Bottrop. Eine Austellung zeichnet die Geschichte der VHS von 1919 bis heute nach. Zwischen Katholizismus und Kommunismus zerrieben. Aufschwung ab 1946.
Es gibt nur wenige städtische Einrichtungen, die einen so holperigen Start hatte, wie die Bottroper Volkshochschule. Dass die Einrichtung überhaupt einmal ihr 100-Jähriges feiern könnte, dafür hätte spätestens fünf Jahre nach deren Gründung 1919 niemand die sprichwörtliche Hand ins Feuer gelegt.
Denn ab 1923 war die Leitung vakant. Und daran sollte sich bis 1946 auch nichts ändern. Kurz: Die Bottroper hatten zunächst kaum Interesse, schon gar nicht die Arbeiter, an die sich die neue Bildungseinrichtung schwerpunktmäßig richtete. Die schufteten schwer, zumeist unter Tage, mehr als die heute üblichen acht Stunden. Da war an Literatur oder Musik kaum zu denken.
Denn dort lagen die Schwerpunkte, betrachtet man die kurze Kursliste von 1919 - die jetzt in der Ausstellung „100 Jahre Volkshochschule“ in deren Räumen im Kulturzentrum zu sehen ist. Das Team um den vor drei Wochen neu ernannten VHS-Leiter Uwe Dorow lässt auf zwei Etagen die Geschichte Revue passieren – hauptsächlich anhand von Zeitungsberichten und -bildern, Urkunden,aber auch einigen persönlichen Notizen und Berichten früherer Mitarbeiter und Leiter.
Was manchem zunächst als „dröge“ Präsentation in Schwarzweiß auf engen Fluren vorkommen mag, ist im Detail spannend und aufschlussreich. Die Schau zeigt vor allen die Entwicklung einer Einrichtung in Abhängigkeit von Zeitgeist, sozialer Struktur der Stadt und politischem Willen.
„Eine neutrale Bildungseinrichtung im Geiste der jungen Weimarer Republik musste es in Bottrop schwer haben“, sagt Uwe Dorow. „Ein Bürgertum mit Bildungswillen war damals kaum vorhanden, weit über 70 Prozent der Bevölkerung war katholisch und die Kirche wollte sich ebenso wenig wie auf der anderen Seite das kommunistische Lager die Bildung und Freizeitgestaltung aus der Hand nehmen lassen.“ Obwohl: Der Antrag zur Gründung der VHS stammte von drei Politikern der (katholischen) Zentrumspartei, damals der großen liberalen Kraft zwischen Deutschnationalen und Sozialisten oder Kommunisten.
Nur 157 Hörer im Krisenjahr 1923
375 Hörer im Gründungsjahr 1919, vier Jahre später sogar nur 157. Das reichte einfach nicht. Themen wie Beethovens Werk, Goethes „Faust“, neueste Literatur oder der „Bau des Weltalls“ zogen wohl nicht. Der erste VHS-Leiter Anton Kleffner gab 1923 auf. Danach dümpelte die VHS, untergebracht im Jungengymnasium, vor sich hin. 1929 erschien sogar ein „Nachruf“ auf die VHS. Unter dem Nationalsozialismus war es mit einer allgemeinen neutralen Bildungseinrichtung sowieso vorbei – alles war gleichgeschaltet.
Erst nach Kriegsende, 1946, mit einer neuen Bildungsoffensive unterstützt durch die englische Besatzung, erwachte die VHS unter Paul Steigleder, Lehrer am Jungengymnasium, zu neuem Leben. 1949 schrieb die Presse über die vorherrschenden Themen: „Religion interessierte am meisten“.
In den 50er Jahren erlebten die Fremdsprachen einen Aufschwung und Musikausbildung stand in der Stadt – damals noch ohne Musikschule – ganz oben. Erst ab den 60er Jahren und dem Weiterbildungsgesetz von 1975 stand auch die berufliche Bildung immer höher im Kurs.
„Unter den Leitern Arno Wielgos und Dieter Nellen bis hin zu Christian Haarmann wurde das gesamte Weiterbildungssystem weiter professionalisiert“, so Uwe Dorow. Staatliche Mittel flossen verstärkt, Bildung wurde als Pflichtaufgabe festgelegt. Nach der Hochstraße (C&A) und der Villa an der Böckenhoffstraße ist die VHS seit 1991 wieder im Gründungsort beheimatet - dem alten Jungengymnasium, heute Kulturzentrum August Everding.
Neue Leitung der VHS
Seit Mitte April ist Uwe Dorow neuer Direktor der Volkshochschule. Der Bottroper war lange stellvertretender VHS-Leiter. Seit zwei Jahren forschte Dorow, er studierte u.a. Geschichte, die Geschichte des Hauses. Neue Stellvertreterin wird ab Juli die Bottroperin Tanja Steinhaus, die bislang die VHS Haltern-Dülmen-Havixbeck leitete.