Bottrop. In Bottrop entbrennt eine Debatte über die Zukunft der City. Die alte Bottroper Innenstadt stirbt, heißt es da. Aber nicht an Amazon. Warum also?

Viele Bottroperinnen und Bottroper machen sich Gedanken über die Zukunft der Bottroper Innenstadt. Sie diskutieren auch in sozialen Netzwerken darüber. So hat Reinhard Hülskemper in der Facebook-Gruppe „Bock auf Bottrop“ unter ihren mehr als 13.900 Mitgliedern eine außerordentlich lebhafte sowie an der Sache orientierte Debatte angestoßen, in der auch Projekte, Pläne und Versuche von Rat und Verwaltung auf dem Weg zu einer multifunktionalen City ihren Widerhall finden. „Die Innenstadt stirbt seit 20 Jahren einen langsamen Tod“, meint Reinhard Hülskemper und kritisiert die immergleichen und für ihn vergeblichen Versuche, diesen Niedergang durch Geschäftsansiedlungen um jeden Preis aufzuhalten.

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In dieser Facebook-Gruppe dreht sich alles um Bottroper Fragen: Wie war Bottrop früher? Wie ist es heute? und vor allem: Was kann man sich für die Zukunft vorstellen? So lauten die Fragen in dem Bottroper Forum. Auch Empfehlungen zu Gastronomie und Events, Sport sind in der Gruppe gefragt.

Der Denkanstoß des Reinhard Hülskemper zur Bottroper Innenstadt fand darin daher auch eine „riesige Resonanz“, wie sich der Autor selbst freute. Er bedankte sich jedenfalls ausdrücklich für „viele tolle Vorschläge“ und die lebhafte Diskussion, egal ob die Kommentare nun unter den echten Namen oder womöglich auch Pseudonymen abgegeben wurden.

Kritik an Geschäften mit künstlich gesenkten Mieten in Bottrop

Klar wird, dass der Bottroper es ablehnt, die Mieten für neue Geschäfte durch Landeszuschüsse künstlich zu senken. Er erinnert daran, dass auch der Bergbau in Bottrop lange subventioniert wurde, ohne die um ein vielfaches größere finanzielle Dimension zu übersehen. Es geht dem Bottroper erkennbar um das Denken, das dahinter steht. „Heute machen wir den selben Fehler, wir halten an etwas fest, was immer schneller stirbt“, meint Hülskemper mit Blick auf die Einkaufsstraßen in der Innenstadt.

Die Althoff-Arkaden an der Hansastraße in Bottrop: Die Stadt will das Hansaviertel in der Fußgängerzone mit Mietzuschüssen für Einzelhändler wiederbeleben.
Die Althoff-Arkaden an der Hansastraße in Bottrop: Die Stadt will das Hansaviertel in der Fußgängerzone mit Mietzuschüssen für Einzelhändler wiederbeleben. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Reinhard Hülskemper führt an, dass es wenig Sinn habe, neue Geschäfte anzusiedeln, weil sich das Kaufverhalten gerade der Kundinnen und Kunden unter 50 Jahren sehr stark verändert habe. „Der Onlinehandel nimmt weiter zu und ist nicht aufzuhalten“, betont er und fordert ein Umdenken. „Mein Vorschlag ist, einen großen Teil der Geschäfte zu Wohnraum umzugestalten und die Geschäfte, die noch eine Zukunft haben, auf einem begrenzten Gebiet, wie der Hansastraße oder der Hochstraße anzusiedeln“, schreibt er.

Kunden bestellen zehn Hosen und schicken neun zurück

Als Reaktion auf den wachsenden Online-Handel schlägt Gruppenmitglied Oliver Kunde daher einen zentralen Onlineshop für Bottrop vor, in dem nur die Bottroper Einzelhändler ihre Ware zum Verkauf anbieten. Kunden sollten ihre Waren dann auch im Laden abholen können, findet er. Seine Idee ähnelt zum Beispiel dem Konzept des Bottroper Hol- und Bringdienstes Louise, den die Stadt mit Partnern wie der Bottroper Spedition Rottmann gegründet hatte.

Caitlin Somers rät dem Ortshandel, parallel zum Warenangebot im Geschäft auch online Artikel anzubieten. Alles zu unternehmen, um den örtlichen Handel am Leben zu halten, wäre fatal, weil der Onlinetrend nicht aufzuhalten sei, widerspricht sie dem Bottroper Michael Ferlings, der sich für jene Bürger einsetzte, die noch lokal kaufen. „Sie bestellen keine zehn Hosen per Paketdienst und lassen dann neun wieder zurück gehen“, hält Ferlings fest. Wie Caitlin Somers sieht aber auch der in der Facebook-Gruppe mit diskutierende ÖDP-Ratsherr Markus Stamm im stationären Handel nicht die Zukunft.

Lokale Händler in Bottrop haben den Internethandel unterschätzt

Dabei fehlt es keineswegs an durchaus erfolgreichen Versuchen, zumindest die Innenstadt zu beleben. „In den letzten Jahren haben sich in Bottrop viele engagierte Bürger:innen ins Zeug gelegt. Angefangen mit dem Feierabendmarkt, über die Gastromeile bis hin zum Marktviertel und dem Schwarzmarkt“, erkennt daher Lena Schare auch ausdrücklich an. Am Leerstand von Geschäftslokalen und fehlendem Wohnraum habe das allerdings nichts geändert, bedauert sie.

