Ernst Ender wohl dieses Amt im ersten gewählten Rat innegehabt. Aber der tritt nach einem Autounfall politisch etwas kürzer, wie unter anderen Uwe Dorow in seiner Arbeit über die Sozialdemokratischen Mandatsträger von 1945 bis 1961 in Bottrop schreibt.
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Der heutige VHS-Direktor hat die Arbeit im Rahmen seiner ersten Staatsprüfung für das Lehramt vorgelegt. Und für politisch und stadthistorisch Interessierte ist sie mit ihren zahlreichen Lebensläufen früherer SPD-Politiker, aber auch ihren Analysen zum Gesellschafts- und Milieuwandel in Bottrop und dem Ruhrgebiet auch 35 Jahre nach ihrem Erscheinen noch lesenswert. Das Zentrum, das damals noch unabhängig von der CDU zur Wahl antritt, erreichte übrigens 4.137 Stimmen, weniger als halb soviel wie die (erst 1956 verbotene) KPD mit 9.123 Stimmen.
Wie Ender ist auch der neue OB Wilhelm Tenhagen ein SPD-Urgestein. Bereits als Lehrling interessiert sich der 1911 in Duisburg Geborene für Gewerkschaftsarbeit. 1931 tritt er die SPD ein, an deren Wiederaufbau in Bottrop - 1933 hatten die Nationalsozialisten alle andere Parteien verboten bzw. gleichgeschaltet - Tenhagen sich maßgeblich beteiligt. Er ist Mitbegründer des Ortsvereins Boy-Welheim, wo heute eine Straße an ihn erinnert. Den Wiederaufbau der Gewerkschaftsbewegung treibt er ebenfalls voran.
OB beherbergt Flüchtlinge in seiner Privatwohnung
Als Oberbürgermeister liegt ihm - natürlich - der Wiederaufbau der teilzerstörten Stadt am Herzen. Vor allem aber versucht er, der teilweise immer noch hungernden Bevölkerung zu helfen und das zivile Leben in Bottrop wieder in Gang zu bringen. So organisiert er nicht nur Gesprächsabende mit Arbeitslosen und Vertriebenen, sondern beherbergt eine Zeit lang selbst eine fünfköpfige Flüchtlingsfamilie in seiner ebenfalls beengten Privatwohnung.
Amtsaufgabe: Einzug in den Bundestag
Zwei Jahre später, am 17. Oktober 1948, wird wieder gewählt. Nun im damals neugegründeten Bindestrich-Land Nordrhein-Westfalen, das sich eben ein neues Gemeindewahlgesetz gegeben hatte. CDU (12.601 Stimmen) und SPD (12.621) liegen in Bottrop nun fast gleichauf: Als Oberbürgermeister wiedergewählt wird Wilhelm Tenhagen. Ein Jahr später legt er sein Amt nieder, als er in den Bundestag gewählt wird. Am 28. November 1949 wählt der Rat Ernst Wilczok zum Oberbürgermeister.