Bottrop. 2021 wird in Bottrop die weltgrößte Solarthermische Klärschlammtrocknung in Betrieb gehen. Teil des Hybridkraftwerks der Emschergenossenschaft.

Auf die Idee muss man erst einmal kommen: aus einem Klär- ein Kraftwerk zu machen. Die Emschergenossenschaft verwirklicht dieses „verrückte Projekt“ (Standortleiter Prof. Torsten Frehmann ) gerade auf ihrer Großkläranlage In der Welheimer Mark an der Essen/Bottroper Stadtgrenze – und nennt es „Hybridkraftwerk“. Es steht kurz vor der Vollendung, am Dienstag lud man zum Bummel über die Baustelle der dazu gehörenden „Solarthermischen Klärschlammtrocknung“ (STT). Als größte weltweit soll sie im Frühjahr 2021 in Betrieb gehen – und Energieeffizienz sowie Klimabilanz des Klärwerks enorm verbessern.

Schon von der B 224 aus sind die riesigen gläsernen „Gewächshäuser“ gut zu erkennen. Sie belegen eine Fläche so groß wie zwölf Fußballplätze (61.000 Quadratmeter) und stecken voll ausgefeilter Technik; 32 einzelne Trockenfelder (Nettonutzfläche: 40.000 Quadratmeter) gehören dazu. Noch sind die Handwerker aktiv, noch steht man zwischen kreischendem Werkzeug und Hubsteigern in Regenpfützen. Aber schon im November will die Emschergenossenschaft hier versuchsweise den ersten Schlamm trocknen, später sollen es jährlich 220.000 Tonnen sein.

32 elektrische Schweinen werden den Klärschlamm wenden

Dafür wird man dann auch: 32 Schweine aussetzen. Elektrische Schweine. Prof. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft, beschreibt sie als „kleine Minidinger“, und man muss sie sich vorstellen wie diese Mähroboter, nur dass sie 600 Kilo schwer sind und ihre Achsen aus Paddeln bestehen, mit denen sie den Schlamm stetig wenden. Doch langsam...

Die Abwässer aus Bottrop, Gladbeck, Gelsenkirchen und Essen landen in der Welheimer Mark. Und moderne Abwasserreinigung frisst viel Strom. Der Verbrauch der Bottroper Großkläranlage entspräche dem einer 30.000-Einwohner-Stadt, erklärt Paetzel. Ziel der Emschergenossenschaft ist es, das Klärwerk energieautark zu betreiben; das heißt: den Strom, der hier gebraucht wird, selbst zu produzieren. Und das nachhaltig und klimafreundlich. Bis zu 70.000 Tonnen CO2 will man jährlich einsparen. „Wasserwirtschaft ist mehr als nur Abwasserreinigung“, sagt Paetzel. „Sie kann eine entscheidende Rolle beim Gelingen der Energiewende spielen.“

Selbst in Äthiopien interessieren sich Wasserwirtschaftler für das Bottroper Projekt

Von außen ähneln die riesigen Trockenhallen Gewächshäusern. Autofahrern auf der B 224 aus sind sie längst aufgefallen. In den schlichten und lichten Bauten steckt modernste Technik.
Von außen ähneln die riesigen Trockenhallen Gewächshäusern. Autofahrern auf der B 224 aus sind sie längst aufgefallen. In den schlichten und lichten Bauten steckt modernste Technik. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Zum Gesamtpaket „Hybridkraftwerk“, in das die Emschergenossenschaft gehören eine Windenergie-Anlage, vier Blockheizkraftwerke, in denen Faulgas verstromt wird, eine Photovoltaik-Anlage sowie eine Dampfturbine, die mittels Klärschlammverbrennung betrieben wird – und eben die neue Solarthermische Klärschlammtrocknung. Nach der Vorab-Entwässerung auf sogenannten Kammerfilterpressen wird der Klärschlamm in der STT sechs Tage lang mit Hilfe von Sonnen- und Abwärmeenergie soweit getrocknet, dass er „thermisch verwertet“, also verbrannt werden kann, ohne dass – wie bisher – jährlich 20.000 Tonnen Kohle zugesetzt werden müssen. Investitionsvolumen: 78 Millionen Euro.

Das Projekt ist in seiner Dimension einzigartig, es könnte Vorbild für andere moderne Klärwerke werden. Delegationen neugieriger Wasserwirtschaftsunternehmen aus dem In- und Ausland seien jedenfalls oft vor Ort, erzählt Technikvorstand Dr. Emanuel Grün. Zuletzt hätte die Emschergenossenschaft ihr Projekt in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba vorgestellt. „Ganz schön mutig“ bekäme er gelegentlich nach einem Besuch zu hören. „Aber ich schlafe trotzdem gut“, sagt Grün. „Wir machen hier ja kein Harakiri. Ich bin sicher, das wird gelingen und sich rechnen.“ Tatsächlich hofft die Emschergenossenschaft auf 3,5 Millionen Euro jährlich weniger an Betriebskosten. „Was auch hilft, die Abwassergebühren stabil zu halten“, so Grün.

Biofilter und chemische „Wäscher“ sollen Gerüche mildern

Mittelfristig will man in der Großkläranlage im Übrigen auch die im Klärschlamm enthaltenen wertvollen Ressourcen, Phosphor etwa, nutzen. „Das einfach so in Zement zu verbauen, wie es noch oft gemacht wird, ist viel schade“, meint Prof. Torsten Frehmann, der Betriebsmanager. Zudem denke man gerade intensiv über eine vierte Reinigungsstufe nach,berichtet er. In der würden dann auch Spurenelemente und Medikamente aus dem Abwasser gefiltert.

Baustellen-Besuch in der Bottroper STT: (v.l.) Torsten Frehmann (Betriebsmanager Mittlere Emscher), Uli Paetzel (Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft), Emanuel Grün (Technik-Vorstand) und Projektleiter Peter Reese.
Baustellen-Besuch in der Bottroper STT: (v.l.) Torsten Frehmann (Betriebsmanager Mittlere Emscher), Uli Paetzel (Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft), Emanuel Grün (Technik-Vorstand) und Projektleiter Peter Reese. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Apropos: Biofilter und chemische Wäscher sollen von der STT ausgehende Geruchsbelästigungen für die Anwohner mildern. Gleich hinter den Trockenfeldern liegt die Werkssiedlung. Ein Geruchsgutachten wurde eigens dafür erstellt. „Wir halten die Standards ein“, verspricht Emanuel Grün.

Selbst von den 32 Schweinen wird man nichts riechen.

>>>>INFO: Zahlen und Fakten

250 Beschäftigte zählt die Großkläranlage derzeit. Die Solarthermische Klärschlammtrocknung“ schafft zehn neue Arbeitsplätze.

40.000 Glasscheiben umhüllen die Trockenfelder.

12 Kilometer Regen- und 17 Kilometer Rohrleitung wurden nach Angaben des Projektleiters Peter Reese zudem verbaut.

103.000 Kubikmeter Wasser werden künftig jährlich in der STT aus Klärschlamm entfernt.