Die Gastromeile auf Gladbecker Straße mit ihren Kneipen, Speiselokalen und Spezialitätengeschäften gilt in Bottrop als gelungenes Beispiel für eine Wiederbelebung der Fußgängerzone.
Die Gastromeile auf Gladbecker Straße mit ihren Kneipen, Speiselokalen und Spezialitätengeschäften gilt in Bottrop als gelungenes Beispiel für eine Wiederbelebung der Fußgängerzone. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Die Einzelhändler haben das Internet auch unterschätzt. Jetzt durch die Pandemie fällt es auf“, meint Andre Brune. Er sieht auch die großen Einkaufszentren wie zum Beispiel das Centro in Oberhausen „mit kostenlosem Parkplatz“ als übermächtige Konkurrenz für den lokalen Handel in Bottrop an. Die Idee, Ladenlokale in Wohnungen umzuwandeln, findet er prinzipiell gut. Das funktioniere aber wohl eher mit alten Kneipen in Seitenstraßen, wendet Brune ein. „Ganz genau, mehr Wohnraum und weniger nutzlose Geschäfte, nur damit vermietet ist. Studentenwohnungen, gemütliche Cafés, Bistros“, stimmt ihm Karo Hack zu.

Für manche Käufer steckt der Bottroper Handel in der Zwickmühle

Gereon Stein sieht den Ortshandel in einer Zwickmühle. Oft ließen sich Kunden dort fachkundig beraten, um dann doch günstiger online zu kaufen. Andererseits hätte viele Händler den gesuchten Artikel oft nicht vorrätig und müssten diesen für die Kunden selbst erst bestellen. „Dass dieses Konzept gegen Online nur verlieren kann, ist logisch“, meint Stein. Lokale Händler könnten es sich auch gar nicht mehr leisten, viel auf Lager zu haben, erläutert Christiane Rehring. „Heutzutage schlägt nicht verkaufte Ware oftmals große Löcher in das Budget der Händler“, meint sie, „das geht alles zu Lasten der Auswahl und dann sind wir wieder bei Zalando, Amazon und Co“.

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Auch private Vermieter seien an langfristigen und innovativen Konzepten interessiert, ist sich Roul Benedict Burdelak sicher. „Ein weiterer Verfall der Innenstadt geht nämlich zu Lasten ihrer Substanz“, meint er. Dass viele Innenstädte in einem desolaten Zustand seien, habe viele Gründe. Es fehle an gut bezahlten Arbeitsplätzen und damit letztlich auch an Kaufkraft. Die Innenstadt als Wohnraum müsse zu einem Mehr-Generationen-Revier werden, in dem sich Jüngere und Ältere oder Familien und Alleinerziehende gegenseitig helfen können.

Oberbürgermeister ruft zur Debatte über die Bottroper City auf

Solche Debatten über die Zukunft der Innenstadt hat auch Oberbürgermeister Bernd Tischler im Sinn. Erst vor kurzem rief Tischler die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, sich mit ihre Vorschlägen, Ideen und Wünschen in die Planungen für die Innenstadt 2030 einzubringen. „Wir wollen uns mit den Bürgerinnen und Bürgern auf den Weg zu einer neuen Innenstadt machen“, gab der Oberbürgermeister als Devise aus. „Mehr Wohnraum und weniger Shops“, wie es Reinhard Hülskemper in der Bock-auf-Bottrop-Gruppe ausgibt, ist letztlich auch das Ziel der Stadtplaner.

Auch sie haben schließlich erkannt, dass reine Einkaufsstraßen im Stadtkern allein keine Zukunft haben werden. Der Stadtrat hat ihnen daher bereits den Auftrag erteilt, über ein reines Verkehrskonzept hinaus ein umfassenden Masterplan für die Innenstadt auszuarbeiten. Die Bürgerinnen und Bürger können ihre Vorschläge dabei auch über die Internetadresse masterplan-innenstadt.bottrop.de auf einer Innenstadtkarte verankern. OB Tischler gibt eine multifunktionale Innenstadt als Ziel aus: einen Mix mit weniger reinen Einkaufsstraßen, mehr Dienstleistern und Handwerk sowie mehr Wohnungen.

Viele Käufer sind längst zu bequem, kurz in die Stadt zu gehen

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Das deckt sich mit den Ideenbeiträgen in der Facebook-Gruppe „Bock auf Bottrop“ sehr. „Eine Mischung aus Bürogebäuden, Gastronomie, Wohngebäuden und Einzelhandel schaffen“, fordert darin etwa auch Jens Theissen. Die Gastromeile werde ja gut angenommen, stimmt ihm Initiator Reinhard Hülskemper zu, auch wenn ÖDP-Ratsherr Stamm einwendet, dass Wohnen und Gastronomie nicht immer gut zueinander passten, wie der Streit um die Rathausschänke zeige.

Markus Krappitz ruft die Gruppenmitglieder schließlich allerdings auch dazu auf, sich einmal selbstkritisch an die eigene Nase zu fassen. Viele seien inzwischen zu bequem, kurz in die Stadt zu gehen und ein Buch zu kaufen oder beim Händler um die Ecke etwas für die Kinder zu bestellen und dann drei Tage später die gewünschte Ware abzuholen. Krappitz: „Die Innenstadt stirbt nicht an Amazon, sie stirbt wegen uns!“